Merkel macht’s

[kommentiert]: Johannes Sosada über den Wahlkampf der CDU.

„Gabriel, Trittin und Gysi verstehen so viel vom Mindestlohn wie die Kuh vom Geige spielen.“ Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen fand auf dem Landesparteitag der niedersächsischen CDU in Cloppenburg anschauliche Worte, um die gut 300 Delegierten auf den Bundestagswahlkampf einzustimmen. Das Sommerloch ist endgültig überwunden. Nachdem NSA-Affäre, königlicher Nachwuchs in England und eine mögliche Syrienintervention in den letzten Wochen die Schlagzeilen beherrschten, hat in Deutschland nun endlich der Wahlkampf begonnen. Während Angela Merkel sich zunächst betont lässig in den Sommerurlaub verabschiedete und ihren Herausforderer Peer Steinbrück geflissentlich ignorierte, versucht dieser schon seit Wochen mit Hausbesuchen und anderen Wahlkampfveranstaltungen, die SPD aus dem Umfragetief von momentan 22 Prozent herauszuführen.[1]

Der Landesparteitag der niedersächsischen CDU fand am Samstag, dem 17. August in Cloppenburg statt. Er sollte gleichzeitig den Auftakt des Bundestagswahlkampfes der niedersächsischen CDU markieren. Umso passender, dass auch Angela Merkel im direkten Anschluss an den Parteitag auf dem Cloppenburger Marktplatz eine Rede halten sollte.

Dem niedersächsischen Wahlkampf kommt eine besondere Bedeutung zu. Die Landeshauptstadt Hannover gilt schon lange als Kaderschmiede für spätere Bundespolitiker. Altkanzler Schröder, SPD-Chef Gabriel und der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff starteten hier ihre Karrieren. Die Liste wird weitergeführt von Ursula von der Leyen und Johanna Wanka aus der aktuellen schwarzgelben Regierung sowie Jürgen Trittin von den Grünen.

Die niedersächsische Landtagswahl vom 20. Januar spukt noch vielen CDU-Anhängern wie ein „Schreckgespenst“ im Kopf herum. 1,3 Millionen niedersächsische Wähler sprachen bei der Wahl des niedersächsischen Landtages der CDU ihr Vertrauen aus, mit 54 Sitzen und 36 Prozent der Stimmen wurde die CDU auch die stärkste Partei im Landtag. Dennoch reichte es im Endeffekt für eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz für Rot-Grün, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Leihstimmen, die CDU-Wähler der FDP aus der Angst heraus gegeben hatten, dass es der schwächelnde Koalitionspartner nicht über die Fünfprozenthürde schaffen würde.

Kann sich so etwas am 22. September auf Bundesebene wiederholen? Zwar haben SPD und Grüne nach aktueller Forsa-Umfrage mit jeweils 22 bzw. 11 Prozent zusammen längst nicht so viele Stimmen wie CDU alleine mit 41 Prozent, aber auch der liberale Koalitionspartner FDP kommt in Umfragen nur knapp über die Fünfprozenthürde. Kommt es also zwangsweise zu einer Neuauflage der großen Koalition von 2005? Dies wollen beide Parteien eigentlich vermeiden. Oder kommt es vielleicht sogar zu einer „bösen Überraschung“ für die CDU und es reicht plötzlich für eine rot-rot-grüne Koalition, oder gar, wie in Niedersachsen, für Rot-Grün?

Die Wahl Cloppenburgs als Tagungsort kommt nicht von ungefähr. Cloppenburg ist nicht nur ein kleines Städtchen im Oldenburger Münsterland und Frauenfußballbundesligist, sondern auch rabenschwarzes CDU-Kernland. Bei der Landtagswahl im Januar erzielte die CDU hier das beste Ergebnis überhaupt: Der Kandidat der Christdemokraten zog mit 69,4 Prozent der Stimmen in den niedersächsischen Landtag ein.[2]

Hauptredner des diesjährigen Landesparteitages waren David McAllister und Ursula von der Leyen. Bei der gut 30-minütigen Rede des ehemaligen Ministerpräsidenten stand besonders die Verarbeitung der verlorenen Landtagswahl im Januar im Fokus. McAllister selbst sprach vom 20. Januar als „tiefe Zäsur“. Wenn diese „wackelige“ Einstimmenmehrheit scheitere, sei die CDU „aus dem Stand bereit und fähig, Verantwortung zu übernehmen“, so der ehemalige Ministerpräsident – ein ganz klares Signal auch an die anwesenden Medienvertreter. McAllister betonte, man werde diese „vorübergehende Oppositionsrolle“ annehmen und keinem Konflikt aus dem Wege gehen. Man werde – im Gegenteil – „den Finger in die Wunde legen, wo es Rot-Grün schmerzt“. Die Rede ist eine deutliche Kampfansage, nicht nur an die rotgrüne Landesregierung, sondern auch für den Bundestagswahlkampf. So leitet McAllister den Hauptteil seines Auftrittes mit den Worten ein: „Ich habe mich bisher mit der öffentlichen Bewertung von Rot/Grün zurück gehalten, damit ist es nun vorbei“. Die Rede wird mitreißend und emotional, in zahlreichen Punkten kritisiert er den 96-seitigen Koalitionsvertrag der neuen rotgrünen Landesregierung, er spricht von „dämlichen Anglizismen“, Überheblichkeit und einem „vertrödelten Start“. Immer wieder brandet Beifall der 300 Delegierten auf. Gerade von den traumatischen Erlebnissen vom Januar schließt McAllister spannt den Bogen zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes, schließlich komme es auch im September  „auf jede Stimme an“ und mit Sicherheit werde es „ein spannendes Rennen“ – diese Lehren habe man aus dem 20. Januar gezogen. McAllister schließt seine Rede mit dem Ausruf: „Wir sind geschlossen – wir sind entschlossen, und diesmal werden wir gewinnen“. Wieder lauter Beifall, die Delegierten erheben sich von ihren Plätzen zu minutenlangen Standing Ovations für den geschlagenen Spitzenkandidaten

Bundesarbeitsministerin von der Leyen knüpft anschließend an die Rede McAllisters an. Sie bedankt sich bei ihm, prangert die Wahlprogramme der Gegenparteien an und entlässt die applaudierenden Delegierten mit den Worten „auf geht’s, lasst uns kämpfen“ auf den Marktplatz, wo Merkel in wenigen Minuten ihre Rede halten soll.

Angela Merkel hat auf dem Cloppenburger Marktplatz vor gut 2000 Zuhörern leichtes Spiel. Bei strahlendem Sonnenschein spielt eine Coverband zum „Einlauf“ der Kanzlerin den Tote Hosen-Hit „An Tagen wie diesen“, viele Zuschauer singen mit oder wippen im Takt. Störende Zwischenrufe sind Fehlanzeige, die Organisation ist perfekt. So kann Angela Merkel ihr Programm durchziehen. Sie spricht von der Wichtigkeit des europäischen Zusammenhaltes, den gerade für Niedersachsen so bedeutenden erneuerbaren Energien, Kitaplätzen und dem Zusammenhalt der Generationen. Ihre Rede ist nicht so hitzig wie die von McAllister vor den CDU-Delegierten, aber auch hier zeigt sich der Wahlkampfcharakter: Sie wolle sich nicht vorschreiben lassen, wann sie was zu essen habe und kritisiert damit gleich die viel diskutierte Idee der Grünen zur Einführung eines „Veggie–Tages“. Gleichzeitig greift sie aber  das Hauptanliegen McAllisters auf, indem sie feststellt: „Wer glaubt Merkel gewinnt sowieso, kann mit Rot-Rot-Grün aufwachen“.

Der CDU-Wahlkampf sei zu sehr auf die Person Angela Merkel personalisiert – das ist in den letzten Tagen immer wieder besonders in der medialen Berichterstattung kritisiert worden.[3] Hier auf dem Landesparteitag wird dies ebenfalls deutlich. Da das Abbild der Kanzlerin nicht nur nahezu jedes CDU-Plakat ziert und McAllister Merkel in seiner Rede mit den Worten „Sie ist die Beste für Deutschland“ beschreibt, ist der ganze Parteitag auf die Rede Merkels, gewissermaßen als Höhepunkt, zugeschnitten. Auch in den unlängst veröffentlichten Wahlwerbespots wird die Wichtigkeit der Personalie Merkel deutlich. Die gesamten anderthalb Minuten ist die Kanzlerin zu sehen, Peer Steinbrück sind im SPD–Spot gerade mal die letzten zehn Sekunden vergönnt. Geschickt wird die Popularität der Kanzlerin genutzt, um auf Stimmenfang zu gehen. Eines der Mottos des CDU-Wahlkampfes lautet „gemeinsam erfolgreich für Deutschland“ und auch im Wahlwerbespot oder dem TV-Duell richtet die Kanzlerin den Appell an die Bürger „gemeinsam weiterzumachen“. Die Schwäche der Partei, dass es neben der dominierenden Figur der Kanzlerin an attraktiven Alternativen und Themen, mit denen man punkten kann, fehlt, wird offensichtlich.

Was kann man also von diesem Landesparteitag in den wichtigen Wahlkampfwochen mitnehmen? Die Spitzenkandidaten erlebten ein begeistertes, wohlwollendes Umfeld, was auf sie ebenso wie die Wahlkämpfer an der Basis sicherlich eine sehr aufbauende und motivierende Wirkung hat. Die Abgeordneten und einfachen Parteimitglieder der niedersächsischen CDU fühlen sich nach dem „Wunden lecken“ hinsichtlich der knappen Wahlniederlage im Januar gestärkt, nicht zuletzt durch den persönlichen Besuch der Kanzlerin, und sind motiviert, mit vollem Elan in den Wahlkampf zu gehen. Und der Besucher, der kritische Beobachter? Er erlebt eine vorsichtig optimistische niedersächsische Union, die sich gegenseitig motiviert und demonstrativ Geschlossenheit zeigt. Eine deutliche inhaltliche Abgrenzung zu den anderen Parteien, ja Themen überhaupt spielen kaum eine Rolle. Stattdessen fokussiert sich der Wahlkampf ganz auf die persona grata Angela Merkel. Vor diesem Hintergrund verwundert auch kaum der Titel des Leitantrages, der auf dem diesjährigen Landesparteitag beschlossen wurde: „Unsere Zukunft in guten Händen – Niedersachsen für Angela Merkel“.

Johannes Sosada ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahl-umfragen-sonntagsfrage-fuer-bundestagswahl-und-landtagswahlen-a-623633.html (28.08.2013)

[2] http://www.nls.niedersachsen.de/LW2013/067.html (20.08.2013)

[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahlkampf-riesenplakat-der-cdu-zeigt-haende-mit-merkel-raute-a-919905.html