Funktionspartei sucht Funktion

[analysiert]: Oliver D’Antonio über den Wandel der politischen Rolle der FDP

Vier Jahre sind vergangen, seit die FDP ihren größten Triumph bei einer Bundestagswahl 2009 gefeiert hat. 14,6 Prozent der Wählerstimmen konnten die Liberalen seinerzeit erreichen. Und auch in Bayern, Hessen, Sachsen und Brandenburg triumphierte die Partei in den Jahren 2008 und 2009 teilweise mit Rekordergebnissen. Doch zwischen 2009 und 2013 scheinen Welten zu liegen. Der rasante Mitgliederzuwachs dieser Jahre und die Wahlerfolge, sie scheinen weit entfernt vom heutigen Zustand der Partei. Dabei hatte die FDP nach eineinhalb Jahrzehnten endlich wieder eine Regierungsbeteiligung erreicht, das Ziel, an das sie noch unter Helmut Kohl ihre gesamte Existenz gekettet hatte. In ihrem Selbstverständnis war sie eine „Funktionspartei“, die dazu diente, Koalitionen Mehrheiten zu verschaffen. Doch nun, da sie diese Funktion wieder erfüllte, musste sie bemerken, dass nicht nur die Republik, sondern auch die eigene Partei eine andere geworden war.

Doch der Reihe nach. Denn eine Funktionspartei war die FDP keineswegs immer gewesen. Im Gegenteil, bis in die 1960er Jahren hinein war sie allerhand, mal mittelständisch-altliberal, mal nationalistisch, mitunter sogar offen rechtsextrem und völkisch, dann wiederum offen taktierend wie beim Bündnis mit der SPD in Nordrhein-Westfalen 1956. Ideologisch hatte die FDP kein klares Profil, sondern vereinigte verschiedene, regional divergierende und konkurrierende Vorstellungswelten. Und so wechselte sie im Zeitverlauf ihre politische Selbstdarstellung mindestens genau so häufig wie ihre Parteivorsitzenden, die bei Niederlagen häufig genug als Sündenböcke herhalten mussten.[1]

Erst in den späten 1960er Jahren begann sich das Blatt allmählich zu wenden. Mit der Verdrängung des nationalliberalen Flügels unter dem damaligen Vorsitzenden Erich Mende und den vorsichtigen Vorbereitungen für ein Bündnis mit der SPD öffnete sich die FDP für neue Machtoptionen. Nach drei Jahren Großer Koalition schien das Credo der Freidemokraten zu lauten: Nie wieder Opposition!. Auch wenn sich die FDP zu Beginn der 1970er Jahre rein äußerlich einen sozialliberalen Anstrich gab – das eigentliche Programm der Führungsriege in Bonn hieß seinerzeit Machterhalt um jeden Preis. Die FDP wurde unter ihren damaligen Frontleuten Scheel und Genscher nun zu dem, was mit Funktionspartei gemeint ist. Sie wollte das „Zünglein an der Waage“ spielen, ein Scharnier zwischen den beiden Großparteien bilden, um Alleinregierungen zu verhindern, ein zeitgemäßes Korrektiv zu den Auswüchsen des Sozialismus oder den illiberalen Traditionsüberhängen des Konservatismus darstellen.

Parteinahe Politikwissenschaftler rechtfertigten diesen Schachzug oftmals mit zum Teil angestrengten Bedeutungszuweisungen, wie der Bindung von Wählern, „denen Geschichte, Programm, Organisation und Personen der FDP im Zweifel wenig, der Bestand der jeweiligen Koalition oder aber das Verhindern ihrer Alternative sehr viel bedeuten“[2]. Dazu gehörte jedoch auch, die eigene Wendigkeit zu beweisen. In den 1970er Jahren war man nach dem Urteil der Parteiführung viel zu nah an die SPD herangerückt. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts gingen die Freidemokraten nun wieder demonstrativ auf Distanz zur SPD. Auch das Klima in der Republik hatte sich nach den Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre gewandelt und so war es folgerichtig, dass die FDP wieder eine allmähliche Öffnung zur CDU vorbereitete. Als sie im Oktober 1982 den Wechsel vollzog, wendeten sich viele der überzeugten Sozialliberalen angewidert von der Partei ab. Die Funktionspartei wurde zur „Umfallerpartei“ abgestempelt. Doch die Wechsel gehörten zum Geschäft.

Der lange Schatten der Funktionspartei begann die FDP allmählich zu überwölben. Aus der maßvollen Funktionswahrnehmung wurde nun die Hybris, die Königsmacherin zu sein. In der Ära unter Helmut Kohl begann das Zeitalter der Zweitstimmenkampagnen. Die CDU-Wähler erbarmten sich, weil die Funktionspartei ja ihre Funktion erfüllte, nämlich Kohl und andere christdemokratische Regenten an der Macht zu halten oder sie erst an selbige zu bringen. Die eigene Basis war dafür kaum noch groß genug. Aufgrund der zu vergebenden Ämter und Posten schien die FDP zwar für Karrieristen interessant. Der Eintritt von Mitgliedern hingegen, die sich leidenschaftlich für die liberale Sache einsetzen und die einen engagierten Wahlkampf für die große Leitidee bestreiten, war indes kaum zu erwarten – für welche Idee sollten sie auch kämpfen?

Viel gefährlicher wurde der FDP seit den 1980er Jahren jedoch, dass sie ihre beanspruchte Funktion nicht mehr wirklich erfüllen konnte. Denn im Grunde setzt dieses Konstrukt starre Verhältnisse voraus, die es ihr erlauben, parlamentarische Mehrheiten zu stiften. Mit der Etablierung von Vier- oder Fünf-Parteien-Parlamenten oder sogar noch kleinteiligeren Konstellationen auf Landesebene reicht der Koalitionspartner FDP allein oftmals gar nicht mehr aus, um regierungsfähige Mehrheiten herzustellen. Ganz ähnlich sah es jedoch auch in Ländern aus, in denen absolute Mehrheiten über viele Jahre vorherrschten und es eines Koalitionspartners wie der FDP gar nicht bedurfte. In Bayern, Hamburg oder Bremen blieben die Liberalen schon seit den 1980er Jahren zumeist außerhalb von Landtag und Bürgerschaft.

Und auch in der eher konsensdemokratischen Kommunalpolitik[3], die feste Koalitionen kaum kennt, erscheinen die Freidemokraten vielerorts abgehängt. Ohne Funktion, ohne ideenpolitische Zielperspektive, schließlich auch ohne Repräsentanz in Stadt- und Gemeinderäten – die Funktionspartei erodierte von unten her. Im überwiegend katholisch geprägten Freistaat Bayern, der kulturell ohnehin ein schwieriges Pflaster für die Liberalen darstellt, zeigt sich dieser Zerfall der Mitgliederorganisation besonders drastisch: Rein statistisch betrachtet finden sich dort unter 10.000 Bürgerinnen und Bürgern nur fünf FDP-Mitglieder.

Die FDP reagierte, versuchte in den Jahren nach 1998, das inhaltliche Profil wieder zu schärfen: Lohn für Leistung, Steuersenkung und Bürokratieabbau waren die Schlagworte. In der zweiten Großen Koalition seit 2005 zog sie durch die plakativen Forderungen Mitglieder und Wähler an, die die Liberalen letztlich wieder an die Regierung brachten. Doch dort kollidierte die alte Funktionspartei mit der neoliberalen Programmpartei. Sie schaffte den Spagat nicht, denn für eine Programmpartei bot sie zu wenig inhaltliche Verhandlungsmasse, um Kompromisse eingehen und dennoch Profil zeigen zu können. Und für eine Funktionspartei hatte sie in den elf Oppositionsjahren schlicht zu viel versprochen.

Wenn die FDP Glück hat, landet sie bei der Wahl 2013 auf den Oppositionsbänken im Bundestag. Ohne Regierungsämter hätte sie von da an vier Jahre Zeit, sich zu überlegen, wozu die funktionslos gewordene FDP heute noch gebraucht wird. Sie sollte diese Zeit nutzen, sonst könnten noch in diesem Jahrzehnt die Lichter des parteipolitischen Liberalismus endgültig ausgehen.

Oliver D’Antonio ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1] Vgl. Lösche, Peter / Walter, Franz: Die FDP. Richtungsstreit und Zukunftszweifel, Darmstadt 1996, S. 37 ff.

[2] Dittberner, Jürgen: FDP – Partei der zweiten Wahl, Opladen 1987, S. 151.

[3] Vgl. Holtkamp , Lars: Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie. Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie, Wiesbaden 2008.