Die Rolle der Senioren in der Politik

[nachgefragt]: Bettina Munimus berichtet im Interview über die Rolle des Alterns in der Politik.

Bettina Munimus beschäftigt sich seit Jahren mit der Rolle des Alterns und der Älteren für und in der Politik. Mit Ihrem Aufsatz „Mehr Alte – wenige Junge: Wo ist eine Machtverschiebung zwischen den Generationen schon heute sichtbar und wie kann sie ausgeglichen werden?“ gewann sie den ersten Preis des Demografiepreises der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Im Interview berichtet sie von ihren Forschungsergebnissen.

Inwiefern kann Alter als politische Dimension verstanden werden? Bildet sich hier sogar vielleicht ein neues „cleavage“ heraus, das in der Bildung von Lagern und Parteien münden könnte?

Bislang haben sich Ältere bei Wahlen nicht anders verhalten als Jüngere. Nur weil man älter wird, wirft man nicht seine bisherigen politischen Einstellungen und Präferenzen über Bord und wählt plötzlich konservativ. Folgt man der sogenannten Kohortenthese, dann sind die als Erstwähler gemachten Erfahrungen für das spätere Wahlverhalten entscheidend. Das erfolglose Abschneiden der „Grauen Panther“ und der anderen sogenannten Rentner-Parteien macht dies deutlich. Gleichwohl wird das Alter in einer alternden Gesellschaft zunehmend politisch – vor allem weil sich die Mehrheitsverhältnisse zwischen Alt und Jung ändern. Parteien jeder Couleur werden der zunehmenden Zahl an Wählern über 60 Jahre besondere Wahlangebote machen müssen.

Welche Themen sind für die Senioren relevant?

Zunächst ist zu fragen, welche Interessen Personen haben, die sich im Ruhestand befinden und damit Empfänger von sozialstaatlichen Leistungen sind. Auch wenn die Gruppe der Senioren äußert heterogen ist, so kann man doch sagen, dass alle das Interesse an einem auskömmlichen Leben im Alter teilen. In der Rente bzw. Pension kommt die Anerkennung von Lebensleistung in materieller Weise zum Ausdruck. Studien haben dargelegt, dass Personen je nach ihrem sozialstaatlichen Status unterschiedliche Präferenzen besitzen können. Die politische Dimension des Alters greift in alternden Gesellschaften insbesondere dann, wenn bei knappen Ressourcen eine größer werdende Gruppe von älteren, aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen bestimmte Interessen hat und eine kleiner werdende Gruppe dafür aufkommen muss.

Welche Veränderungen haben im Hinblick auf die Dimension Alter in den letzten Jahrzehnten stattgefunden?

Die Strategen in den Parteien sind sich der großen Zahl der älteren Wähler bewusst – ihre Stimmen werden immer wichtiger. Bei der CDU, die stets Rentner als ihre Kernklientel ansah, wurde die Senioren-Union in den vergangenen Jahren strategisch aufgebaut, um in besonderer Weise bei Senioren zu werben. Gleichzeitig verändert sich das Bild vom Alter und Altern in fundamentaler Weise: Wir werden nicht nur älter, wir fühlen uns subjektiv auch jünger. Die in die Jahre gekommene „68er“-Generation vermeidet tunlichst, als Senioren angesprochen zu werden.

Im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 konnte man zudem beobachten, wie die damalige Große Koalition diese Wählergruppe besonders umwarb. Auch wenn die familiären Beziehungen zwischen Jung und Alt ausgesprochen positiv bewertet werden, mit Blick auf sozialstaatliche Reformen steckt hier in der Tat Potenzial für Generationenkonflikte.

In deinem Aufsatz sprichst du von der „antizipierten Macht der Älteren“, was meinst du damit?

Zwar hat die Gruppe der Älteren mehrheitlich keinen genuinen Willen, sich politisch zusammenzuschließen, um als eine große, machtvolle Gruppe in Erscheinung zu treten. Wenn der für sie wichtige Status Quo und damit ihre materielle Absicherung gewährleistet ist, gibt es für diesen Personenkreis kaum einen Grund für eine Interessenorganisation entlang des Alters.

Allerdings konnte ich in meiner Feldforschung an der Parteibasis von CDU und SPD beobachten – in den Ortsgruppen stellen über 60-Jährige die Mehrheit der Anwesenden –, dass Jüngere in gewisser Weise Themen oder Erneuerungen vermeiden, weil sie die Beharrung der Älteren fürchten. Den Älteren wird aufgrund ihrer großen Zahl Macht zugeschrieben, also im Vorhinein unterstellt. Beispielsweise erzählte eine Interviewpartnerin, es sei in ihrem CDU-Kreisverband unvorstellbar, dass jugendpolitische Themen bei Kreisparteitagen auf die politische Agenda kämen. Ältere befassten sich mit solchen Themen nicht, weil sie davon nicht mehr betroffen seien, so die Begründung. Vor dem Hintergrund des fehlenden Parteinachwuchses ist diese Entwicklung fatal.

Welche Konsequenzen hat dieses Phänomen?

Solange die Gegenwartsinteressen der Älteren unangetastet bleiben, wird es aller Voraussicht keine mächtige Interessenassoziation dieser Personengruppe geben. In alternden Gesellschaften wird es darum gehen müssen, die Zukunftsinteressen der Jüngeren zu stärken, auch um die generationenübergreifende Leitidee weiterhin zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise das sogenannte Kinderwahlrecht bei Wahlen diskutiert. In den Parteien wird bisweilen die Einführung einer Jugendquote für Vorstandsämter und Wahllisten gefordert. Meines Erachtens ist es vorrangige Aufgabe der Politik, sich Gedanken über eine zukunftssichere Interessenbalance zwischen Alt und Jung sowohl in Organisationen als auch gesamtgesellschaftlich zu machen.

Das Interview führte Daniela Kallinich.

Dr. des. Bettina Munimus ist Politikwissenschaftlerin. Sie forschte zur Interessenvertretung der älteren Generation. In ihrer Promotion befasste sie sich mit der Frage, wie sich die Parteien CDU und SPD angesichts der anhaltenden Alterung ihrer Mitgliederstruktur wandeln. Die Promotion wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert. Bettina Munimus gewann vor kurzem den ersten Preis des Demografiepreises der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.