Die Zukunft soll wieder rot werden

[analysiert]: Jens Gmeiner über den Parteikongress der schwedischen Sozialdemokratie.

2014 soll es endlich soweit sein. Dann wählt Schweden und die Sozialdemokraten hoffen, die Macht in ihrem einstigen Stammland zurück erobern zu können. Die Partei stellt in dieser Woche die Weichen auf ihrem Parteikongress in Göteborg. Die skandinavischen Vorzeigegenossen, die seit den 1930er Jahren fast durchgängig regiert haben, verharren seit 2006 in der Opposition. Was damals noch als Unfall aussah, entpuppte sich vier Jahre später als politischer Trend. Statt Rot wurde 2010 erneut Blau gewählt. Das sind die Farben der konservativen Hauptkonkurrenz. Unter Führung der konservativen „Moderaten“ konnte eine bürgerliche Vier-Parteien-Koalition die Regierungsmehrheit zum zweiten Mal gewinnen – eine historische Wende im sozialdemokratischen „Volksheim“.

Zwar regiert seit 2010 nur noch eine bürgerliche Minderheitsregierung, aber die Sozialdemokraten wurden erneut abgestraft. Und das auf hohem, nie zuvor gekanntem Niveau. Sprach man im Jahr 2006 noch von der „Katastrophenwahl“, als die Sozialdemokraten 35 Prozent erreichten, dann dürften die Worte für die dürftigen 30,7 Prozent vier Jahre später noch drastischer ausgefallen sein. Das Vorbild der europäischen Sozialdemokratie war nun auch in den Niederungen der Schwesterparteien angekommen. Der Mythos des „roten Schwedens“ war spätestens seit der Wahl 2010 dahin.

Die Partei hatte damals zum ersten Mal ein formelles Bündnis mit Grünen und Linkspartei angestrebt. Und auch mit Mona Sahlin stand zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der schwedischen Genossen. Beides war nicht von Erfolg gekrönt, sondern brachte den brüchigen sozialdemokratischen Tanker weiter in Schieflage. Sahlin zog dann die Konsequenzen aus der Wahlniederlage und trat als Parteivorsitzende zurück. Bis dahin war die nur vierjährige Amtszeit von Sahlin ein Negativrekord. Aber es kam noch schlimmer.

Ihr Nachfolger, der eher unbekannte schnauzbärtige Verteidigungsexperte Håkan Juholt, trat nach innerparteilichen Querelen, Kommunikationspannen und einer medial aufgeblähten Wohnungsaffäre zurück. Er stand gerade mal zehn Monate an der Spitze der Partei. Auch die Chaosmonate unter Juholt waren handfeste Symptome für das Siechtum der einstigen Staatspartei. Von Beständigkeit, Loyalität und Regierungsvermögen – einst Kerntugenden der Sozialdemokraten – war nicht mehr viel übrig geblieben. Die Oppositionsdepression hatte die Partei endgültig paralysiert: personell und inhaltlich.

Aber das ist Schnee von gestern. Die Partei schöpft dieser Tage wieder Mut auf ihrem Parteikongress, der traditionsgemäß immer im Jahr vor der Parlamentswahl abgehalten wird. Vom 3. bis 7. April werden in Göteborg die zentralen Weichenstellungen für den angestrebten Machtwechsel 2014 verabschiedet. Und die Botschaft ist klar: Die Vergangenheit war rot und die Zukunft wird es auch wieder werden. Auch wenn es einiger Kurskorrekturen bedarf.

Die Sozialdemokraten wittern wieder Morgenluft, nachdem im Januar 2012 ein gelernter Schweißer als Parteivorsitzender gewählt wurde. Stefan Löfven heißt der Hoffnungsträger, der in die Fußstapfen von Olof Palme treten soll. Der ehemalige Vorsitzende der Metallgewerkschaft soll die Wirtschaftskompetenz der Partei wieder ins Zentrum rücken, um sie an die Schalthebel der Macht zurückzuführen. Kein leichtes Unterfangen für einen Gewerkschaftsfunktionär, der vorher noch nie ein hohes politisches Amt begleitet hat. Löfven lässt aber keine Zweifel daran, wie er den Tanker mit Schieflage wieder in ruhiges Fahrwasser navigieren will.

Beschäftigung, Ausbildung und wirtschaftliche Innovation, das sind seine Kernthemen.  Eigentlich traditionelles Terrain der Sozialdemokratie, aber vom brüchigen Wohlfahrtsstaat und steigenden Ungleichheiten spricht Löfven merklich weniger. Und der Parteivorsitzende geht noch weiter. Bei seiner Sommerrede im Stockholmer Vasapark im letzten Jahr umgarnte er mit einigen Vorschlägen sogar die Arbeitgeber. Der Staat, so Löfven, sollte vor allem bei kleineren Unternehmen die zweite Woche des Krankengeldes für Arbeitnehmer übernehmen, um die Weiterbeschäftigung zu sichern. Der Pragmatiker und Konsenspolitiker Löfven, der auch in der Industrie geschätzt wird, weiß, auf was es bei der Wahl 2014 vor allem ankommen wird: auf eine glaubhafte Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik.

Im September 2012 veröffentlichte die Parteiführung in der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ deshalb eine Fünf-Punkte-Agenda mit dem Namen „Geschäftsplan für Schweden“. Auch hier war die Botschaft klar: Sozialdemokraten können für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen und nicht nur Geld ausgeben. Wer in Zukunft Wirtschaftskompetenz und Sozialkompetenz haben will, der solle auf die schwedische Sozialdemokratie mit ihrem „Geschäftsplan“ setzen.

Und noch mehr wurde für die Modernisierung getan. Die Partei nennt sich seit November 2012 „Zukunftspartei“, was auch im Logo der Sozialdemokratie sichtbar wird. So prangt neben der roten Rose nun der Zusatz „Zukunftspartei“. Auch hier ist der Kurs klar – zumindest der nach außen suggerierte. Die schwedischen Sozialdemokraten wollen weg vom Bewahrer-Image des alten „Volksheimschwedens“ und mit der Moderne in Verbindung gebracht werden. Die politische Stärke der Vergangenheit muss in der Zukunft neu erkämpft werden, so der Tenor. Mit neuen Lösungen und neuen Angeboten an die beweglichen Wählerschichten in der Mitte versuchen die schwedischen Genossen in den breiten Arbeitnehmerschichten wieder Boden gut zu machen. Dies ist auch bitter nötig. Bei der Wahl 2010 wählten gerade noch knapp über zwanzig Prozent der Erwerbstätigen die Sozialdemokraten.

So werden die schwedischen Sozialdemokraten auf ihrem Parteikongress nicht nur ein neues Parteiprogramm verabschieden, das sie näher an die Moderne heranrücken soll. Es werden wohl auch inhaltliche Weichenstellungen eingeschlagen, die sich mehr an der bürgerlichen Politik der letzten Jahre orientieren. Denn: Will die Partei wieder breite Arbeitnehmerschichten gewinnen, kann sie auch die mehrmaligen Steuersenkungen der bürgerlichen Regierung nicht wieder rückgängig machen. Dasselbe gilt für die umfangreichen Privatisierungen im Pflege- und Wohlfahrtssektor. Ein Rollback vor das Jahr 2006 würde jedenfalls schwierig werden, gerade in Fragen der Steuer- und Wohlfahrtspolitik.

Der Kampf um die Zukunft ist somit ein Kampf um die politische Mitte Schwedens. Und dort geht es ein Jahr vor der Wahl ganz schön eng zu, weil sich weder Konservative noch Sozialdemokraten in der rechten oder linken Ecke positionieren wollen. Blau und Rot verschwimmen mehr und mehr. Von diesem Mitte-Kurs der beiden großen Parteien profitieren vor allem die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Sie kommen nach Umfragen auf über neun Prozent.

Die Chancen für einen Regierungswechsel im Jahr 2014 stehen allerdings gar nicht so schlecht für die schwedischen Sozialdemokraten. Auch dank der Schwäche der kleinen bürgerlichen Parteien, die eine Mitte-Rechts-Regierung benötigen. Selbst die 35 Prozent in Umfragen lassen die schwedischen Sozialdemokraten bisher nicht nervös werden. Was im Jahr 2006 noch als „Katastrophe“ bezeichnet wurde, ist nach der Wahl 2010 und der Amtszeit von Håkan Juholt fast schon wieder ein Aufwärtssignal. Die Zukunft Schwedens, sie soll wieder rot werden, auch wenn unter dem Vorsitzenden Löfven eher die Farbe hellrosa dominiert. Die gute alte Zeit aber, als Sozialdemokraten und Schweden beinahe identisch waren, ist wohl zu Ende. Der Glanz des „roten Schwedens“ hat unwiderruflich an Strahlkraft eingebüßt.

Jens Gmeiner ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Zuletzt hat er die Studie „Die ‚Zukunftspartei‘ Schwedens“ bei der FES veröffentlicht.