Peer Steinbrück – ein „Mann der Exekutive“

[analysiert]: Julian Rabe analysiert die (politische) Karriere Peer Steinbrücks.

Regelmäßig bringen Vertreter des rechten Parteiflügels und der Medien – und zuletzt sogar er selbst – seinen Namen ins Spiel, wenn es um die nächste SPD-Kanzlerkandidatur geht: Peer Steinbrück. Seine Beliebtheits- und Kompetenzwerte übersteigen in Umfragen deutlich jene von Parteichef Sigmar Gabriel. Ein hohes Medieninteresse ist ihm bei seinen wenigen Auftritten als Bundestagsabgeordneter sicher, so zuletzt bei einer schonungslosen Replik auf die Regierungserklärung Angela Merkels zum Europäischen Rat.

Seine Popularität lässt sich an drei persönlichen Eigenschaften festmachen: Glaubwürdigkeit, Sachkompetenz und Geradlinigkeit. Die Bürger vertrauten dem Finanzminister, als er in der Krise der Hypo Real Estate verkündete: „Ihre Spareinlagen sind sicher.“ Steinbrücks Markenkern ist die klare Aussprache seiner Meinung. Er spricht vielen Menschen aus der Seele, wenn er in seinem Buch Unterm Strich über erkenntnisresistente Gremienbesetzer klagt, die „nichts anderes als Politik gelernt“ haben und die Realität an das Parteiprogramm anpassen wollen. Er rühmt dagegen „atypische Politiker“, die auch mal gegen den Strich bürsten.

Aber woher kommt der Mann, der für höchste Weihen zur Diskussion steht? Wenngleich Steinbrück keine Karriere mit partei- oder kommunalpolitischer Ochsentour absolvierte, widmete er dennoch sein gesamtes Berufsleben dem politischen Betrieb – als „Mann der Exekutive“, wie er sich selbst bezeichnet. Von 1974 bis 1992 übte der Diplom-Volkswirt Tätigkeiten in verschiedenen Ministerien und der SPD-Fraktion aus, zu sozial-liberalen Zeiten im Bund und später als Büroleiter von Johannes Rau in Nordrhein-Westfalen. 1992 wurde er Staatssekretär in Schleswig-Holstein und später Minister. Er hat sich in den verschiedenen Fachressorts zu einem Allrounder entwickelt, der zu vielen Themengebieten schlagfertig und sachkundig argumentieren kann.

Durch seine Funktionen rückte er immer näher an den Politikerberuf heran, und doch blieb Steinbrück bis zu diesem Punkt eine Randnotiz Düsseldorfer und Kieler Landespolitik. Sein politischer Aufstieg beginnt in den Jahren ab 1998 und hängt (zufallsbedingt) mit der Lage der SPD im Bund zusammen: Gerhard Schröder holte den damaligen NRW-Wirtschaftsminister Bodo Hombach ins Kanzleramt, Steinbrück wurde von Wolfgang Clement als dessen Nachfolger berufen.

Clement war eine Art Mentor für ihn: Das Verhältnis der beiden galt als freundschaftlich, inhaltlich verband sie ein wirtschaftsnaher Kurs. Somit war es naheliegend, dass Steinbrück die Nachfolge Clements als Ministerpräsident übernahm, als dieser nach Schröders Wahlsieg 2002 nach Berlin wechselte. Ein Grund dafür war aber auch, dass ein weiterer denkbarer Genosse nicht über das verfassungsgemäß notwendige Landtagsmandat verfügte. Steinbrück hatte ein solches im Jahr 2000 im Alter von 53 Jahren erstmals errungen. Seine Abwahl gegen den Christdemokraten Jürgen Rüttgers 2005 führte am selben Abend zum Ende von Rot-Grün im Bund, was ihn aber später zu seinem bisherigen Karrierehöhepunkt brachte: Hätte die SPD nach den vorzeitigen Neuwahlen 2005 ihre Regierungsbeteiligung im Bund verloren, wäre Steinbrück nicht Finanzminister geworden, seine Karriere wäre womöglich beendet gewesen. Für Steinbrück haben sich also mehrfach Gelegenheitsfenster geöffnet. Die Wahl zum NRW-Regierungschef war der Durchbruch, weil er in diesem Amt nach anfänglichen Turbulenzen Erfahrung, Profil und Aufmerksamkeit gewann, um sich so für Aufgaben auf der Bundesebene zu empfehlen. Die entscheidende Frage ist, ob der Zenit seiner Karriere schon erreicht ist.

Gegen eine Kanzlerschaft Steinbrücks sprechen zum einen die arithmetischen Rahmenbedingungen: Derzeit ist nicht abzusehen, ob der SPD im Falle einer Bundestagsmehrheit jenseits von Schwarz-Gelb überhaupt die Führungsrolle zufallen würde. Wunschpartner der Sozialdemokraten sind in jedem Fall die Grünen, was ein weiteres Dilemma eröffnet: Schon in den ersten Monaten seiner Zeit als Ministerpräsident geriet er mit der Öko-Partei heftig aneinander, mehrfach stand ein Wechsel zu Rot-Gelb oder Rot-Schwarz an Rhein und Ruhr zur Debatte. Zwar hat er seinen einstigen Ruf als „Grünen-Fresser“ abgelegt, das Verhältnis gilt dennoch als distanziert.

Steinbrücks Achillesferse ist sein Stand in der eigenen Partei. Seine über 40-jährige Mitgliedschaft schließe eine Neugierde zu Positionen anderer Parteien nicht aus, erklärt der Pragmatiker. Knackpunkte sind dabei die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Steinbrück will die Sozialsysteme stärker über Steuern finanzieren, um Arbeitgeber nicht mit Abgaben zu überlasten. Er tritt für einen rigorosen Konsolidierungskurs ein; die in weiten Parteikreisen ungeliebte Schuldenbremse bezeichnet er als sein größtes Verdienst, er wirbt für ein vorsorgeorientiertes Sozialstaatsmodell, das für künftige Generationen finanzierbar bleiben müsse. Sein Ja zur Rente mit 67, sein nachträgliches Nein zur Rentengarantie des früheren Arbeitsministers Olaf Scholz – all dies hat ihm die Parteilinke nicht verziehen. Steinbrück fordert die SPD dazu auf, sich nicht auf traditionelle Milieus zu beschränken, sondern sich stärker für Facharbeiter und Mittelständler (O-Ton: „fettere Weiden“) zu öffnen. Während die SPD versucht, die ramponierten Banden zu den Gewerkschaften zu erneuern, gilt das IG-Metall-Mitglied Steinbrück nicht als gewerkschaftsnah.

Parteiintern halten ihm Kritiker vor, er billige anderen nicht die gleichen Rechte zu, die er selbst beanspruche. Deutlich wird dies an einem Beispiel, das Steinbrück in seinem Buch selbst wählt. Sowohl bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer als auch bei dem Versuch Andrea Ypsilantis, mit der Linken zu kooperieren, verstieß die SPD erkennbar gegen das, was sie vor der Wahl versprochen hatte. Wer zwischen diesen beiden Vorgängen jedoch nicht differenziere, dem bescheinigt Steinbrück „erhebliche Wahrnehmungsdefizite“. Grund: Im Bund sei es aufgrund der Haushaltslage um eine notwendige Sachentscheidung gegangen, in Hessen jedoch nur um die Macht. Letzteres habe zu einem nachhaltigen Vertrauensbruch geführt. Weiterhin beklagt er einen „Autoritätsverfall“, wenn linke Parteiströmungen sich vom Agenda-Kurs abwenden. Steinbrück selbst hatte jedoch kein Problem damit, als Landesminister 1998 über den Kopf von Heide Simonis hinweg eine Fusion Schleswig-Holsteins mit anderen Nordländern zu fordern. 2009 sprach er sich wenige Tage vor der Bundestagswahl für eine Fortsetzung der Großen Koalition aus. Der Strategie des Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier erwies er damit einen Bärendienst. Eine Frage bleibt in Steinbrücks Stil konstant unbeantwortet: Wer urteilt darüber, wann und von wem es gerechtfertigt ist, „gegen den Strich zu bürsten“?

Es ist unklar, wie Steinbrück als Kanzler(-kandidat) eine gedeihliche Zusammenarbeit mit seiner Partei umsetzen würde. Zur K-Frage sagt Steinbrück selbst: „Die SPD, die mich aufstellt, muss erst noch erfunden werden.“ Er dürfte Recht behalten. Denn die Integrationsfigur, welche die zerstrittenen SPD-Flügel versöhnt, ist er jedenfalls nicht.

Julian Rabe ist Masterstudent der Politikwissenschaften. Im Rahmen des Seminars „Politische Karrieren in Deutschland und Frankreich“ hat er sich mit der Karriere Peer Steinbrücks beschäftigt.