Die Krise der Grünen in Frankreich

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[analysiert:] Teresa Nentwig über die Entwicklung der französischen Grünen und die Ursachen ihrer gegenwärtigen Malaise.

2012 standen die französischen Grünen an einem Zenit ihrer parteipolitischen Entwicklung. Zunächst stellte Europe Écologie – Les Verts (EELV), wie die Grünen in Frankreich seit Ende 2010 heißen, zwei Minister in der im Mai 2012 gebildeten Regierung unter dem Sozialisten Jean-Marc Ayrault. Während Cécile Duflot Ministerin für die Gleichstellung der Territorien und den Wohnungsbau wurde, hatte Pascal Canfin das Amt des beigeordneten Ministers für Entwicklung im Außenministerium inne. Kurz darauf, im Juni 2012, gelang es den Grünen, mit 17 Abgeordneten in die neu gewählte Nationalversammlung einzuziehen und damit zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine eigene Fraktion zu bilden.

Fünf Jahre später ist von diesem Erfolg nichts mehr übrig. Bereits Ende März 2014 teilten Duflot und Canfin, mit, dass sie unter dem neuen Premierminister Manuel Valls kein Ministeramt mehr ausüben wollten. In ihrer Pressemitteilung hieß es u.a., dass dies „keine Frage der Person, sondern der politischen Orientierung“ sei: „Die Französinnen und Franzosen erwarten nicht eine simple Veränderung der Regierungsmannschaft, sondern vor allem eine inhaltliche Richtungsänderung, die auf das Bedürfnis des Landes nach Reformen, Gerechtigkeit, Ökologie und Modernität antwortet.“[1]

Manuel Valls machte den Grünen daraufhin zwar großzügige Angebote, um sie doch noch in die Regierung zu locken. So schlug er ihnen ein „Super-Ministerium“ für Umwelt und Energie vor und sicherte ihnen u.a. einen Zeitplan für die Energiewende zu. Doch die Parteiführung ließ sich nicht umstimmen und votierte ebenfalls für den Regierungsaustritt. Zwei Jahre später, im Mai 2016, zerfiel die Grünen-Fraktion in der Nationalversammlung, ehe im Juni 2017 die parlamentarische Repräsentanz der Grünen fast komplett wegbrach: Nach 2,92 Prozent im ersten und 0,13 Prozent im zweiten Durchgang der Parlamentswahl stellt die Partei, die mit 459 Kandidaten angetreten war, nur noch einen Abgeordneten. Führungspersönlichkeiten wie der früheren Parteivorsitzenden Duflot oder dem Parteisprecher Julien Bayou gelang nicht einmal der Einzug in den zweiten Wahlgang.

Wie konnte es in einer Zeit, in der die ökologische Frage auch in Frankreich wichtiger denn je ist, so weit kommen, dass die Grünen praktisch am Boden liegen? Mehrere Gründe spielen eine Rolle. Entscheidend für die missliche Lage, in der sich EELV derzeit befindet, ist die eigene Zerrissenheit, die in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Parteiaustritten und -neugründungen im linksökologischen Spektrum sichtbar wurde. Anstatt durch inhaltliche Vorschläge zu überzeugen, waren die Grünen zuletzt vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Ein prägnantes Beispiel für diese Spaltungen liefert die Karriere von François de Rugy. Im August 2015 kündigte der damalige Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Nationalversammlung an, seine Partei, deren Mitglied er seit 1997 gewesen war, zu verlassen. Gemeinsam mit dem damaligen Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Senat, Jean-Vincent Placé, der einen Tag später seinen Parteiaustritt erklärte, gründete Rugy im September 2015 die Partei Écologistes!, die sich im Juli 2016 in Le Parti Écologiste (LPE) umbenannte. Zu Beginn des Jahres 2017 beteiligte sich Rugy, der den Vorsitz dieser neuen Partei übernahm, an der Vorwahl der Parti socialiste (PS), bei der er lediglich 3,82 Prozent der Stimmen erhielt.

Obwohl sich Rugy verpflichtet hatte, den Sieger der sozialistischen Vorwahl im Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen, schloss er sich anschließend Emmanuel Macron an. Nachdem Rugy 2007 und 2012 mit Unterstützung der PS in die Nationalversammlung gewählt worden war, gelang ihm nun, im Juni 2017, unter dem Etikett von Macrons Bewegung La République En Marche! der Wiedereinzug ins Parlament, dem er inzwischen als Präsident vorsteht. Der 43-jährige Rugy ist damit gegenwärtig die viertwichtigste Person im Staat. Angesichts dieser Laufbahn verwundert es nicht, dass seine ehemaligen Grünen-Parteikollegen enttäuscht sind und ihm Opportunismus vorwerfen.

Neben dieser Zersplitterung und den Animositäten, welche natürlich die Glaubwürdigkeit der Partei in der Öffentlichkeit untergraben, hat die Schwäche der Grünen in Frankreich aber noch weitere Gründe. Von Bedeutung ist zunächst, dass in der Politik und Verwaltung das Bewusstsein für die Dringlichkeit ökologischer Fragen fehlt; sie werden von den Technokraten nicht als Chance, als Träger eines Gesellschaftsprojektes angesehen, sondern als Zwang. Erschwerend kommt die in unserem Nachbarland herrschende Zentralisierung hinzu. Sie begrenzt die Rolle der Gebietskörperschaften und deren Möglichkeiten, auf dem Gebiet der Ökologie zu experimentieren und sich auf diese Weise Gehör zu verschaffen.[2]

Daniel Cohn-Bendit, sowohl einer der Mitbegründer von EELV als auch einer ihrer schärfsten Kritiker, sieht die deutschen Grünen hier klar im Vorteil: Unterstützt vom Verhältniswahlrecht, seien sie in den Länderparlamenten präsent, wo sie sich für ihre Vorschläge einsetzen könnten: „Sie haben eine natürliche Lebensweise in die deutschen Städte hineingebracht, mit grünen Gebieten, mit Kreislaufwirtschaft. Durch diese Erfolge sind sie im politischen Leben fest verankert. In Frankreich benachteiligt das Fehlen von konkreten Experimenten die Grünen“[3], so der frühere Europaabgeordnete.

In diesem Zusammenhang ist auch das negative Image von Vorschlägen zugunsten der Umwelt zu berücksichtigen: Da umweltpolitische Maßnahmen z.T. kostspielige Investitionen erfordern, werden sie in Frankreich als unvereinbar mit dem ökonomischen Gleichgewicht angesehen. Und schließlich hat es die politische Ökologie auch insofern schwierig, als sie teilweise mit komplizierten technischen und wissenschaftlichen Erklärungen verbunden ist, die schwer an die Öffentlichkeit zu vermitteln sind. Dies alles hat zur Folge, dass sich die französischen Grünen nur mühsam Gehör verschaffen können.

Neben diesen innerparteilichen und policy-orientierten Gründen lässt sich die Schwäche der Grünen in Frankreich aber auch philosophisch-metaphysisch erklären. Ökologisches Denken weist der Menschheit einen Platz in der Natur zu und geht von den Grenzen der Biosphäre, der Endlichkeit des Menschen und der Solidarität mit allem Lebendigen aus. Diese Konzeption steht jedoch in radikalem Gegensatz zu der Philosophie, die sich schließlich im europäischen Christentum durchgesetzt hat. Hier wird der Mensch als Geschöpf betrachtet, das über allen anderen Lebewesen steht und über die Natur herrschen kann.

Die im 17. Jahrhundert gründende Verbindung dieses christlichen Denkens, das der Natur ihren Nimbus nimmt, mit der modernen Wissenschaft, symbolisiert durch den französischen Kartesianismus, hat diesen Prozess der Trennung zwischen Mensch und Biosphäre noch beschleunigt. „Danach“, so der Philosoph Dominique Bourg, „hat das westliche Denken – ob es nun die Sozialisten oder die Liberalen waren – diese utilitaristische Konzeption verstetigt. Die ökologische Sichtweise kritisiert diese Perspektive nun aber radikal. Sie stellt das Wachstum und den Produktivismus infrage.“[4] Im Land von Descartes, das nach wie vor sehr dem Rationalismus seiner Philosophie verhaftet ist, erklärt diese Entwicklung umso mehr, warum es die politische Ökologie hier äußerst schwer hat.

Doch diese Ausgangslage bedeutet nicht, dass die französischen Grünen ihre gegenwärtige Krise nicht überwinden könnten. Im Gegenteil: Auch vor 2012 war ihre Geschichte bereits die eines ständigen Auf und Abs gewesen.[5] Mit den richtigen Personen und einem neuen Konzept, das auf die Vermittlung ökologischer Themen an die Wählerinnen und Wähler setzt und Wahlabsprachen nicht scheut, dürften sie auch in Zukunft an frühere Erfolge anknüpfen können.

Dr. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Zit. nach Besse Desmoulières, Raphaëlle: Les Verts demandent au premier ministre de clarifier ses positions, in: Le Monde.fr, 01.04.2014, URL: http://www.lemonde.fr/politique/article/2014/04/01/les-verts-demandent-au-premier-ministre-de-clarifier-ses-positions_4393451_823448.html [eingesehen am 01.08.2017].

[2] Ausführlich zum „französischen Widerstand gegenüber der Ökologie“ vgl. die gleichnamige Studie: La Fabrique Écologique: La résistance française à l’écologie. L’écologie peut-elle transformer positivement le modèle français?, Paris 2015, URL: http://cdurable.info/IMG/pdf/ba2e19_663a42d65bd24bc58e24bfe732fc1479.pdf [eingesehen am 24.07.2017].

[3] Zit. nach Joignot, Frédéric: Pourquoi l’écologie politique échoue, in: Le Monde.fr, 29.09.2016, URL: http://www.lemonde.fr/idees/article/2016/09/29/pourquoi-l-ecologie-politique-echoue_5005367_3232.html?xtmc=dominique_bourg&xtcr=19 [eingesehen am 01.08.2017].

[4] Zit. nach Ebd.

[5] Vgl. Nentwig, Teresa: Les Verts: Ein ständiges Auf und Ab, in: Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, 02.02.2012, URL: https://www.demokratie-goettingen.de/blog/ein-standiges-auf-und-ab [eingesehen am 01.08.2017].