Ein Rezept für zufriedene Bürger?

[kommentiert]: Stine Marg über den „Open Data Open Government Monitor 2013“

Von Stuttgart21 über die Widerstände gegen die Elbphilharmonie bis zu den Protesten gegen die Flugrouten in Berlin, Frankfurt und München: Die Bürger demonstrieren gegen Großprojekte, äußern lautstark ihren Unmut über Infrastrukturmaßnahmen, kritisieren öffentliche Großbaustellen. In unserer Studie „Die neue Macht der Bürger“ werden derzeitige Protestphänomene umfassend untersucht. Die bundesdeutsche Demokratie, so eines der zentralen Ergebnisse, wird auch künftig mit wütenden Auseinandersetzungen über kleinere und größere Infrastrukturvorhaben zu tun haben. Vor diesem Hintergrund werden vor allem ein mehr an staatlicher Transparenz vor und während der Planung von Bauprojekten sowie eine Beteiligung der (betroffenen) Bürger angeraten. Zu dieser Forderung kommt auch eine vor kurzem vom Softwareentwickler SAS bei Forsa in Auftrag gegebene Untersuchung, deren zentralen Ergebnisse hier diskutiert werden sollen. 

Die Ausgangsfrage der Untersuchtung lautet: „Wünschen sich Bürger mehr Beteiligung?“ Für diesen „Forsa Open Government Monitor 2013“ wurden im Januar eintausend Telefoninterviews durchgeführt. Die Teilnehmer sollten eine Handvoll Fragen beantworten zur Planung und Durchführung von Projekten, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Aufgeschlüsselt wurden die Antworten nach Alter, Bildungsabschluss und Herkunft (Ost und West).

Insgesamt wünschen sich, so eines der zentralen und wenig überraschenden Ergebnisse der Umfrage, 92 Prozent der Befragten mehr Informationen über staatliche Maßnahmen, besonders wenn es um die Kosten, Alternativen und Auswirkungen der jeweiligen Projekte geht. Nur sechs Prozent der Studienteilnehmer in Westdeutschland und immerhin zwölf Prozent in Ostdeutschland interessieren sich hingegen nicht oder kaum für dieses Thema. Während immerhin neun Prozent mit einem Hauptschulabschluss nicht weiter über Großprojekte informiert werden wollen, bekunden nur vier Prozent derjenigen mit Gymnasial- beziehungsweise Hochschulabschluss ein Desinteresse an Informationen und Plänen über staatlich finanzierte Projekte.

Offenbar werden die Bauvorhaben gründlich verfolgt. Schließlich ärgerten sich 72 Prozent der Befragten in letzter Zeit über öffentliche Infrastrukturprojekte oder andere staatliche Maßnahmen. Erbost war man offenbar besonders über Kosten (76 Prozent) und Planungsfehler (75 Prozent), jedoch weniger über die negativen Konsequenzen für die Umwelt (52 Prozent) oder das eigene Leben (38 Prozent). Dies ist dann doch ein einigermaßen erstaunlicher Befund, der die vielfach geäußerte Annahme, dass Gegner von Großbaustellen und Infrastrukturprojekten lediglich ihre individuelle Idylle verteidigen und Dreck, Lärm sowie Naturzerstörung von ihrem Hinterhof fernhalten wollen, nicht bestätigen kann.

Doch man scheint über das bloße Meckern hinaus agieren zu wollen. Knapp die Hälfte aller Befragten hätte sich bei den geplanten Vorhaben gerne mit eigenen Ideen oder Verbesserungsvorschlägen eingebracht – jedoch sind über zwei Drittel der Ansicht, dass das öffentliche Projektmanagement hierfür nicht genügend Möglichkeiten bietet. Dabei überrascht es nicht, dass die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit bei jenen mit einem formal höheren Bildungsabschluss größer ist als bei denjenigen, die über einen niedrigen oder mittleren Bildungsabschluss verfügen. Gleichzeitig ist der Anteil der höher Qualifizierten, die mit den vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten zufrieden sind, um acht Prozentpunkte größer, als derjenigen, die lediglich eine mittlere oder untere formale Bildung vorweisen können.

Diese leichten Differenzen setzen sich schließlich auch in der Bereitschaft zur Partizipation bei der Planung von Maßnahmen über das Internet fort: Immerhin noch 75 Prozent der Befragten mit Abitur und Studium halten es für wahrscheinlich, sich auf diese Art einzubringen, jedoch nur fünfzig Prozent mit einem Hauptschulabschluss. Für diese Gruppe, das legt die Umfrage nahe, scheint Partizipation im Internet eine Hürde darzustellen, während hingegen für ältere Menschen das Problem immer weniger evident zu sein scheint. Immerhin 53 Prozent aller Interviewpartner könnten sich hier eine internetbasierte Mitgestaltung vorstellen.

Sicher trägt diese Umfrage einige interessante Aspekte zusammen. So ist das Bedürfnis nach mehr Partizipation altersübergreifend und unabhängig vom Bildungshintergrund offenbar groß. Auch ein Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland ist in dieser Hinsicht kaum feststellbar. Doch kontrastiert man alle Umfragen zu dem Wunsch nach mehr Beteiligung der vergangenen Jahrzehnte mit den tatsächlichen Zahlen, wird ein eklatantes Missverhältnis offenbar.[1] Und noch einen weiteren Aspekt vergisst Andreas Kießling, Director Public Sector von SAS Deutschland, in seinen Schlussfolgerungen aus der Umfrage: Menschen, denen transparente Strukturen und (virtuelle) Partizipationsangebote gemacht werden, sind nicht per se zufriedenere Staatsbürger. Immerhin steht die Studie, mit ihrer implizit geäußerten Hoffnung, im Mehr an Information und Beteiligung ein Allheilmittel gegen die „politikverdrossene Wutbürgerdemokratie“ gefunden zu haben, nicht allein.[2]

Doch die Antworten auf die einfachen Fragen von Forsa sind nicht so eindeutig, wie sie erscheinen mögen. Dies beginnt schon bei den Projekten an sich: Der Bau von Pumpspeicherkraftwerken, die Verlegung von Bahnhöfen, der Ausbau von Flughäfen oder die Trassierung von Starkstromleitungen sind überaus komplexe Projekte, die viele Jahre geplant werden, die technischen, umweltwissenschaftlichen und juristischen Sachverstand erfordern und vielfältige Interessen berücksichtigen müssen. All diese mannigfaltigen Zusammenhänge sind weder leicht zusammenstell- noch aufbereitbar. Probleme ergeben sich bezüglich der Handhabung der Informationsfülle, der Darstellbarkeit, des Daten- und Patentschutzes.

Auch wenn Informationen durch die Vorhabens- oder Projektträger bereitgestellt und Partizipationsmöglichkeiten angeboten werden, muss der Bürger selbst die Initiative ergreifen, um sich zu informieren. Er muss genügend Zeit haben, um sich in Konstruktionspläne oder Trassenvarianten hineinzudenken, er muss in der Lage sein, einen Bebauungsplan oder eine technische Zeichnung lesen zu können, er muss Selbstvertrauen haben und das nötige Vokabular beherrschen, um mit den Projektverantwortlichen und Experten in einen Dialog zu treten. Über dieses Vermögen und diese Ressourcen verfügen dann häufig diejenigen – um es hier ein wenig verkürzt darzustellen –, die sich jenseits der „familien- und berufsintensiven“ Phase befinden und einer gehobenen gesellschaftlichen Schicht zuzurechnen sind. Dass all diese kaum ein „Allgemeinwohl“, sondern individuelle oder kleinräumige Interessen vertreten, liegt auf der Hand und ist auch durchaus legitim. Jedoch wird in den mehr Partizipation einfordernden Debatten häufig vergessen, wie die Interessen der einflussschwächeren Bürger im Rahmen staatlich finanzierter Maßnahmen und Infrastrukturvorhaben berücksichtigt werden können.

Und noch etwas hat unsere aktuelle Untersuchung zu den neuen Bürgerprotesten gezeigt: Die bloße Bereitstellung der Informationen befriedigt diejenigen, die sich einbringen und mitentscheiden wollen, die derzeit gegen Infrastrukturmaßnahmen, Stadtentwicklungsprojekte, Großbaustellen oder Landebahnerweiterungen demonstrieren, eben nicht. Eher im Gegenteil: Sie argwöhnen Desinformation und Halbwahrheiten, verdächtigen Mitmachprojekte der Beruhigung dienenden Scheinpartizipation, misstrauen den Experten der Vorhabensträger und beauftragen eigene Gutachter. Diese, wie Franz Walter sie nennt, „Misstrauensgesellschaft“ fußt auf tiefergehenden Problemen der gegenwärtigen Demokratie. Mehr Information und Partizipation allein reichen hier nicht aus.

Stine Marg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Informationen zum Open Data Open Government Monitor 2013 finden sich hier. Informartionen über unsere Studie über Bürgerproteste gibt es hier.


[1] Vgl. exemplarisch: Die hier vorgestellte Studie und die Umfrage „Bundesbürger möchten sich politisch beteiligen, vor allem aber mitentscheiden“, abrufbar unter: http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_34119_34120_2.pdf [zuletzt eingesehen am 07.02.2013] und den Zahlen der Demonstrationsteilnehmer, beispielsweise in: Roland Roth u. Dieter Rucht (Hg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a.M. 2008.

[2] Vgl. exempl. Claus Leggewie: Mut statt Wut. Aufbruch in eine neue Demokratie, Hamburg 2011; Roland Roth: Bürgermacht. Eine Streitschrift, Hamburg 2011; Marco Althaus: Schnelle Energiewende – bedroht durch Wutbürger und Umweltverbände? Protest, Beteiligung und politisches Risikopotenzial für Großprojekte im Kraftwerk- und Netzausbau, in: Wissenschaftliche Beiträge der TH Wildau 2011, S. 103-114.