Ende der „Alten“-Stabilität

[kommentiert]: Robert Lorenz über den Führungswechsel in der LINKEN.

Damit ist also das vorläufige Ende der Gerontokratie erreicht. Wenigstens formell verabschiedet sich die Linke von ihrer betagten Parteiführung – Lothar Bisky (Jahrgang 1941) und Oskar Lafontaine (Jahrgang 1943) scheiden nach drei Jahren gemeinsamen Parteivorsitzes aus dem Amt. Allein diese Beständigkeit ist respektabel, erwartete doch während der Gründungsphase der Linkspartei die Öffentlichkeit den baldigen Zusammenbruch dieser Doppelspitze.

Denn Lafontaine kannte man als divengleichen Egozentriker. Er schien nun wirklich die denkbar ungeeignetste Persönlichkeit für einen solchen Machtdualismus zu sein: Entgegen seiner Behauptungen konnte man in den späten 1980er Jahren schließlich durchaus einen „Keil“ zwischen ihn und den SPD-Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel treiben, passte in den späten 1990er Jahren dann doch ein „Blatt Papier“ zwischen Lafontaine und Gerhard Schröder.

Dass der gesplittete Parteivorsitz wider Erwarten funktionierte, Bisky nicht die Flucht ergriff und in den Augen der Parteimitgliedschaft auch nicht zur Marionette seines Ko-Vorsitzenden herabsank, war zuvorderst Ergebnis einer bemerkenswerten Personalkonstellation. In der Rückschau erscheint das Führungspersonal der Linken geradezu als ideales Ergebnis planvoller Überlegungen.

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine traten im Bundestag, in Politsendungen oder auf Partei- und Wahlkampfveranstaltungen als wortmächtige Agitatoren und schillernde Galionsfiguren auf, welche nach innen die Partei auf gemeinsame Erfolge einschworen und nach außen Wähler mobilisierten. Der dröge, seine Reden stets vom Blatt ablesende Lothar Bisky indes wurde dadurch von der Last öffentlicher Repräsentation befreit und konnte umso konzentrierter seine Paraderolle des verständnisvollen Integrators mimen. Den aus der WASG stammenden Mitgliedern schritt er als Garant einer fairen Parteienverschmelzung entgegen; und gegenüber seinen PDS-Genossen warb er für die Fusion mit der Erfüllung der alten Sehnsucht, nun endlich auch im Westen Fuß zu fassen und sich als dritte Volkspartei neben Union und SPD zu etablieren. Die Führungsfigur Bisky als integrativer Moderator war allerdings nur möglich, weil Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch an seiner Statt die innerparteilichen Konflikte ausfochten.

Insbesondere Ramelow exekutierte durch permanente Präsenz auf Parteiveranstaltungen und eine hartgesottene Gangart gegenüber Nörglern und Aufmüpfigen den Willen der Parteiführung. Den Zusammenhalt der Bundestagsfraktion bestellten derweil Dagmar Enkelmann und Ulrich Maurer, die sich ebenfalls – sozialtypologisch und führungstechnisch – hervorragend ergänzten: die eine weiblich, ostdeutsch und empathisch, der andere männlich, aus dem Westen und autoritär.

Nun allerdings werden die Posten neu verteilt. Die einstmals hochgradige Komplementarität des Führungspersonals, durch die sich individuelle Stärken und Schwächen so wunderbar ergänzten und ausglichen, wird wohl nicht mehr aufrechterhalten werden können. Für die Partei ist dies auf kurze Sicht problematisch: Denn die Linke sieht sich momentan mit allerlei Herausforderungen konfrontiert. Die Landesverbände zeigen sich zunehmend weniger zur Gefolgschaft gegenüber der Berliner Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus bereit; die von Parteifusion und Wahlsiegen entfachte Euphorie der Anfangszeit ist weitgehend verflogen; die innerparteiliche Gruppenvielfalt in Form unzähliger Plattformen, Plenen und Foren verstärkt sich durch das Pluralitätsideal, das ein gleichrangiges Miteinander verspricht; und nicht zuletzt harrt die lange Zeit aufgeschobene Parteiprogrammatik ihrer Klärung.

In der Linken schlummern also angesichts ebenso unterschiedlicher wie zahlreicher Strömungen und Machtzentren gehörige Konfliktpotenziale. Sie zu bändigen, wird sich in Zukunft weitaus schwieriger als in den vergangenen Jahren gestalten. Disziplingebietende Faktoren wie die erst 2007 formell vollzogene Parteifusion oder das Superwahljahr 2009, die den Aufschub einer kontroversen Programmdebatte und eine hohe Autorität des Führungspersonals rechtfertigten, sind inzwischen entfallen. Auch die Rivalität innerhalb der Parteielite dürfte sich intensivieren. Weil die bisherigen Partei- und Fraktionsvorsitzenden dem Rentenalter zustrebten, ihnen jedenfalls keine langjährige Amtszeit mehr beschieden sein würde, war es für Ramelow und Bartsch erträglich, eigene Macht- und Karriereambitionen zurückzustellen. Gleichzeitig verfügten Gysi, Lafontaine und Bisky bereits über erfüllte Karrieren, mit denen sie den öffentlichen Nachweis ihrer besonderen Fähigkeiten erbracht hatten und die sie potenzielle Konkurrenten eher tolerieren ließen.

Nun aber drängen zahlreiche Angehörige einer ehemals mittleren Führungsschicht nach oben und intensivieren die Konkurrenzdichte. Neben Bartsch und Ramelow sowie Klaus Ernst und Gesine Lötzsch steigern u.a. Werner Dreibus, Dagmar Enkelmann, Sahra Wagenknecht, Ulrich Maurer, Petra Pau – dicht gefolgt von etlichen Nachwuchskräften wie Katja Kipping, Halina Wawzyniak, Jan Korte oder Stefan Liebich – das Gerangel um die knappen Elitepositionen. Der gewichtige Faktor innerer Stabilität durch personelle Ausgewogenheit und Friedfertigkeit auf Führungsebene ist folglich passé. Die neuen Parteivorsitzenden – voraussichtlich Lötzsch und Ernst – werden darunter sicherlich noch zu leiden haben. Doch kann auf lange Sicht aggressiv ausgetragener Konflikt auch trainieren und eine tüchtige Parteielite hervorbringen.