Gescheiterter Staatsstreich

[analysiert:] Lisa Brüßler über Andonis Samaras missglückten Staatsstreich.

23 Uhr 11 Minuten Ortszeit ist es, als am vergangenen Dienstag in Athen Bild und Ton des staatlichen Rundfunks Ellinikí Radiofonía Tileórasi (ERT) abgestellt werden. Moderatoren werden mitten im Wort abgeschnitten. Drei Fernsehsender und 19 Radioprogramme betrifft diese Maßnahme. Dazu 2600 Beamte, die mit sofortiger Wirkung entlassen werden, wie die Regierung verkündet. Diese Form von „Entschlackung des Beamtensektors“ lässt sich der Troika natürlich gut verkaufen. Generalstreiks von Zehntausenden und große Solidarität durch andere Journalisten sind die Folge. Neben dem Brot hat man den Griechen nun auch noch die Spiele genommen. Die Folge: Ablehnung in der Gesellschaft wohin man nur schaut. Mit dem Finger kann man nach Brüssel zeigen. Das alles geschieht in Zeiten einer gesellschaftlichen Krise von ungeahntem Ausmaß: Jedes dritte Kind lebt in Griechenland in Armut, Krankenhäuser schließen und es wird weiterhin kein Wirtschaftswachstum geben.

„Hier wird die Demokratie abgeschafft“, ertönt es immer wieder aus der Menge, die sich vor der Athener Zentrale des ERT im Stadtteil Paraskevi eingefunden hat. „Es ist infam, dass der Rundfunk einfach per Ministerialerlass abgeschafft werden kann“, empört sich eine Demonstrantin. Private Fernsehsender hatten versucht, den Webstream des ERT statt ihrem Programm auszustrahlen. Parteien und zivile Organisationen schlossen sich dieser Idee an, nachdem die Internetverbindung der Athener ERT-Zentrale von der Regierung gekappt worden war. Infolgedessen wurde allen Institutionen, die das Programm übertrugen, mit dem Entzug der Sendelizenz gedroht. Auch die europäische Rundfunkunion schaltete sich daraufhin ein und reiste für Gespräche nach Athen.

Symbolpolitik in Reinform

Als ein „zusammenbrechendes System von Privilegien“ hatte Ministerpräsident Andonis Samaras den staatlichen Sender zuvor in der Industrie- und Handelskammer Athen betitelt. Und das, obwohl die Belegschaft schon vor einem halben Jahr einen Sanierungsplan vorgelegt hatte. Offenbar wollte man diese Sanierung nicht bei laufendem Programm durchführen. Samaras wollte ein Zeichen setzen. Ein Zeichen für die Reformbereitschaft Griechenlands. Der Anlass: Bis Ende Juni 2013 sollen 2000 Staatsbedienstete entlassen werden, bis Ende des Jahres sollen 2000 weitere folgen. Offenbar wollte Samaras zeigen, dass hier etwas geopfert wird, was vorher als unfassbar gehalten wurde.

Die ERT war ein Sprachrohr der Regierung. Sie war ineffizient und von Vetternwirtschaft und Parteibuchbesetzung geprägt – da sind sich Journalistenverbände und Bevölkerung einig. Der Grund dafür: Seit Sendebeginn wurde aus dem Hintergrund politische Kontrolle ausgeübt, man schaffte es nie, einen öffentlich-rechtlichen Sender zu etablieren. Ein Grund liegt aber auch darin, dass gesellschaftspolitische Analysen, politische Debatten und ein breites Kulturprogramm ausgestrahlt wurden wie nirgendwo sonst. Gerade in der letzten Zeit suchte sich der Staatssender unabhängiger aufzustellen und regierungskritische Formate zu bringen. Aus diesem Grund sollten sogar Journalisten aus der Morgensendung ausgetauscht werden.

Indes hatte die Debatte eine Regierungskrise ausgelöst, da die zwei kleineren Regierungspartner PASOK und die gemäßigte Linke DIMAR die Sendeabschaltung nicht mittragen wollten. Sie forderten stattdessen eine Umstrukturierung bei laufendem Sendebetrieb. Am Montagabend gab es deshalb einen Gipfel, bei dem Samaras einen Kompromiss vorschlug: Der Sender sollte teilweise wieder geöffnet, die Stellen nach Parteienproporz besetzt werden. Ein Bruch der Koalition wurde von vielen Experten nicht ausgeschlossen. Doch das höchste Verwaltungsgericht Athens kam dem Gipfeltreffen zuvor: Es erklärte die Schließung per einstweiliger Verfügung für nichtig. Denn die griechische Verfassung sieht die Existenz eines öffentlichen Senders vor, der die griechische Öffentlichkeit mit Informationen und einem Kulturprogramm versorgt. Daraufhin nahmen die 2600 Beschäftigten ihre Arbeit wieder auf. Klar ist nur, dass im September ein öffentlich-rechtlicher Sender mit weniger Personal entstehen soll – wer übernommen wird, weiß keiner.

Allerdings denken die Menschen in den Dörfern und Städten dadurch zum ersten Mal, dass nicht Merkel oder die Troika Schuld sind an der Schließung des Senders, sondern die eigene Regierung. Die Troika gab nun selbst zu, dass die aufgezwungenen Sparmaßnahmen die Wirtschaft abgewürgt haben und sich Griechenland dadurch noch höher verschuldet als vorher. Der IWF spricht jetzt von einem zweiten Schuldenschnitt.

Ein Land in der Abwärtsspirale

Samaras und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sind sich in einem einig: „Es geht aufwärts mit Griechenland, das ganze wird sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickeln“, sagte Samaras bei seinem Besuch in China; und Schäuble weiter: „Griechenland hat erhebliche Verbesserungen in der Reduzierung seiner Defizite gemacht, alle Zahlen zeigen, dass die Finanzmärkte zunehmend Vertrauen fassen.“

Doch gerade die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Im Jahr fünf der Rezession schrumpft die Wirtschaft noch immer – in diesem Jahr um 4,2 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist unverändert hoch, die junge Generation verlässt das Land in Scharen. Krankenhäuser werden geschlossen, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit verliert man seinen Krankenschutz und die Kinderarmut steigt. Wäre UNICEF nicht in griechischen Krankenhäusern vertreten, gäbe es keine Impfungen für Kinder mehr. Vor einer Woche stufte der Index-Anbieter MSCI das Land dann obendrein auf die wirtschaftliche Stufe „Schwellenland“ herab. Griechenland ist noch nicht ansatzweise auf dem Weg der Besserung, da sind sich viele Experten einig.

In vier Monaten wird der neue Bundestag gewählt, man will die Wähler nicht erschrecken und verschiebt Entscheidungen so lieber in den Frühherbst. Es stellt sich nun die Frage, ob alle 27 Europäischen Mitgliedsstaaten Rücksicht auf die Bundestagswahl in Deutschland nehmen. Sicher ist jedoch, dass die Diskussion um die Milliarden, die ein zweiter Schuldenschnitt für Griechenland erfordern wird, wieder auf die Tagesordnung kommen wird. Dieses Mal wird jedoch eine finanzielle Beteiligung Deutschlands notwendig sein. Und die wird sich auch im Bundeshaushalt niederschlagen. Von etwa dreißig Milliarden Euro gehen Experten aus – und das obwohl die Bundesregierung versprochen hat, dass die Maßnahmen kein Geld kosten würden.

Lisa Brüßler arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Foto Mitte: Karl-Heinz Liebisch  / pixelio.de