[kommentiert]: Bastian Brandau über die politische Lage in Italien nach der Wahl.
Es hätte alles so einfach sein können: Die Demokratische Partei (PD) des neuen Ministerpräsidenten Pier Luigi Bersani hätte eine bequeme Mehrheit im Abgeordnetenhaus, wäre im Senat noch von Mario Montis Bündnis unterstützt worden. Gemeinsam hätten sie Montis Reformpolitik fortgesetzt, vielleicht mit ein paar wachstumsfördernden Elementen als Konzessionen an die linken Kräfte in Bersanis Partei. Europa und „die Märkte“ wären beruhigt gewesen. Wenn, ja wenn die Italiener so gewählt hätten, wie sich das viele in Europa vorgestellt hatten. Doch die italienischen Wähler, sie haben anders entschieden.
Eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat Bersanis PD mit 29,5 Prozent der Stimmen nur dank des höchst seltsamen Wahlgesetzes, das der stärksten Liste automatisch 54 Prozent der Sitze beschert – im gleichberechtigten Senat reicht es auch mit Monti nicht. Zu schwer wiegen hier die Stimmen für Berlusconi aus den großen Regionen im Norden. So herrschen statt klaren Verhältnissen: Chaos, Konfusion, Unsicherheit. Die europäischen Partner sind besorgt, zeigt doch das Ergebnis, dass ihr Favorit Monti eben nicht der Favorit der Italiener ist. Zu harte Einschnitte bedeutete seine Reformpolitik gerade für die Jüngeren und Schwächeren, Erfolge waren auch nach einem guten Jahr nicht zu erkennen, die Wirtschaft stagnierte. Für die großen Reformprojekte war Montis Zeit zu kurz. Schlimmer noch als die Abstrafung Montis aus europäischer Sicht: knapp dreißig Prozent für das Schreckgespenst der Märkte Berlusconi und 25 Prozent für das Movimento 5 Stelle des Komikers Beppe Grillo – eine Volksbewegung, die sich mit einfachen Botschaften gegen das politische Establishment richtet. Ist Italien also unregierbar, sind Neuwahlen die einzig logische Konsequenz?
Doch Europa könnte sich getäuscht haben. Momentan scheint es Grund zur Erleichterung zu geben: Eine Annäherung an Berlusconis Volk der Freiheit (PdL) schlossen die Demokraten aus – man werde nicht mit denjenigen zusammenarbeiten, die für die aktuelle Krise verantwortlich sind, hieß es aus Parteikreisen. Eine späte Lehre aus den Erfahrungen der 1990er Jahre, als das Mitte-Links-Lager Berlusconi durch Zusammenarbeit in einem großen parlamentarischen Reformausschuss (den Berlusconi kurz vor Verabschiedung platzen ließ) erst hoffähig machte.
Diese Absage, sie könnte das schleichende Ende für Berlusconi und seine Ewiggestrigen bedeuten, die das Gesicht der verkorksten Zweiten Republik darstellen. Statt mit ihnen wollen die Demokraten nun das Gespräch mit Grillo und seinen Abgeordneten suchen, und damit könnte ein sizilianisches Modell auf Gesamtitalien übertragen werden. Dort nämlich stimmen die Fünf-Sterne-Abgeordneten seit vergangenem Herbst regelmäßig mit einer Regionalverwaltung des PD, die keine eigene Mehrheit hat. Keine Koalition, aber so etwas wie eine sachorientierte Tolerierung mit durchaus sehenswerten Ergebnissen: eine Absage an das Großprojekt der Brücke nach Sizilien, Förderung der lokalen Agrarpolitik und des Tourismus. Umgekehrt stimmte die Regierung für den Vorschlag eines Fünf-Sterne-Abgeordneten, ein Anti-Mafia-Schulfach einzuführen.
Ein ähnliches Modell könnte nun im Senat Anwendung finden, wo die Demokraten auch gemeinsam mit Monti keine Mehrheit haben – mit den Stimmen des Movimento 5 Stelle aber schon. Kleine, sachliche Schritte bei ruhiger Verhandlungsarbeit: Die bräuchte es eben auch auf Bundesebene. Nach den Erfahrungen in Sizilien und aus anderen Regionalparlamenten geben sich die Abgeordneten des Movimento 5 Stelle vor allem als redliche Sachverwalter, die inhaltlich klar wissen, was sie wollen, und was nicht. Ihre höchsten Güter sind Transparenz und Ausgabenkürzungen. Diese Sachlichkeit, eine in Italien lang vermisste Komponente des politischen Geschäfts, sie könnte Italien gut tun. Und sie könnte auch den Wählerwillen jener 8,7 Millionen Italiener zum Ausdruck bringen, die für Grillo gestimmt haben. Sie wollten nicht blind das Alte abschaffen, sondern etwas Neues ermöglichen. Daran werden sich ihre Abgeordneten jetzt messen lassen. Das Experiment des Movimento 5 Stelle, vor knapp sechs Jahren begonnen, geht jetzt in seine entscheidende Phase. Sie wird auch entscheidend sein für Italiens Zukunft.
Bastian Brandau arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Soeben erschien sein Buch „Fünf Sterne gegen Berlusconi. Das Movimento 5 Stelle und sein Weg in die italienische Politik“.
Foto Beppe Grillo: Niccolò Caranti