„Dialekt kann ich auch“

[nachgefragt]: Die neue saarländische Ministerpräsidentin über Politik, Prinzipien und „Jamaika“

Frau Kramp-Karrenbauer, Sie werden nach der parlamentarischen Sommerpause Peter Müller im Saarland an der Spitze einer Jamaika-Koalition ablösen. Mit wem regieren Sie lieber, mit den Grünen oder mit der FDP?

(lacht) Diese Frage ist ganz schwierig zu beantworten, denn jeder Regierungspartner hat seine Eigenarten. Das hängt mit den handelnden Personen, auch mit unterschiedlichen Strukturen und der Historie in der Partei zusammen. Generell war es für die CDU im Saarland eine nicht leichte Umgewöhnung, sich nach zwei Legislaturperioden absoluter Mehrheit auf eine Koalition einzulassen, dann auch noch auf eine mit zwei Partnern. Insofern ist die Hauptaufgabe, das Gleichgewicht zu halten.

Wie würden Sie sich ideologisch verorten? Stehen Sie einem Ihrer Koalitionspartner näher als dem anderen?

Grundsätzlich gibt es bei den Grünen mehr und mehr Milieus, die uns recht nah sind, zum Beispiel im bürgerlichen Bereich. Aber es bestehen nach wie vor auch Milieus, die sehr unterschiedlich zur CDU sind, zum Beispiel die gesamte Protestbewegung. Da werden durchaus große Unterschiede sichtbar. Gerade dort berühren wir doch oft noch die FDP.

Können Sie die Jamaika-Koalitionen anderen Ländern oder auch für die Bundesebene empfehlen? Oder handelt es sich dabei um etwas spezifisch Saarländisches?

Diese Koalition ist sicher etwas sehr Spezifisches. Man muss die Situation nach den Landtagswahlen 2009 vor Augen haben: Rechnerisch hätte es für Rot-Rot-Grün oder eben für Jamaika gereicht. Die SPD hatte eine Große Koalition schon sehr frühzeitig ausgeschlossen. Hinzu kamen viele persönliche Schwierigkeiten zwischen den Grünen und den Linken. Es gab eine Reihe von Mitgliedern, die aktiv von den Grünen zu den Linken abgeworben wurden. Das lässt sich also nicht verallgemeinern. Grundsätzlich aber sollte man in einem breiten Parteiensystem, wie wir es heutzutage haben, mit allen demokratischen Mitbewerbern koalitionsfähig sein. Aus Sicht der CDU lasse ich dabei die Linken außen vor. Dann stellen sich verschiedene Fragen: Wie sind die Mehrheitsverhältnisse, was sind die Themen im Land? Anschließend beginnen die Verhandlungen, die klären müssen: Reicht es für eine Legislaturperiode? Es gilt somit: Über Koalitionen spricht man nicht, die macht man, wenn man die Möglichkeit dazu hat.

Sie werden die erste Frau an der Spitze des Saarlands sein. Bringt diese Tatsache für Sie Vor- oder Nachteile mit sich?

Heute ist es wesentlich normaler als das früher, dass eine Frau an der Spitze steht. Ich bin ja schon seit zehn Jahren Ministerin und hatte auch das Innenressort als erste und bisher einzige Frau in Deutschland inne. Des Weiteren muss man feststellen: Wir haben eine Kanzlerin. Wenn die Republik an eine Kanzlerin gewöhnt ist, was soll sie dann noch ungewöhnlich finden an Frauen in anderen Positionen? Ich spüre sehr viel Zuspruch, erfahre sehr viel Ermunterung, gerade von Frauen. Aber es gibt natürlich auch nach wie vor Vorbehalte im Land – und das weniger generationenabhängig, das geht querbeet. Scheinbar gibt es immer noch die Auffassung „Auf so einer Position wäre uns doch ein gestandener Mann lieber“. Aber das ist das Recht auf eine persönliche Meinung.

Ihr Vorgänger Peter Müller hat große Teile seiner Beliebtheit daraus gezogen, dass er hier im Saarland stark regional verwurzelt war. Wie ist Ihre Beziehung zum Saarland?

Das ist ähnlich und doch anders. Auch ich bin sehr stark verwurzelt im Saarland, bin gebürtige Saarländerin und habe meinen Lebensmittelpunkt hier. Meine gesamte Familie lebt hier. Ich fühle mich wirklich Land und Leuten sehr verbunden. Sicherlich hat Peter Müller eine ganz eigene Art, ob das jetzt der Auftritt beim Volksfest ist oder der Fassanstich. Ich werde eine eigene Handschrift haben. Da wird auch der Unterschied zwischen Mann und Frau erkennbar.

Ist es für eine Frau schwieriger, mit Dialekt und Lokalkolorit Politik zu machen?

Nein. Erstens: Dialekt kann ich auch (lacht), das hört man ja auch immer wieder. Ich bin zum Beispiel auch in der Fassnacht in der Bütt präsent als Putzfrau der Landesregierung. Mehr Volkstümlichkeit kann man nicht entwickeln. Ich bin auch gerne auf Volksfesten, ich kann auch Fässer anschlagen, das  ist ebenfalls nicht das Problem. Aber es gibt auch noch andere Zugänge, wie ich vorhin gesagt habe. Lässt es meine Zeit zu, erledige ich z. B. die Einkäufe am Wochenende selbst. Da werde ich als jemand wahrgenommen, der wie viele andere Frauen einkaufen geht. Viele Menschen sprechen mich an, sie haben Fragen oder  Probleme, zum Beispiel mit ihren Kindern oder mit der Schule. So entsteht eine Kommunikation auf Augenhöhe, bei der mich die Leute auch nicht als Ministerpräsidentin oder als Ministerin wahrnehmen, sondern einfach als jemanden, der jeden Samstag dort einkauft, wo sie auch einkaufen. Das sind Zugänge, die anders, aber nicht weniger wert sind.

Was war die wichtigste Lektion, die Sie bisher in Ihrer politischen Laufbahn gelernt haben?

Dass man klar sein und klar bleiben muss. Menschen akzeptieren meine Meinung, selbst wenn sie anderer Auffassung sind, wenn ich diese erklären kann: Warum ich dazu stehe und warum ich Entscheidungen so und nicht anders treffe. Die Menschen haben ein sehr gutes und feines Gespür dafür, ob Politik authentisch ist und ob man versucht, irgendetwas durch die Hintertür mit zu erledigen. Offen und transparent sein und sich der Auseinandersetzung stellen, das habe ich gelernt. Die zweite Erfahrung ist, dass es keinen Wert hat, Gegensätze zu übertünchen. Über kurz oder lang brechen sie immer auf. Gegensätze sollte man klar benennen. Kann man sich nicht einigen, ist erst einmal ein Dissens da. Das ist dann so. Diese Klarheit und Transparenz halte ich für sehr wichtig.

Sie haben gerade das Glaubwürdigkeitsproblem von Politik angesprochen. Wie glaubwürdig ist der überraschende Schwenk ihrer Partei in der Atompolitik?

Ich stimme dem Programm ausdrücklich zu. In Fukushima hat ein Ereignis stattgefunden, das meine Einstellung zur Kernenergie wirklich nachhaltig verändert hat. Ich war vorher sicherlich jemand, der so ein Restrisiko als theoretische Größe billigend in Kauf genommen hat. Fukushima hat uns jetzt gezeigt, dass ein Restrisiko auch in einem Industrieland zur Realität werden kann. Und wenn es sich verwirklicht, hat man die Folgen nicht im Griff, nicht regional, nicht begrenzt auf eine Generation. Bei einem solchen Einschnitt muss Politik auch die Möglichkeit haben, zu sagen: Es hat sich wirklich etwas verändert, auch meine persönliche Auffassung hat sich geändert und deshalb vollziehe ich eine Kehrtwende.

Das Problem der Glaubwürdigkeit der CDU liegt darin, dass sie vor einem halben Jahr ohne ausreichende innerparteiliche Diskussion und ohne ausreichende Diskussion mit der Bevölkerung im Grunde schon eine andere Wende vollzogen hatte: die Verlängerung der Laufzeit. Damals war der Absturz von Flugzeugen vernachlässigbar, heute spielt er beim Stresstest eine Rolle. Es ist doch klar, dass das Glaubwürdigkeit kostet. Nach epochalen Ereignissen muss man sagen dürfen: Wir müssen umdenken. Denn wenn das nicht so wäre, dann würde die CDU heute noch gegen die Ostpolitik von Brandt opponieren, würde eine Familienpolitik betreiben, die die Frau an Heim und Herd hält. „Konservativ“ heißt für mich nicht, an Positionen und den Formeln der Vergangenheit festzuhalten. An einem Kern schon, aber immer auch mit Antworten, wie sie die Menschen heute brauchen.

Sie treten nach der Sommerpause die mächtigste Position in Ihrer bisherigen Laufbahn an. Zugleich verlässt Ihr Unterstützer Peter Müller das Saarland. Steht Ihre Ministerpräsidentschaft damit auf wackeligen Beinen?

Nein. Ich bin auf dem Landesparteitag mit 97 Prozent gewählt worden. Ich habe Rückhalt in der Partei, auch ohne Peter Müller. Die Koalition ist nicht allein auf die Person Peter Müller fokussiert, sondern sie wird von einem Netzwerk an persönlichen Beziehungen getragen. Die habe ich zu meinen Kabinettskollegen, die habe ich zu den anderen Koalitionären. Ich werde Neuland betreten, keine Frage. Aber die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sind gut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Annegret Kramp-Karrenbauer ist Vorsitzende des CDU-Landesverbandes Saar und ab dem 10.08.2011 neue Ministerpräsidentin des Saarlandes.

Das Interview führte Frauke Schulz. Sie ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.