[präsentiert]: Christian Werwath berichtet von Landesvätern und Landesmanagern im „schönsten Amt der Welt“.
Das Amt des Niedersächsischen Ministerpräsidenten zeichnet sich durch permanenten Wandel aus. Die Persönlichkeiten prägten das Amt, wie auch das Amt seine Inhaber prägte. Ein Streifzug durch die Geschichte zeigt, warum die Landeschefs gerne die Formulierung gebrauchen, ihr Amt sei das schönste Amt der Welt.
So empfand es bestimmt auch der erste Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf. Dabei war sein Regierungsstart wahrlich nicht einfach. Die britische Militärregierung legte im November 1946 durch die Verordnung Nr. 55 den Zusammenschluss der bisherigen Länder Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe sowie Hannover zum Land Niedersachsen fest. Die jeweilige politische, kulturelle und soziale Identität der Landesteile ist über einen langen Zeitraum, mancherorts bis heute, erhalten geblieben. Niedersachsens Staatsverständnis ist daher umstritten.
Der mangelnden Identifikation der Landesteile mit dem neuen Staatsgebilde widmete sich Kopf mit Verve. Er prägte das Bild des Landesvaters, indem er sich als überparteilicher Integrator inszenierte. Sein Führungsstil beruhte ganz wesentlich auf den Vorzügen seines offenen, kumpelhaften und launigen Charakters. Die hohe Beliebtheit bei den Niedersachsen war seine größte Machtressource. Hinrich Wilhelm Kopf feierte mit den konservativen Schützenvereinen auf dem Land, widmete sich dem alten Erbe der Welfen und verband als „christlicher Sozialist“ die in Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg versammelte Arbeiterschaft mit dem katholischen und evangelischen Landvolk. Niedersachsens Staatswerdung war ihm eine Herzensangelegenheit.
An diesem landesväterlichen Amtsverständnis wurde auch sein Nachfolger Heinrich Hellwege gemessen. Er schaffte es jedoch nicht, in die Fußstapfen von Kopf zu treten, zu sehr blieb er dem welfischen, national-konservativen Milieu der Deutschen Partei (DP) verhaftet. Kein Wunder, lag hier doch auch seine zentrale Machtressource. Sein Wort in Hannover galt für die gesamte Partei. Als Hellwege seine DP auch in ganz Deutschland verankern wollte, nahm er dem Landesverband dessen spezifisch niedersächsisch geprägte Identifikation. Die DP wurde zur Randpartei.
Die Amtszeit von Hellwege ebnete somit ungewollt den Weg für den Siegeszug der sammelnden und integrierenden Christdemokratie, die bald das gesamte bürgerlich-konservative Spektrum verband. Der damit einhergehende Rückzug regional tief verankerter Kleinparteien vereinfachte die politische Willensbildung in Hannover. Durch die Etablierung des Drei-Parteien-Systems erhielt das Ministerpräsidentenamt zusätzlichen Einfluss. Dieser konnte allerdings noch nicht radikal genutzt werden, das Vertrauen zwischen den in neuen Formationen auftretenden Akteuren galt als noch nicht gefestigt.
Für diese Situation war Georg Diederichs die optimale Lösung. Er war über die Parteigrenzen hinweg anerkannt, ohne als trinkfester Kumpel aufzutreten. Als bürgerlicher Sozialdemokrat mit intellektueller Schlagseite und dem Habitus eines englischen Gentlemans inszenierte er einen neuen Stil in der niedersächsischen Politik. Mit Diederichs zogen präsidiale Würde und Zurückhaltung sowie altbürgerliche Bildung in die Staatskanzlei. Im Schatten seines ausgeglichenen und integrierenden Regierungsstils und mittels der so entstehenden Freiräume verfestigten sich die Parteiformationen im Land zusehends.
Ein ähnliches Amtsverständnis hatte Kubel nicht. Er nutzte die Professionalisierung der Landespolitik, um dem Ministerpräsidentenamt mehr politischen Einfluss zu verleihen. Während seiner Amtszeit konzentrierte er zahlreiche Entscheidungsprozesse auf seine Person, baute die Staatskanzlei zu einem – seinem – Machtzentrum aus und gerierte sich als stets informiert und diszipliniert arbeitender Kärrner.
Die Amtszeit Kubels, spätestens die Amtszeit Ernst Albrechts, markierte einen doppelten Wendepunkt. Einerseits schienen Fragen des niedersächsischen Staatsverständnisses vermehrt zur Fußnote zu werden und andererseits fokussierte sich die Landespolitik zunehmend auf das Amt des Ministerpräsidenten. Befördert wurde dies wiederum durch drei neue Entwicklungen: Erstens erhielten die Bundesländer zusätzliche Kompetenzen im Föderalismus und damit mehr Einfluss auf die Bundespolitik. Zweitens bildete sich eine einflussreiche Medienlandschaft heraus, über die politische Entscheidungen und Prozesse verändert werden konnten. Drittens forderten und erhielten die Ministerpräsidenten immer wichtigere Rollen in ihren Parteien, da diese zu den entscheidenden Instanzen für die Ämterverteilung sowie für die politische Agenda im Bund, im Land und in der Kommune avancierten. Kein Wunder, dass nach Ernst Albrecht kein Politiker ohne eine Parteisozialisation und entsprechende Parteikarriere die Staatskanzlei mehr erreichte.
Bei den Christdemokraten Wulff und Albrecht zeigte sich in ihrem Verhältnis zur Partei eine auffällige Gemeinsamkeit. Beide prägte ein überparteiliches Amtsverständnis. Aus diesem Grunde benötigten sie loyale Machtmakler, die ihnen im christdemokratischen Milieu und in der Partei den Rücken frei hielten. Wulff installierte den scharfzüngigen Fraktions- und späteren Landesvorsitzenden David McAllister, der die Schwächen Wulffs ausglich und die Reihen in der Partei und in der Fraktion eng beisammen hielt. Bei Ernst Albrecht wiederum ging diese Aufgabe an den volksnah auftretenden CDU-Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann. Wulff und Albrecht wussten genau, was sie an ihren Machtmaklern hatten, und ließen sie daher auch gewähren. Auf diese Weise konnten beide eine überparteiliche, präsidiale und durchaus auch liberalere Politik durchsetzen, als es vielen an der Basis des im Kern konservativen Landesverbandes recht war.
Zwischen Gerhard Schröder und der SPD kann man ebenfalls von einem schwierigen Verhältnis sprechen. Auch Schröder versuchte den Parteiapparat zu domestizieren. Mit zahlreichen Alleingängen im Land, in der Partei und im Bundesrat inszenierte er sich als Alleinherrscher der niedersächsischen SPD sowie als Hoffnungsträger der SPD im Bund. Sein Verhältnis zur SPD war instrumentell geprägt. Für Schröder war das Amt des Ministerpräsidenten eine Basis, von der aus er weitere Aufstiegsmöglichkeiten sondieren konnte.
Bei aller Unterschiedlichkeit in der persönlichen Zielsetzung oder im Stil der Amtsführung hatten Wulff, Albrecht und Schröder eines gemein: Sie haben sich von ihrer Partei offenbar bewusst abgesetzt. Alle drei nutzten die überparteiliche Komponente des Amtes und entflohen auf diese Weise den schlechten Imagewerten der Partei(politiker). Gleichzeitig haben sie so zur Absicherung ihrer Macht über die Flexibilisierung ihrer Entscheidungsmöglichkeiten beigetragen. Wulff wie Schröder nutzten die Klaviatur des Ministerpräsidentenamtes voll aus, mal waren sie joviale Landesväter, mal zupackende Regierungschefs, mal „Oppositionsführer“ im Bundesrat gegen die Bundesregierung. Sie alle profitierten von ihren Amtsvorgängern, die viele der politischen Zugriffsmöglichkeiten erst installiert hatten.
Dass gerade die zahlreichen medialen Verflechtungen allerdings nicht immer nur vorteilhaft sein mussten, verspürte beispielsweise Gerhard Glogowski. Er blieb seinem Braunschweiger SPD-Milieu und dessen traditioneller Gepflogenheit des „Geben und Nehmens“ so eng verbunden, dass er nach nur wenigen Monaten über eine in den Medien stark aufgeblähte Affäre stolperte. Sein Nachfolger Sigmar Gabriel wiederum kämpfte mit einem regierungsmüden SPD-Landesverband, der zusätzlich unter der unpopulären Regierungspolitik des Bundeskanzlers Schröder litt. Immer wieder musste Gabriel als Motivator im Landtag in die Bütt und vernachlässigte so die repräsentative Seite seines Amtes. Der Goslarer oszillierte zwischen einer einzelgängerischen Machermentalität und dem Versuch, die Partei mit ins Boot zu holen. Das Verhalten wirkte im Verhältnis zu seinem souverän auftretenden Kontrahenten Wulff zu flatterhaft.
Das „schönste Amt der Welt“ überlässt seinem Inhaber großzügige Freiräume und setzt gleichzeitig zahlreiche Verpflichtungen. Über zu viel Freizeit kann sich der Amtsinhaber in Niedersachsen genau so wenig beklagen wie über mangelnde Einflussmöglichkeiten. Die Vielfalt des Arbeitsalltags sowie die präsidialen Weihen machten lange den Reiz des Amtes aus. Dann aber, mit dem Machtzuwachs der Parteien und der Aussicht auf bundespolitische Würden, hat das Ansehen des Amtes, als I-Tüpfelchen einer politischen Karriere, bei seinen Inhabern abgenommen. Dieser Wandel ist ein Ergebnis der Rückschau auf die niedersächsischen Ministerpräsidenten und ihre Regierungsstile – und vermutlich das eindeutigste. Die Suche nach etwaigen weiteren amtszeitübergreifenden Parallelen führt zu der fast schon banal anmutenden Erkenntnis, dass politische Führung stark von der jeweiligen Person, dem spezifischen Zeithorizont und weiteren externen Bedingungen abhängt, man also von übereilten Generalisierungen Abstand nehmen sollte.
Christian Werwath hat gemeinsam mit Teresa Nentwig und Frauke Schulz das Buch „Die Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen: Landesväter und Landesmanager“ herausgegeben.