G7-Gipfel: Protest in der Provinz

Beitrag verfasst von: Florian Finkbeiner, Lars Geiges, Hannes Keune u. Julian Schenke

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[kommentiert]: Ein Vorausblick auf die Proteste der G7-Gegner.

Gipfelproteste zählen für die globalisierungskritische Bewegung zu den größten Bühnen ihres Protests. Konfrontative Protestverläufe gab es während der Tagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Prag (2000), dem Treffen der EU-Finanzminister in Malmö sowie dem EU-Gipfel in Göteborg (beide 2001). Beinahe zu Mythen geronnen sind die von gewaltsamen Auseinandersetzungen geprägten Proteste anlässlich der WTO-Konferenz im November 1999 in Seattle sowie die ebenso von heftigen Straßenschlachten geprägten Zusammenstöße rund um den G8-Gipfel in Genua, der im Sommer 2001 stattfand. Im selben Jahr trafen sich im brasilianischen Porto Alegre zudem erstmals Globalisierungskritiker zu einem „Gegengipfel“, auf dem sie das Weltsozialforum begründeten, um über Verfehlungen einer als neoliberal wahrgenommenen Globalisierung zu diskutieren – gleichsam also eine bestehende Wirtschaftsordnung zu kritisieren, die zulasten von Menschen und Natur gehe. „Eine andere Welt ist möglich“, so lautet die damals geprägte Losung dieser jungen transnationalen Bewegung. Auch wenn diese Bewegung keineswegs aus dem Nichts kam, Vorläufer in den 1980er und 1990er Jahren besitzt, meinten Beobachter wie Aktivisten selbst, dem Beginn eines neuen Protestzyklus beizuwohnen.

Seitdem ist viel passiert. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben die im expandieren begriffene „Bewegung aus Bewegungen“ (Dieter Rucht) geschwächt. Insbesondere der internationale Terrorismus löste globale Sozial-, Wirtschafts- und Finanzfragen beinahe im Wortsinn über Nacht als zentrales weltpolitisches Thema von der Agenda ab. Auch dies ist ein Grund, dass Gipfeltreffen vermehrt in der übersichtlichen Peripherie abgehalten wurden statt in den Straßenschluchten der Großstädte. Nicht mehr Toronto (1988), Paris (1989), London (1991) oder Tokio (1993) hießen fortan die Orte der Zusammenkünfte der Gruppe der Sieben – beziehungsweise der Gruppe der Acht (mit Russland) –, sondern Kananaskis (2002), Évian-les-Baines (2003), Gleneagles (2005) oder L’Acquila (2009). Allesamt ländliche Landstriche, Urlaubs- und Erholungsorte fern der Metropolen, die einfacher zu überwachen, zu schützen, auch abzuriegeln waren und somit Gegenproteste deutlich erschwerten.

Den Gipfelgegnern hat man also die urbanen Protestplätze entzogen – und das war auch zu merken. Aufsehenerregende Demonstrationen – nicht nur wegen der Gewalt, sondern auch und v.a. wegen bunter breiter Protestchoreografien – blieben weitgehend aus. Eher als Ausnahme gelten die Proteste in Heiligendamm 2007 (von denen medial jedoch vor allem das Gewaltthema transportiert wurde)[1]. Die verschiedenen Bündnisse hatten über die Dauer von insgesamt zwei Jahren ihre Aktionen akribisch vorbereitet. Vor allem aber: Sie wurden einheitlich organisiert, aufeinander abgestimmt, von den ressourcenstarken Zusammenschlüssen gestützt.

Und in diesem Jahr?

Wieder findet der Gipfel in der Provinz statt, diesmal auf dem oberbayrischen Schloss Elmau. Doch anders als im Vorfeld des G8-Treffens an der Ostseeküste vor acht Jahren sind sich die 2015 beteiligten Protestgruppen uneins über die Ausrichtung ihrer Aktionen, die Wahl des Protestortes und auch die inhaltliche Stoßrichtung. Es haben sich zwei Bündnisse gebildet, die weitgehend getrennt voneinander protestieren. In München – gut 100 Kilometer vom G7-Tagungsort entfernt – wird an Fronleichnam unter dem Motto „G7-Demo. TTIP Stoppen! Klima retten! Armut bekämpfen“ eine Großdemonstration stattfinden. Dazu aufgerufen und mobilisiert hat ein gemäßigt reformistischer Unterstützerkreis: Neben einigen NGOs wie attac oder dem BUND finden sich darin Anti-TTIP-Gruppen, die Jusos und die Internetaktivisten von Campact. Gruppierungen also, die über die Mittel verfügen, mehrere 10.000 Menschen zu bewegen, so wie im April dieses Jahres, als just in der bayrischen Landeshauptstadt 20.000 Menschen gegen das Freihandelsabkommen TTIP auf die Straßen gingen. Begleitet wird die Großdemonstration von einem zweitägigen „Internationalen Gipfel der Alternativen“, getragen von linksalternativen NGOs, kritischen Wissenschaftlern, Parteien und Gruppen aus der in München traditionell starken Friedensbewegung.

Das zweite Protestbündnis, das sich „Stop G7 Elmau“ nennt, konzentriert seine Aktionen auf Garmisch-Partenkirchen, in zwanzig Kilometern Distanz zu Schloss Elmau sowie umliegenden Orten. Man will seinen Protest möglichst nahe am Tagungsort Ausdruck verleihen. Eine Aktionswoche vom 3. bis zum 8. Juni mit Dauerkundgebung, Protestmärschen, Blockaden und Protestcamps ist geplant, gleichwie gegen mehrere Protestanmeldungen Einschränkungen und Verbote ausgesprochen wurden. In welchem Rahmen hier Protest gestattet sein wird, bleibt abzuwarten. Die für den Raum Garmisch-Partenkirchen geplanten Aktionen einschließlich einer Großdemonstration am Sonnabend vereinen v.a. linke bis linksradikale Gruppen, die zuvorderst eine antikapitalistische, antiimperialistische und friedenspolitische Ausrichtung haben. Neben für die Organisation wichtigen, klassisch linken Zusammenhängen wie der SDAJ und einigen Antifa-Gruppen zählen aber auch NGOs und Verbände, kirchliche Vereine, die Partei Die LINKE sowie einige Gewerkschaften zu den Unterstützern des Aufrufs.

Auch wenn es vereinzelt Unterstützungsbekundungen für das jeweils andere Bündnis gab: Mitunter liegen Welten zwischen gemäßigteren und radikaleren Gipfelgegnern. Insbesondere die Frage nach dem Grad des zivilen Ungehorsams bzw. der Militanz während der Aktionen rund um den Gipfel trennt die Bündnisse. Genauso verhält es sich mit der inhaltlichen Ausrichtung der verschiedenen Akteure: Der Protestanlass mag kurzzeitig verbinden; linksradikale Politik mit Finanztransaktionssteuer oder NGO-Lobbyismus zu versöhnen, erscheint indes weiterhin schwierig. Offenbar aus diesen Differenzen heraus entwickelten Beobachter aus Politik und Medien die Unterscheidung zwischen legitimem zivilgesellschaftlichen Protest des Münchener Bündnisses auf der einen Seite sowie „linksautonome[n] Krawallmacher[n]“[2] in Garmisch-Partenkirchen und Umgebung auf der anderen Seite.

Insbesondere in Rekurs auf die Gipfelproteste der 2000er Jahre und die Ausschreitungen bei den Frankfurter Blockupy-Protesten in diesem Jahr wird z.T. eine Kulisse beschrieben, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Mobilisierungsfähigkeit der Gipfelgegner zu stehen scheint.[3] Zum Vergleich: Gen Heiligendamm mobilisierte allein Berlins linke Szene fünfzig Busse, während für Elmau nicht einmal fünf Busse aus der Bundeshauptstadt angekündigt sind. Zudem gibt es eine nur marginale Mobilisierung innerhalb der (radikalen) Linken anderer europäischer Staaten – was auch daran liegen dürfte, dass die gut vernetzten kommunistischen Zusammenschlüsse „…ums Ganze!“ sowie die „Interventionistische Linke“, anders als noch in Heiligendamm, gar nicht bzw. nur rudimentär an der Organisation der Proteste beteiligt sind. Bei Blockupy hatte dies ebenfalls noch anders ausgesehen.

Fragen der Militanz und des Bündnisverständnisses mögen die beiden diesjährigen G7-Zusammenschlüsse voneinander trennen: Blickt man auf die Mobilisierungskampagnen, finden sich hingegen auch Gemeinsamkeiten unter den Bündnisakteuren beider Seiten: Gipfelgegner bedienen sich bei der Rahmung ihres Protestes vergleichbarer Projektionen, die hauptsächlich auf eine Gegnerschaft zu den Vereinigten Staaten verweisen.

Dabei: Die Formulierung mobilisierender Devisen, griffiger Slogans, eingängiger Parolen in und zum Protest funktioniert stets über Vereinfachung und Zuspitzung. Das war in der Geschichte sozialer Bewegungen nie anders. Eine gelungene aktivierende Ansprache verkürzt, schmückt aus, packt zu, ist selten zimperlich, ja darf es gar nicht sein. Denn nicht mit Abwägen und Ausbalancieren bewegt man die Massen, sondern mit wohlgesetzten Übertretungen und Übertreibungen, die mittels bildreicher Sprache Kontrahenten markieren, überzeichnen, karikieren; durchaus auch mit vorhandenen Ressentiments spielend.

So wird man auch bei den diesjährigen Gipfelgegnern fündig, sieht man durch die vielen Mobilisierungsaufrufe, Broschüren und Zeitungen von gemäßigten bis hin zu radikalen Gruppierungen. Bei der Ablehnung des nordatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, das mit im Zentrum der diesjährigen G7-Proteste steht, dient z.B. Teilen der Protestprotagonisten eine vermeintlich deutsch-europäische Kultur als Kontrastmittel, um eine als oberflächlich empfundene US-Unterhaltungsindustrie darzustellen. Es besteht kein Mangel an Bildern, Symboliken und Codes: die Welt im Klammergriff eines kapitalistischen Kraken, der europäische Demokratie und Kultur zerstörende amerikanische Monopoly-Kapitalist oder die verschwörungstheoretische Annahme, in Elmau würde eine kleine Elite über die Geschicke der Welt entscheiden. Bekannte Stereotype, die doch – verglichen mit vorangegangen Gipfelmobilisierungen – 2015 anscheinend schärfer ausfallen.

Fasst man zusammen, lassen sich bei den Protestträgern weniger Organisation und eine bissigere Ansprache erkennen. Was das für den tatsächlichen Protestverlauf bedeutet, bleibt abzuwarten. Demonstrationen verlaufen dynamisch. Speziell globalisierungskritische Kundgebungen haben das in der Vergangenheit gezeigt.

Florian Finkbeiner, Lars Geiges, Hannes Keune u. Julian Schenke arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Vgl. Rucht, Dieter: Nur Clowns und Chaoten? Die G8-Proteste in Heiligendamm im Spiegel der Massenmedien, Frankfurt a.M. 2008.

[2] Vgl. Schnell, Lisa: G7-Gegner gehen getrennte Wege, in: Süddeutsche Zeitung, 26.05.2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/bayern/protest-gegen-g-gipfel-getrennte-wege-1.2492706 [eingesehen am 03.06.2015]. Vgl. auch Dobbert, Steffen: „Ich hätte Herrn Putin gerne in Elmau begrüßt.“ Interview mit Thomas Schwarzenberger, Bürgermeister von Elmau, in: Zeit Online, 01.06.2015, URL: http://www.zeit.de/politik/2015-06/elmau-g7-putin-proteste-demonstrationen-buergermeister-kruen [eingesehen am 03.06.2015].

[3] Vgl. Reinbold, Peter: G7-Gipfel: Polizei wappnet sich für Randale bei Protesten, in: Merkur, 30.05.2015, URL: http://www.merkur.de/lokales/garmisch-partenkirchen/g7-gipfel-2015-proteste-schloss-elmau-polizei-wappnet-sich-fuer-randale-5058527.html [eingesehen am 03.06.2015]. Vgl. weiterhin Kaul, Martin: Furcht vor brennenden Heuballen, in: die tageszeitung, 26.05.15, URL: http://www.taz.de/!5200856/ [eingesehen am 03.06.2015], auch Bergsdorf, Harald: Steine sollen fliegen, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31.05.2015.