Ein Aufbruch sieht anders aus

[kommentiert]: Christian von Eichborn über die FDP am Scheideweg

So überstürzt die aktuellen Auseinandersetzungen und Machtkämpfe innerhalb der FDP momentan wirken, vorbereitet waren die einzelnen Akteure allemal. Denn spätestens seit Beginn der Atomkatastrophe in Japan war klar: Die Wahlen würden verloren gehen, Westerwelle würde nicht mehr zu halten sein, sich nicht mehr halten können. Nun steht die FDP vor einem Scherbenhaufen und muss sich neu ordnen. Bei den momentanen Personalentscheidungen geht es jedoch auch und vor allem um die zukünftige inhaltliche Ausrichtung der Partei. Denn mit den Fronten zwischen Rösler, Lindner, Bahr auf der einen und dem Schaumburger Kreis um Rainer Brüderle auf der anderen Seite stehen sich zwei grundsätzlich verschiedene Vorstellungen vom Liberalismus gegenüber. Egal, wer sich am Ende durchsetzt, ein Wiedererstarken der FDP ist auch nach einem Führungswechsel alles andere als sicher.

Wohlgemerkt: Eine  Zäsur in der Parteientwicklung war absehbar, schon seit Monaten hatte die FDP schlechte Umfrageergebnisse. Doch erfolgt diese nun zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn die Partei befindet sich längst in einer programmatischen Schwebe. Sie ist in wichtigen Fragen schlecht aufgestellt und hat alle vor dem Regierungseinzug angekündigten Prestigeprojekte ad acta gelegt. Eine neue Richtlinie, neue Konzepte und eine, soweit dies möglich ist, auf einem Programm basierende klare Handlungsanweisung sind noch nicht zu Ende gebracht worden. Die Nachrücker, das Triumvirat aus Rösler, Lindner und Bahr vor allem, werden sich gezwungen sehen, eine Partei zu übernehmen, die noch nicht auf neue Ziele eingeschworen ist. Nicht von ungefähr wird die Gefahr einer Spaltung der Partei intern bereits diskutiert.

Denn der Wirtschaftsflügel der FDP hat ein angekratztes Image. Themen wie Steuersenkung, Ordnungspolitik und Mittelstandsförderung sind hier immer noch zentral. Ganz gleich wie richtig einzelne dieser Politikmaßnahmen und Reformideen erscheinen mögen, haftet ihnen doch stets der Vorwurf der „thematischen Verengung“ an. Eine Machtanhäufung Brüderles würde wohl niemandem als Neuanfang erscheinen – zu ähnlich sind sich dessen und Westerwelles Positionen. Auch andere Konflikte sind absehbar: Der Wirtschaftsminister wäre einem großen Teil der Programmschreiber ein Dorn im Auge. Umgekehrt würde die Programmkommission, die akribisch an einer Ausdeutung eines „mitfühlenden“ oder „ganzheitlichen“ Liberalismus arbeitet, wohl nur Brüderles beiläufige Anerkennung erfahren. Die groß angelegte Programmarbeit könnte so zu einer Fußnote in der liberalen Geschichte werden. Darüber hinaus ist es nach den derben Konflikten zwischen Brüderle und den Julis vor und nach den Landtagswahlen in Süd-West-Deutschland nur schwer vorstellbar, dass sich die Jugendorganisation hinter einen „Weiter-so“-Parteichef stellen würden. Zu groß sind derweil die idealistischen Hoffnungen in einen neuen Liberalismus, einen sozialeren Liberalismus als neues Leitbild der FDP. Der Bundesvorstand der Nachwuchsorganisation wäre dann ein latenter Unruheherd und würde die zielorientierte Arbeit erschweren.

Auf der anderen Seite sieht es kaum besser aus. Die drei Nachrücker, allen voran Philipp Rösler, stehen für einen neuen Liberalismus. Der Gesundheitsminister gibt kaum ein Interview oder eine Pressekonferenz, in der er nicht auf den urliberalen Wert der Solidarität verweist. Er bezieht die Ideen und Vorstellungen von Chancengleichheit und notwendigen sozialstaatlichen Maßnahmen konsequent in seine Konzeption vom Liberalismus mit ein. Die Umsetzung dieser Ideen wäre ein tatsächlicher Neuanfang, ein Aufbruch. Doch auch hier gibt es Probleme.

Zunächst: Rösler ist zwar intellektuell versiert, seine Ideen und Vorstellungen sind zuweilen jedoch zu komplex und nur schwer zu vermitteln, egal ob nun in der Partei oder in der Öffentlichkeit. Die Vereinbarkeit von Wirtschaftsliberalismus und sozialer Politik zu erklären, die verschiedenen Ebenen des Begriffs Liberalismus einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist eine Mammutaufgabe. Darüber hinaus profiliert sich Rösler derweil nicht gerade als aussagekräftiger und zielstrebiger Politiker. Er wartet ab und man gewinnt den Eindruck, er lässt sich geradezu bitten, die Parteiführung zu übernehmen. Ein Sturm an die Spitze sieht anders aus. In Berlin zu sein widerstrebt dem jungen Vater, der kurz vor seiner Beförderung als Bundesminister sein Leben langfristig in Hannover geplant hatte. Ob das zögerlich anmutende Verhalten nun Schwäche, Unlust oder Respekt vor dem Ziehvater Guido Westerwelle ist, bleibt unklar. Einschüchternd jedenfalls wird das Verhalten des Gesundheitsministers auf die wirtschaftsliberale Konkurrenz wohl nicht wirken – eher könnte dies diese animieren, dem jungen Parteivorsitzenden die nötige Loyalität zu verweigern. Die Julis hingegen erwarten von ihrer Wunschbesetzung Rösler, dass er nach Amtsantritt „Kante zeigt“ und den Neuanfang in der FDP vorantreibt.

Zum größten Problem des Philipp Röslers dürfte jedoch werden, auf Grundlage seiner neuen und eigenen Vorstellungen des Liberalismus Wähler zu gewinnen. Schließlich wurde die FDP zuletzt nicht dafür gewählt, eine sozialliberale Politik zu gestalten; es waren die Parolen der Steuersenkung, die die Wähler 2009 anzogen. Ebenso bei der letzten Landtagswahl in Baden-Württemberg. Gefragt, weshalb man sich für die FDP entschied, gaben 56 Prozent der Wähler an, dass sie die Wirtschafskompetenz der Liberalen überzeugt habe. Deutlich dahinter lag mit 26 Prozent die „Schulpolitik“ – und damit das Festhalten der FDP am dreigliedrigen Schulsystem in Baden-Württemberg. „Sozialpolitik“ findet sich weit abgeschlagen auf den hintersten Wahlmotiven. Das Bild vom „falschen Wähler“ ist etwas, das einem häufiger begegnet, wenn man in dem hochmotivierten und aufbruchsbereiten Milieu junger FDPler stöbert. Ob sich auf dieser Basis mittelfristig Erfolge feiern lassen, ist fraglich.

Denn ein zu schneller oder unvorbereiteter Umschwung – noch einmal: das neue Programm ist noch nicht vollends ausgearbeitet – könnte auch die letzten Wähler verschrecken. Die mittelständischen Unternehmer, die noch immer die größten Wähleranteile stellen, könnten sich durchaus irritiert, gar enttäuscht zeigen und schlussendlich abwandern.

Zusammengefasst: Kurz vor dem anstehenden Parteitag steht die FDP vor einer Zerreißprobe: Auf der einen Seite steht die bekannte pragmatische Wirtschaftspolitik eines Rainer Brüderle, die die Reformbemühungen der letzten anderthalb Jahre gefährdet. Dem gegenüber befindet sich der progressive Kern um Philipp Rösler. Mit ihm an der Parteispitze läuft die FDP jedoch Gefahr, eine schwache Führung zu etablieren, die auch die bisherige Stammwählerschaft vergraulen könnte. Der Neuanfang in der Ära nach Westerwelle könnte demnach ebenso schnell vorbei sein, wie er begonnen hat.

Christian von Eichborn arbeitet als studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.