Im Oktober 2012 sah alles noch ganz anders aus. Barack Obama war gerade wiedergewählt worden und die Demokraten hatten Grund zu feiern, auch wenn der Wahlsieg knapper ausgefallen war als noch 2008.[1] Die Republikanische Partei dagegen lag auf Bundesebene am Boden. Zwar hatten Kommentatoren und politische Beobachter schon seit längerem darüber diskutiert, doch nach dem Scheitern Mitt Romneys schien sich die Position als Konsens zu etablieren: Der demographische Wandel würde es den Republikanern in ihrer jetzigen Verfassung in Zukunft unmöglich machen, Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Diese pessimistische Einschätzung wurde nicht nur von außen an die Partei herangetragen. Schon im Dezember 2012, zwei Monate nach der verlorenen Präsidentschaftswahl, begab sich das Republican National Comittee (RNC), das nationale Führungsgremium der Partei, unter der damaligen Leitung von Reince Priebus in einen Selbstfindungsprozess. Im Zuge dieser Parteiautopsie wurden Onlinebefragungen, Fokusgruppen, Konferenzgespräche und Einzelgespräche mit Wählern, Wahlkampfhelfern, Beratern und Parteifunktionären durchgeführt. Insgesamt wurden dabei über 50.000 Kontakte hergestellt.[2] Wie zu erwarten war einer der wichtigsten Befunde, dass die Partei sich neuen sozialen Gruppen gegenüber öffnen müsse. Ohne die Unterstützung von ethnischen Minderheiten, Frauen und Jugendlichen sei nichts zu machen: „The pervasive mentality of writing off blocks of states or demographic votes for the Republican Party must be completely forgotten. The Republican Party must compete on every playing field.“[3]
In dem hundertseitigen Dossier mit dem in die Zukunft weisenden Titel „Republican Growth And Opportunity Project“ tauchten auch schon vereinzelt Namen republikanischer Politiker auf, von denen man im Zuge ihrer Vorwahlkandidatur 2016 erwartete, dass sie eben jene Strategie umsetzen könnten. So zum Beispiel Marco Rubio. Der Sohn kubanischer Einwanderer war einer der acht Abgeordneten aus der überparteilichen Gruppe um den Demokraten Chuck Schumer, die 2013 (erfolglos) versuchten, die Einwanderungsgesetze der USA zu reformieren.[4] Durch den Gesetzesvorschlag sollte illegalen Migrantinnen und Migranten ein Weg zur US- Staatsbürgerschaft eröffnet werden.[5] Gerade die Einwanderungsgesetze sind ein sensibles Thema, von dem vor allem die schon sehr große und stetig wachsende hispanische Bevölkerung der USA überproportional betroffen ist. Genau hier versuchte der Republikaner Rubio ein Zeichen der Annäherung an neue Wählerschichten setzen.
Die Öffnung der Partei in alle Richtungen sollte zum Programm werden und so auf der Bundesebene Wahlerfolge sichern. Von daher ist es auch kein Wunder, dass Beobachter, Kommentatoren und Wissenschaftler den frühen Vorwahl-Hype um Donald Trump als einen kurzfristigen Trend betrachteten.[6] Denn wenn es ein Standardwerk über den Verlauf von Vorwahlen in den USA gibt, ist es „The Party Decides“ von Cohen et al.[7] Und wie der Titel schon vermuten lässt, kommen die Autoren nicht zu dem Ergebnis, dass sich der Prozess der Kandidatenbestimmung durch die Einführung von Vorwahlen im 20. Jahrhundert grundsätzlich demokratisiert hätte. Viel eher, so die Autoren, sei die Partei ein informelles Netzwerk aus ideologischen Akteuren, die durch die Zuteilung von Wahlkampfgeldern und anderen Ressourcen wie öffentlicher Aufmerksamkeit den Prozess nach ihren Vorstellungen steuerten. Diesen Prozess bezeichnen Cohen et al. Als „invisible primary“ – die unsichtbare Vorwahl. Von dieser unsichtbaren Vorwahl war allerdings 2016 nicht viel zu sehen. Ganz im Gegenteil: Während die Partei sich auf die Fahne geschrieben hatte, gegen die geographischen und demographischen Bruchlinien anzukämpfen um Wahlen zu gewinnen, trat Donald Trump seinen Siegeszug an, indem er ebendiese Grenzen besonders betonte. Seine Wahlkampfrhetorik richtete sich auf der geographischen Ebene vor allem gegen Großstädte und das urbane Leben[8] und auf der demographischen Ebene gegen Migranten, nicht-weiße US-Amerikaner und Frauen. Wobei natürlich anzumerken ist, dass Anti-Urbanismus und Rassismus oft zwei Seiten einer Medaille sind.[9]
Im tatsächlichen Wahlkampf um die Präsidentschaft zwischen Trump und Clinton änderte sich wenig. Trump blieb bei seiner Ausgrenzungsrhetorik und die Beobachter waren sich sicher, dass er aber dieses Mal wirklich nicht gewinnen könne. Einerseits sollten sie Recht behalten, Trump konnte tatsächlich keine Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Die Wahl endete mit einem Rückstand von fast drei Millionen Stimmen für ihn. Anderseits wird der US-Präsident (vielleicht wird es auch einmal eine US-Präsidentin) aber nicht durch die Wählerstimmen bestimmt, sondern durch das electoral college, ein Gremium aus Delegierten, die aus den Bundesstaaten entsandt werden und deren Verhältnis sich nicht eins-zu-eins mit den bundesweit abgegebenen Stimmen deckt.[10] Nun konnte Trump die meisten Delegierten für sich gewinnen und das, ganz ohne sich an die strategischen Empfehlungen der republikanischen Parteiführung zu halten. Die große Mehrheit der weißen Wähler und auch Wählerinnen hatte sich für Trump entschieden, die Städte und die ethnischen Minderheiten gegen ihn. Gereicht hat es wider alle Erwartungen trotzdem.
Zwar wurde schon im angesprochenen Autopsiebericht des RNC deutlich, dass es den Verantwortlichen nur darum ging, in Zukunft Wahlen gewinnen zu können, aber nach der Wahl trat der instrumentelle Charakter republikanischer Programmatik ganz offen zutage. Reince Priebus, der 2012 für die Entwicklung der neuen Strategie verantwortlich war, wechselte ins Weiße Haus, um Stabschef zu werden. Und auch wenn er den Posten nach sechs Monaten wieder verlassen musste, gelang es Trump in der nachfolgenden Zeit, die Partei nach seinem Bilde zu formen, ohne dabei auf bemerkbaren Widerstand zu stoßen. Die Strahlkraft seines Sieges scheint jede inhaltliche Differenz zu verdecken.
Die parteiinternen Vorwahlen um Abgeordneten- und Gouverneursposten der letzten Wochen demonstrieren dies einmal mehr. In South Carolina konnte die Herausfordererin Katie Arrington den Abgeordneten Mark Sanford besiegen. Arrington warf Sanford im Wahlkampf vor, „den Kapitän zu beleidigen“ und erklärte, dass die Republikaner nun „die Partei Donald J. Trumps“ seien.[11] Trump hatte sich hinter Arrington gestellt und Sanford, der seit 2013 für die Republikaner im Kongress sitzt, in einem Tweet angegriffen. Ähnliches spielt sich auch in Virginia ab. Hier konnte Corey Stewart die Vorwahlen um die Nominierung für den Senat für sich entscheiden. Stewart brüstet sich mit der hohen Anzahl von Abschiebungen in seinem Heimatwahlkreis und spricht sich für den Bau der berüchtigten Mauer an der Grenze zu Mexiko aus.[12] Er wird dementsprechend von Trump unterstützt, kann aber ansonsten kaum Rückhalt in der Partei für sich reklamieren. Der ehemalige Vize-Gouverneur von Virginia etwa zeigte sich beschämt angesichts der Nominierung Stewarts und sprach in diesem Zusammenhang davon, dass er seine eigene Partei nicht wiedererkenne.[13]
Zunehmend scheinen sich bei den parteiinternen Machtkämpfen Kandidatinnen und Kandidaten durchzusetzen, die sich im Fahrwasser der Trump-Präsidentschaft bewegen. Der republikanische Senator Bob Corker spricht schon von einem „kultischen“ Zustand in der Partei.[14] Ob die Parteigremien und ideologischen Gatekeeper wirklich so viel zu entscheiden haben, wie Cohen et al. vor nicht allzu langer Zeit festgestellt haben, scheint also mehr als fragwürdig. Allein die Aura des Siegers und die Anziehungskraft der Macht haben die Parteistrategie innerhalb kürzester Zeit verändert. Und es sieht nicht aus, als ob die alten Parteifunktionäre oder eine neue Generation konservativer Politikerinnen und Politiker dem etwas entgegenhalten könnten.
[1] O.V.: Where Obama did better — and where he did worse, in: The Washington Post, 7.11.2012, URL: http://www.washingtonpost.com/wp-srv/special/politics/obama-better-or-worse/ [eingesehen am: 14.06.2018].
[2] Republican National Committee: Growth and Opportunity Project, 2013, S. 2.
[3] Ebd., S. 12.
[4] Nakamura, David/O’Keefe, Ed : Timeline: The rise and fall of immigration reform, in: The Washington Post, 26.06.2014, URL: https://www.washingtonpost.com/news/post-politics/wp/2014/06/26/timeline-the-rise-and-fall-of-immigration-reform/ [eingesehen am: 14.06.2018].
[5] Preston, Julia: Beside a Path to Citizenship, a New Path to Immigration, in: The New York Times, 16.04.2013, URL: https://www.nytimes.com/2013/04/17/us/senators-set-to-unveil-immigration-bill.html [eingesehen am: 14.06.2018].
[6] Zum Beispiel Nate Cohn: The Trump Campaign’s Turning Point, in: The New York Times, 18.07.2015, URL: https://www.nytimes.com/2015/07/21/upshot/the-trump-campaigns-turning-point.html [eingesehen am: 14.06.2018].
[7] Cohen, Marty et al.: The Party Decides. Presidential Nominations Before and After Reform, Chicago 2008.
[8] Wilkinson, Will: Why does Donald Trump demonize cities?, in: The Washington Post, 17.03.2017, URL: https://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2017/03/17/why-does-donald-trump-demonize-cities/ [eingesehen am: 14.06.2018].
[9] Zur Verbindung von Rassismus und Anti-Urbanismus am Beispiel von Automobilität in Atlanta siehe Henderson, Jason: Secessionist Automobility: Racism, Anti-Urbanism, and the Politics of Automobility in Atlanta, Georgia, in: International Journal of Urban and Regional Research, Jg. 30 (2006), H. 2, S. 293-307.
[10] Prokop, Andrew: Why the Electoral College ist he absolute worst, explained, in: Vox.com, 19.12.2016, URL: https://www.vox.com/policy-and-politics/2016/11/7/12315574/electoral-college-explained-presidential-elections-2016 [eingesehen am: 14.06.2018].
[11] Martin, Jonathan/Burns, Alexander: Republican Voters Embrace Trump-Style Candidates, in The New York Times, 12.06.2018, URL: https://www.nytimes.com/2018/06/12/us/politics/primary-south-carolina-virginia-nevada.html [eingesehen am: 14.06.2018].
[12] Zu finden unter dem Reiter „Issues“ auf seiner Homepage, URL: https://www.coreystewart.com/issues [eingesehen am: 14.06.2018].
[13] Bill Bolling auf Twitter, URL: https://twitter.com/lgbillbolling/status/1006707773084749824 [eingesehen am: 14.06.2018].
[14] Weigel, David/Costa, Robert/Kim, Seung Min: Republicans embrace the ‚cult‘ of Trump, ignoring warning signs, in: The Washington Post, 13.06.2018, URL: https://www.washingtonpost.com/politics/republicans-embrace-the-cult-of-trump-ignoring-warning-signs/2018/06/13/a69d9a72-6f37-11e8-bd50-b80389a4e569_story.html?utm_term=.2b214399f357 [eingesehen am: 14.06.2018].