Die elitäre Gegenelite

Beitrag verfasst von: Felix Butzlaff, Michael Freckmann

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[kommentiert]: Felix Butzlaff und Michael Freckmann über die Lage der FDP vor und nach der Hamburg-Wahl.

Ob die in Hamburg stattgefundene Wahl für die FDP wirklich eine „Eisbrecherwahl“[1] sein wird, wie von der Partei mit fester Stimme ausgerufen wird, kann sich erst in den nächsten Monaten, frühestens bei der Wahl in Bremen im Mai, spätestens dann 2017 im Bund zeigen. Seit der vergangenen Bundestagswahl 2013 verzeichnete die FDP jedenfalls konstant Umfragewerte von unter fünf Prozent und auch in Hamburg stand die Partei wenige Monate vor der Wahl noch bei zwei Prozent, erst seit Jahresbeginn 2015 hat sich dies geändert. Stellen die erreichten 7,4 Prozent bei der Hamburger Wahl nun einen neu gewachsenen Vertrauensbeweis dar für eine Partei, die versucht, sich inhaltlich, personell und farblich neu und geläutert zu präsentieren? Ist das Vertrauen in die Freidemokraten zurückgekehrt? Eine Inspektion vom Wahlkampfabschluss und vorläufigem Endergebnis könnten Indizien dafür geben.

Die Abschlussveranstaltung des Wahlkampfes findet in einem Hotel der gehobenen Klasse in der 23. Etage statt, mit glasumrankten Panoramablick über die Hamburger Innenstadt. Vor dem Eingang weisen keine Schilder auf die Veranstaltung hin, die Klientel weiß jedoch Bescheid und kommt zahlreich. Das Publikum ist eine Mischung, auf die die Anwesenden stolz scheinen: arrivierte, gestandene Unternehmer des Hamburger liberalen Bürgertums – samt Gattinnen – neben etwas aufgekratzten, prallbunten Jungliberalen aus der Kreativwirtschaft. Insgesamt allerdings im Schnitt jünger als bei vergleichbaren Veranstaltungen der volkparteilichen Konkurrenten. Neben der neuen, überall präsenten Farbe der FPD – magenta – ist auch die Bühne auffällig gewählt, nicht mehr frontal, sondern dreieckig in den Saal hineinragend: ganz nach dem Vorbild amerikanischer Town-Hall-Diskussionen. Wie Peer Steinbrück schon bei der letzten Bundestagswahl schon, befindet sich der Redner nicht mehr hinter einem Pult, sondern diskursiv frei beweglich.

Von bedrückender Sorge aufgrund der mauen FDP-Entwicklung der vergangenen zwei Jahre ist kaum etwas zu spüren: Bei Bier und Wein in bisweilen trotzig siegesgewisser Atmosphäre sprechen Katja Suding, Wolfgang Kubicki und Christian Lindner. Suding bedient dabei das Hamburger Wahlprogramm, Kubicki und Lindner sind für die liberalen Generalperspektiven zuständig.

Insbesondere der Bundesvorsitzende versucht, das Selbstverständnis der „neuen“ FDP deutlich zu machen und gleichzeitig zu unterstreichen, dass man sowohl in Kontinuität zur „alten“ FDP stehe als auch eine Korrektur all der Fehler veranlasst habe, die man vor der Wahlniederlage 2013 begangen habe. Die FDP sei für die Leistungsträger in der Gesellschaft da, so Lindner, denen durch Politik Raum für eigenverantwortliches Handeln gegeben werden müsse. Dies sei für diese besonders nötig und wichtig, da sie von den anderen etablierten Parteien „bevormundet“ und „erzogen“ würden. Lindner beginnt allerdings seinen Auftritt mit zwei in staatstragendem Ton gehaltenen „Bemerkungen“ vor seiner eigentlichen Wahlkampfrede. Eine zur Ukraine-Vermittlung in Minsk und eine weitere zu der Griechenlandproblematik. Der über einen Live-Stream zugeschalteten Öffentlichkeit teilt er darin seinen Dank an die Bundeskanzlerin für ihr internationales Engagement mit und erinnert an die ökonomisch notwendigen Pflichten Griechenlands, seine Verträge einzuhalten. Auf diese Weise will der Vorsitzende der momentan nur regional bedeutenden FDP – schließlich sitzt sie derzeit weder in der Bundes- noch in einer Landesregierung und auch nur in wenigen Parlamenten –, auf Augenhöhe mit Regierungsparteien sprechen und das potenziell Staatstragende der FDP unterstreichen. Gleichzeitig gibt sich Linder bewusst distanziert zu „den anderen Parteien“ und suggeriert durch die momentan größtenteils außerparlamentarische Position einen Außenseiterstatus. Diese beiden Widersprüche ziehen sich durch den gesamten Abend: Zum einen der Kontrast zwischen der Ablehnung einer „bevormundenden“ Elite und einem Selbstverständnis als Elite und die damit verbundene Interessensvertretung von Leistungsträgern der Gesellschaft; und zum anderen eine zweite Diskrepanz zwischen Außenseitertum und, zumindest historisch gesehen, dem Selbstbewusstsein einer Staatspartei.

Auch was die seit Januar 2015 gerade vom Bundesvorsitzenden so prominent unterstrichene Neuaufstellung der FDP anbelangt, ist vieles denn doch – gerade bei der anwesenden Basis – alter Wein in neuen Schläuchen. Die Liberalismus-Definition, welche deutlich über Wirtschaftsthemen und Steuererleichterungen hinausgehen soll, die Rolle von Bildung für die Entwicklung eines freien Bürgers – all dies ist wohlfeil und wird von den Anwesenden auch pflichtschuldig mit Zustimmung bedacht. Richtig Applaus und Jubel hingegen kommen dann auf, wenn es um den wirtschaftlichen Nutzen und die ökonomische Vernunft des Liberalismus geht: wenn Bildung für Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler steht, wenn Wachstum und Konkurrenz durch das Handeln der anderen Parteien in Gefahr geraten. Gerade das demonstrative Bemühen, ökonomische Vernunft und Liberalismus ohne anzugreifende Verkürzungen zusammenzuschmieden, ist über den ganzen Abend mit den Händen zu greifen. Besonders von den beiden von außerhalb kommenden Rednern werden Unternehmer und ihre Bedürfnisse sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Start-Ups und etablierten Unternehmen ausführlich bedacht. Seit der Gründung eines Netzwerkes zwischen Unternehmern und der FDP im vergangenen Dezember scheint eine (Wieder-)Annäherung vonstattenzugehen, welche sich auch in einem 2014 erhöhten Spendenaufkommen für die Freidemokraten niederschlägt.[2]

Überhaupt ist der Gegensatz „Wir – Andere“ ein rhetorisches Motiv, welches sich – angesichts einer Wahlkampfveranstaltung auch verständlich – durch den ganzen Abend zieht. Man wolle, so Spitzenkandidatin Katja Suding pragmatisch, im Gegensatz zu den politischen Gegnern, „unideologische“ Schulpolitik machen. Liberalismus sei das Gegenteil von Ideologie. Auch bei den anwesenden jüngeren Liberalen scheint der Begriff „Ideologie“ negativ besetzt zu sein, an dieser Konnotation erlauben sie keinen Zweifel, ökonomische Vernunft ist dabei der Gegenspieler und Rettungsanker. Ließen sich die anderen politischen Parteien, vor allem auf der linken Seite des Parteienspektrums, zu sehr einschränken von ihrer Ideologie, sei im Liberalismus diese allenfalls eine Grundlage, die jedes Mitglied individuell interpretiere. So ist diese Ablehnung von allem, was als „Ideologie“ interpretiert werden kann, auch vor dem Hintergrund des aktuell schlechten Leumunds des „Neoliberalismus“ in der öffentlichen Meinung zu verstehen. Emotional und beißend geht es dann auch bei den Themen zu, die unter Ideologieverdacht stehen: Bei Gender, Bildung, Verkehr, Umweltschutz und Ernährung wird es laut und hämisch. Besonders die Grünen werden mit ihrem Nimbus als „Verbotspartei“ zum Symbol all dessen, was man an der derzeitigen Politik schlecht, schädlich und verachtenswert findet.

Mit der AfD gemein machen wollen sich die Liberalen – natürlich – nicht. Sie weisen ausdrücklich darauf hin und sprechen sich, anders als Erstere, für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen auf. „Weltoffenheit“, die freie Entfaltung des Einzelnen stellen sie als ihre Grundsätze dar. Wissen sie doch, dass einerseits auch diese neue Alternative Wählerstimmen kosten kann, und dass andererseits für einige ihrer potenziellen Wähler an der AfD mindestens in der öffentlichen Wahrnehmung auch der Makel des Nationalen haftet. Gleichwohl sind die rhetorischen Ansätze auch im Wahlkampf da: Wenn betont wird, dass man sich an die „Hausordnung“ zu halten habe, dass es um die Integrationswilligen gehen müsse, dann ist die Zustimmung an der Parteibasis noch ein Stückchen lauter und johlender und zeigt, dass der Weg zwischen AfD und politischem Elitenkonsens in der Bundesrepublik ein schmaler Grat bleibt.

Nach der Wahl ist erkennbar, dass tatsächlich viele ehemalige FDP-Wähler in Hamburg zur AfD oder in die Nichtwahl gegangen sind.[3] Allerdings wanderte aber ein großer Teil der vormaligen CDU-Wähler zur FDP – die christdemokratische Schwäche des magersten Wahlergebnisses der CDU-Nachkriegsgeschichte glich für die Liberalen vieles aus. Dies mag auch mit der fehlenden Machtoption der CDU zusammenhängen und der Chance, mit der Stimme für die FDP als Juniorpartner für den alten und neuen Bürgermeister Olaf Scholz Rot-Grün zu verhindern. Darüber hinaus, als zweite hanseatische Besonderheit, hat die nicht sehr weit links aufgestellte SPD in Hamburg der CDU Stimmen entzogen. Und wegen der in Hamburg gepflegten Tradition sozialliberaler Koalitionen unter Klose, von Dohnanyi und Vorscherau sind liberal fühlende Bürgerliche eher dazu geneigt, der FDP statt der Christdemokratie die Stimme zu geben.

Aufgrund der Hamburger Spezifika scheint eine Übertragbarkeit des FDP-Ergebnisses auf anderen Wahlen nicht automatisch möglich. Es könnte sich allerdings ein psychologischer Effekt einstellen, der die Aufmerksamkeit der Wähler für die Partei aufgrund des hohen Ergebnisses in Hamburg zurückbringt, auch wenn die lokalen Rahmenfaktoren andernorts grundsätzlich nicht so günstig sind wie jene in Hamburg. Es wird letztendlich auf die bürgerliche Unternehmerschaft der Bundesrepublik ankommen. Wenn diese das Gefühl gewinnt, dass nur eine freidemokratische Partei die Bedürfnisse Selbstständiger und Unternehmer nachvollziehen und vertreten könne und dass eine Große Koalition ihnen zu viel politische „Gängelung“ verschafft, dann ist dem freiheitlich-liberalen Projekt durchaus noch eine Zukunft beschieden. Das Mäandern zwischen Gegenelite und Staatspartei bleibt aber kompliziert und nicht eben widerspruchsfrei.

Felix Butzlaff und Michael Freckmann arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Vgl. Weiland, Severin: FDP-Krise: Lindner träumt von der „Eisbrecher-Wahl“, in: Spiegel-Online, 15.09.2014, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fdp-in-der-krise-afd-und-cdu-greifen-nach-fdp-waehlern-a-991654.html [eingesehen am 18.02.2015].

[2] Alvares de Souza Soares, Philipp: Manager und Unternehmer wollen FDP retten, in: Manager Magazin, 03.12.2014, UR:L http://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/manager-und-unternehmer-wollen-fdp-retten-a-1006321.html [eingesehen am 18.02.2015]; vgl. auch OV: Wege aus der Bedeutungslosigkeit, in: die tageszeitung, 06.01.2015, URL: http://www.taz.de/!152293/ [eingesehen am 17.02.2015].

[3] Hebel, Christina/Trempler, Alexander: Wählerverhalten in Hamburg: AFD punktet bei Arbeitern, FDP bei Jungwählern, in: Spiegel Online, 16.02.2015, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahlverhalten-hamburg-afd-punktet-bei-arbeitern-fdp-bei-jungwaehlern-a-1018574.html [eingesehen am 18.02.2015].