Eine ganz normale Karriere

[kommentiert]: Daniela Kallinich über den Karriereweg von François Hollande.

Außenpolitik ist die Paradedisziplin der französischen Präsidenten, sie ist ihre „domaine reservé“ – hier kann ihnen niemand ins Handwerk pfuschen. Entsprechend besucht der neue französische Präsident François Hollande derzeit mit von Amtsstolz geschwellter Brust die europäischen und internationalen Gipfel und hinterlässt gerade in der deutschen Wahrnehmung zwar nicht überraschende, aber doch irritierende Duftmarken. Dabei wäre sein Einzug in den Élysée-Palast vor gar nicht so langer Zeit noch eine kuriose Spekulation gewesen.

Nach dem zunächst noch gewöhnungsbedürftigen, dann aber fast liebgewonnen Partner Nicolas Sarkozy muss sich die deutsche Politik nun auf einen neuen Stil und andere Schwerpunkte auf der gegenüberliegenden Seite des Rheines einstellen. Ob aus dem vielzitierten Führungsgespann „Merkozy“ nun „Merkhollande“ werden kann, bleibt abzuwarten, ist doch François Hollande ein völlig anderer Politikertypus als sein Vorgänger. Während Sarkozy sich in einer jahrzehntelangen „Ochsentour“ vom Stadtratsabgeordneten zum Präsidenten hochgearbeitete, hat Hollande fast mustergültig den „klassischen Weg“ einer politischen Karriere in Frankreich beschritten.

Frankreichs neuer Präsident stammt aus dem normannischen Rouen, nordwestlich von Paris. Als Teenager zogen seine Eltern mit ihm in den schicken Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, wo er die besten Schulen besuchte. Er absolvierte danach alle klassischen Stationen der französischen Elitenausbildung: Nach der Sciences-Po machte er einen Abschluss an der renommierten privaten Wirtschaftshochschule HEC, um danach das „Sesam-Öffne-Dich“ für spätere hohe Positionen, die ENA, zu besuchen. Diese schloss er auf dem siebten Platz im berühmt gewordenen Abschlussjahrgang „Voltaire“ ab; gemeinsam mit ihm seine spätere Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder, Ségolène Royal, und der ehemalige Premier- und Außenminister Dominique de Villepin.

Ganz typisch wählte sich Hollande als erste Wirkungsstätte seiner Beamtenlaufbahn den renommierten Cour de Comptes aus und hatte damit das Fundament für ein Leben in der administrativen, politischen und wirtschaftlichen Elite Frankreichs gelegt. Denn: Wer einmal das ENA-Diplom hat, dem wird auf Lebenszeit zugetraut, jegliche führenden Positionen auszufüllen. Gleichzeitig profitiert man vom Esprit de Corps all derer, die den gleichen Weg gegangen sind und die sich ihre Nachfolger und Berater aus diesen Reihen auswählen.

Neben seinem Studium engagierte sich Hollande auch politisch: Er unterstütze die Wahl François Mitterrands und trat 1979 der Parti Socialiste bei. Sein Engagement machte sich ebenso schnell wie seine Netzwerke bezahlt, als er 1981 nach Mitterrands Wahl erste Aufgaben im Élysée-Palast übertragen bekam. Für die politische Karriere wurde dann ein weiterer Schritt notwendig: Wie in Deutschland sind auch in Frankreich hohe politische Ämter mit einer lokalen Verwurzelung verbunden. Sollte diese jedoch nicht im Zuge einer „Ochsentour“ quasi natürlich „gewachsen“ sein, wird sie durch eine „parachutage“ (ein Fallschirmsprung aus den Pariser Höhen in die niederen Ebenen der Lokalpolitik) erzwungen.

Hollande wurde dabei anfangs ein wenig dankbarer landwirtschaftlich geprägter Wahlkreis in der Region Corrèze zugeteilt, in dem sich sein gaullistischer Konkurrent Jacques Chirac bereits ein festes Standing und eine treue Wählerschaft aufgebaut hatte. Infolgedessen kandidierte Hollande dort auch zunächst erfolglos für die Parlamentswahlen. In den folgenden Jahren reihte er jedoch wichtige Posten rund um die Regierung aneinander; Minister wurde er gleichwohl nie. Gleichzeitig verstärkte er das Engagement in „seinem“ Corrèze, wo er in einer kleinen Gemeinde Stadtrat wurde und bei den darauffolgenden Parlamentswahlen in einem anderen Wahlkreis in die Assemblée Nationale gewählt wurde. Er intensivierte seine kommunalpolitische Arbeit, indem er zum stellvertretenden Bürgermeister der Kreisstadt Tulle wurde – eines Ortes, der heute als seine politische Heimat gilt.

Mitte der Neunziger sah es zunächst so aus, als sei die politische Karriere Hollandes eingeschlafen. Er verlor sein Abgeordnetenmandat, wenig später auch sein Amt als stellvertretender Bürgermeister; für einige Zeit arbeitete er als Anwalt. Allerdings übernahm er 1992 das Amt des Sekretärs für Wirtschaftsfragen in der PS. Erst im Nachhinein sollte sich dieses parteiinterne Engagement als wichtige Stütze seiner politischen Karriere erweisen. 1995 wurde er zum Wahlkampfsprecher Lionel Jospins ernannt und nach der Wahlniederlage zum Parteisprecher befördert. Erst 1997 kehrte er in die Nationalversammlung zurück; auch auf lokaler Ebene ging es in dieser Zeit wieder bergauf. Allerdings machte ihn Jospin im Zuge der Regierungsübernahme durch die Sozialisten nicht zu einem Minister, sondern übertrug ihm vielmehr die schwierige Aufgabe, von nun an die PS zu führen – ein Amt, für das er wie geschaffen schien, wurde er doch in der eigenen Partei für seinen ausgleichenden und harmoniesuchenden Stil geschätzt.

Hollandes Bilanz war zwiespältig: In seine Amtszeit als Parteivorsitzender fiel einerseits die größte Niederlage der PS, als es bei den Präsidentschaftswahlen 2002 kein sozialistischer Kandidat in den zweiten Wahlgang schaffte. Andererseits wurde die Partei über die Jahre hinweg auf allen politischen Ebenen mit Ausnahme der nationalen zur dominierenden Kraft Frankreichs. So gewannen die Sozialisten 2004 beispielsweise 24 der 26 Regionen sowie die meisten Stimmen bei den Europawahlen. Hollande gelang es in dieser Zeit jedoch nicht, die Einigkeit der Partei zu wahren; die PS zerstritt sich über der Frage der Zustimmung zum EU-Verfassungsvertrag. Ab 2005 nahm Hollandes politische Macht in der Partei stetig ab, woraufhin er 2007 zugunsten seiner damaligen Lebensgefährtin Ségolène Royal auf eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen verzichtete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war sein Image als weicher Zauderer zementiert; politisch hatte ihn niemand mehr auf der Rechnung. Konsequenterweise kandidierte er 2008 auch nicht mehr für den Parteivorsitz.

Die politische Karriere des François Hollande schien damit beendet. Viele waren daher überrascht, als er 2011 nach erfolgreicher Wahl im Corrèze seine Kandidatur für die parteiinternen Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur verkündete. Schlanker, moderner und smarter wirkte François Hollande zu diesem Zeitpunkt. Der Rückzug aus dem Rampenlicht und eine neue Lebensgefährtin schienen ihn verändert zu haben. Insbesondere die Zähigkeit und Effizienz, die neue rhetorische Stärke und das Selbstbewusstsein überraschten die Franzosen. Noch zu einer Zeit, als Hollande kaum Stimmen zugetraut wurden, schied sein schärfster Konkurrent Dominique Strauss-Kahn im Zuge der New Yorker Sexaffäre aus dem Rennen um die Kandidatur aus. Nicht aber die Parteivorsitzende Martine Aubry, der smarte Globalisierungsgegner Arnaud Montebourg oder das Politiktalent Manuel Valls avancierten zum Favoriten. Hollande überzeugte durch seinen freundlichen Humor und sein Konzept, einfach nur „normal“ sein zu wollen. So wurde er zum Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten gewählt.

Sein größter Vorteil im Rennen um die Präsidentschaftswahl 2012 war, dass er seit März 2011 Wahlkampf für sich betreiben und dabei über mehr als ein Jahr hinweg die französischen Wähler von seinen Ideen und seinem Stil überzeugen konnte. Während Nicolas Sarkozy zu spät in den Wahlkampf einstieg, um seine schlechten Umfragewerte noch zu steigern, surfte François Hollande spätestens seit den gewonnenen Vorwahlen auf einer Welle des Erfolgs. Die Medien hatten seinen Sieg dabei seit dem Sommer 2011 nahezu herbei geschrieben.

So ist es auch kein Wunder, dass die deutsche Kanzlerin bei den internationalen Gipfeln der letzten Wochen auf einen anderen Politikertypus als Nicolas Sarkozy stieß. Die Franzosen haben sich bewusst für den „Normalo“ Hollande entschieden; dies aber auch und besonders wegen seiner europa- und außenpolitischen Positionen. Noch mit dem Hochgefühl der erfolgreichen letzten 14 Monate im Rücken und dem gleichzeitigen Wissen darum, dass seine Wähler ihm ein Einknicken in außenpolitischen Fragen kaum verzeihen würden, tritt damit ein französischer Präsident in die politische Arena, der nicht nur von Amtswegen, sondern auch aus persönlichem Selbstbewusstsein heraus sowie mit dem Rückhalt vieler Wähler versuchen wird, seine Wahlversprechen umzusetzen.

Daniela Kallinich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Sie ist Autorin einer Biografie über Nicolas Sarkozy und promoviert über das Mouvement Démocrate.