Generationswechsel in einer alternden Partei

Parteien an der Basis (5): Die Linke

[präsentiert]: Jonas Rugenstein über das Sommerfest der Linken in Potsdam

Die Linke in Potsdam hat zum 22. Mal zum Sommerfest geladen. Neben dem 1. Mai ist dieser Anlass für die Parteibasis der wichtigste Termin im Jahr und einer, an dem sich der Zustand der Partei gut ablesen lässt. Die Bierbänke vor der großen Bühne, auf der den ganzen Tag über ein buntes Kulturprogramm abläuft, sind gut gefüllt. Hier zeigt sich, wie stark die Basis der Linken in der brandenburgischen Hauptstadt ist, wo die Linke – egal ob Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl – regelmäßig an die 30 Prozent der Stimmen erreichen kann. Bei den Bundestagswahlen 2009 war die Linke stärkste Partei. Sie ist hier keine Nischenpartei, die nur ein Thema besetzt, sondern hat tatsächlich so etwas wie den Charakter einer in breite Kreise der Gesellschaft hineinreichenden Volkspartei, der ihr im Osten zuweilen auch zugeschrieben wird. Das zeigt sich allein schon daran, dass in einer Reihe neben Bücherständen mit Biographien linker Ikonen auch der parteinahe Wirtschaftsverband von kleinen und mittelständischen Unternehmern, Freiberuflern und Selbstständigen für sich wirbt.

Gleichzeitig zeigt sich auf dem Sommerfest aber auch die größte Schwäche und Gefahr für die Zukunft der Partei. Die rund dreihundert Gäste, die an diesem Nachmittag gekommen sind, um mit ihrer Partei zu feiern, sind fast ausnahmslos im fortgeschrittenen Rentenalter. Der Altersdurchschnitt der Linken in Brandenburg liegt bei 67 Jahren, jedes zweite Mitglied ist über siebzig. Die einstige Hochburg beginnt, nicht zuletzt altersbedingt, zu bröckeln. Auch wenn die Wahlergebnisse der Linken in Potsdam immer noch vergleichsweise hoch ausfallen, sinken die Stimmen für die Partei in den letzten Jahren beständig.

Kein Wunder, denn der erste Eindruck einer lokalen Volkspartei täuscht. Die Basis ist kein Abbild der Gesellschaft, sondern das einer spezifischen Generation. Eine Generation, die, in den 1940er Jahren geboren, unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges lernte, innerhalb der DDR zu funktionieren. Nach dem Mauerfall waren viele aufgrund der sich grundlegend veränderten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen gezwungen, neue berufliche Wege zu gehen. Häufig standen sie dabei vor den Scherben ihrer bisherigen Karriere.[1] Diese spezifischen Erfahrungszusammenhänge minimieren das Sensorium für die Lebenswelten der jüngeren Geburtskohorten. Die Potsdamer LINKE hat Schwierigkeiten, die Jugend für sich zu gewinnen. Andererseits sind die alten Genossen ein wichtiges Fundament für die Partei. Ihre Mitgliedsbeiträge sichern das finanzielle Überleben, sie sind engagierte Wahlkampfhelfer und übernehmen Aufgaben, die andere Parteien in Potsdam aufgrund ihrer dünnen Personaldecke schon an externe Firmen abgeben mussten. Jedenfalls: Der Spagat zwischen Jung und Alt ist es, der die Partei an ihre Grenzen bringt.

In den Gesprächen und den politischen Talkrunden auf dem Sommerfest zeigt sich deutlich, was Kommunalpolitik bedeutet. Es sind nicht die Zerwürfnisse in der Parteiführung, nicht die verschiedenen Stellungnahmen der Parteiströmungen zur Programmdebatte und auch nicht die richtige Haltung zum Kommunismus, die die Menschen hier umtreiben. All das, was sich im gar nicht so weit entfernten Berlin abspielt und so gerne von den Medien, aber auch der Politikwissenschaft als Sinnbild für den Zustand der gesamten Partei herangezogen wird, spielt hier nur eine Nebenrolle. Stattdessen geht es um Stadtteilplanung und Mietkosten, um die medizinische Versorgung und den öffentlichen Nahverkehr. Politik im Kleinen eben, Politik im eigenen Erfahrungsbereich. Das Problem: Dieser Erfahrungsbereich ist zugeschnitten auf die ältere Generation.

Die Partei kann sich also nicht mehr darauf verlassen, dass die tatsächlichen Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger durch die Mitglieder in die Partei hineingetragen werden. Wo früher die Parteibasis die Meinung eines relevanten Teils der Gesellschaft abgebildet hat, setzt die Linke heute auf eine Bürgerbefragung, um zu erfahren, was die Menschen eigentlich bewegt und wo Handlungsbedarf besteht. Die Partei will damit aber auch zeigen, dass sie sich für die Bedürfnisse der Menschen, den umfassenden Erfahrungsbereich interessiert und sich nicht aus diesem zurückzieht. Jedoch zeigt sich auch hier das Problem einer spezifischen Altersklasse, die von der Partei angesprochen wird. Von den insgesamt 1024 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind gerade ein mal 84 unter 35 Jahre alt. 401 der Befragten sind über 70.

Die Bürgerbefragung ist auf Initiative einer Gruppe von jüngeren Parteimitgliedern durchgeführt worden, die sich vorgenommen hat, die Partei wieder zu öffnen. Anders als das Gros der älteren Mitglieder haben sie die Friedliche Revolution 1989 als Kinder erlebt und die prägenden Jahre ihrer Jugend im wiedervereinigten Deutschland erfahren. Zahlenmäßig noch vergleichsweise klein drängt diese Gruppe innerhalb der Partei immer mehr in die Offensive. Der Altersdurchschnitt des Kreisvorstandes der Linken in Potsdam liegt mit 45 Jahren weit unter dem Landesdurchschnitt, der Kreisvorsitzende ist knapp über 30. Mit neuen Themen wie die Gentrifizierung und ein alternatives Kulturprogramm wollen sie das junge studentische Milieu gewinnen. Aber auch die Struktur der Partei selbst soll offener gestaltet werden. Die alten Basisorganisationen aus kleinen aktiven Gruppen, die teilweise noch in jeder Hochhaussiedlung vorkamen, sind durch übergeordnete Ortsverbände ersetzt worden. In den größere Gebiete umfassenden Verbänden sind nun mehr junge Leute aktiv, so dass deren Einfluss, beispielsweise bei der Wahl von Delegierten für Parteitage, insgesamt gestiegen ist. In der momentanen Lage der Partei sehen die jüngeren Mitglieder durchaus auch eine Chance, immerhin ist man auf sie dringend angewiesen. Ihre Stimme, so sagen die jungen Aktiven selbstbewusst, zählt hier mehr als in anderen Parteien.

Und so nimmt im Laufe des Tages auch die Zahl der jungen Besucher auf dem Sommerfest der Linken in Potsdam zu. Um fünf Uhr abends, als der letzte Talk über die Stadtpolitik über die Bühne gegangen ist, wirkt das Publikum schon wesentlich jünger. Später am Abend, wird das Bürgerfest in ein „red summer open air“ übergehen und Musik gespielt, mit denen die älteren Parteimitglieder wohl wenig anfangen können. Dann wird sich der Generationswechsel, zumindest hier zwischen den Bierbänken, schon vollzogen haben.

Jonas Rugenstein ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Die vorliegende Reportage ist Grundlage des Artikels “Stolze Festungen oder potemkinsche Dörfer? Erkundungen von Hochburgen der deutschen Bundestagsparteien?” von Christian Werwath, erschienen in INDES, Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 1/2012.


[1] Vgl. Ahbe, Thomas/Gries, Reiner: Die Generationen der DDR und Ostdeutschlands. Ein Überblick, in: Berliner Debatte Initial 17 (2006) 4.