Vor einigen Jahren gab es einen Trend auf Facebook in Deutschland. UserInnen posteten auf der Plattform das Statement: „Aufgrund der neuen AGBs in Facebook widerspreche ich hiermit der kommerziellen Nutzung meiner persönlichen Daten (Texte, Fotos, persönliche Bilder, persönliche Daten). Die kommerzielle Nutzung bedarf ausdrücklich meiner schriftlichen Zustimmung.“[1] Hätte Mark Zuckerberg davon erfahren, er hätte sich wohl köstlich amüsiert. Facebook erzielte im Jahr 2017 einen Umsatz von 41 Mrd. US-Dollar, und das obwohl Facebook völlig kostenfrei für jedeN NutzerIn zur Verfügung steht. Völlig kostenfrei? „If you are not paying for it, you’re not the customer; you’re the product being sold.“
Das Geschäft, welches aus KundInnen Produkte macht, nennt sich Psychological Profiling. Dies bedeutet, die Persönlichkeit von Menschen aufgrund der von ihnen im Internet hinterlassenen Datenspuren zu analysieren. Hauptsächlich wird diese Praxis aus wirtschaftlichen Beweggründen, aber auch z.B. zwecks personalisierter Wahlwerbung betrieben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: (Wahl-)Werbung, die auf das Geschlecht, das Alter, die politische Einstellung und so weiter zugeschnitten ist, erzeugt deutlich mehr Resonanz und damit mehr Wählerstimmen, bzw. Produktkäufe. Wie treffsicher die Algorithmen funktionieren, die für die Profilerstellung zuständig sind, wird immer wieder eindrucksvoll vorgeführt, wenn die Amazon-Produktvorschläge einmal mehr genau das Produkt enthalten, was man sich schon so lange wünschte. Die Unternehmensberaterin Claudia Hilker schreibt in ihrem Buch
Digital Marketing Leitfaden, dass Amazon im Jahr 2013 bereits 35% der Umsätze durch ebendiese Produkt-Empfehlungen generierte. Bei Netflix seien ein Jahr zuvor sogar stolze 75% der angeschauten Inhalte Vorschläge der Algorithmen gewesen.[3] Verständlicherweise feiert die Autorin diese Erfolge der personell zugeschnittenen Werbebotschaften. Aus UnternehmerInnen-Sicht bergen Big Data-Analysen ein enormes Potential. Laut einer Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft e.V., aus dem Jahre 2018, rechneten 59% der befragten Unternehmen aus der Digitalbranche mit einem zukünftigen Umsatzwachstum durch Künstliche Intelligenz (KI), während 42% KI bereits als „wichtig“ und 36% als „eher wichtig“ für ihr Geschäftsmodell einschätzten.[4] Dies verwundert wenig. Big Data–Analysen sind längst nicht nur für maßgeschneiderte Werbung nützlich. Versicherungen sind äußerst interessiert an individuellen Daten, aus denen der Lebensstil eines Menschen erkennbar ist, um zu beurteilen, wie hoch die Policen angesetzt werden können, oder ob jemand für eine Versicherung zu risikobelastet sein mag. Ebenso ist es von enormem Vorteil für ein Unternehmen, die Daten möglicher zukünftiger ArbeitnehmerInnen im Vorhinein einzusehen, um ihre Bonität und Lebensumstände überprüfen zu können.
Daten gelten als das Erdöl des 21. Jahrhunderts. Web Analytics – die Sammlung und Auswertung von Daten im Internet – ist das große Geschäft. Während WirtschaftsvertreterInnen, wie Claudia Hilker, diese Entwicklungen freudig begrüßen, erscheinen sie für DatenschützerInnen und mündige BürgerInnen eher besorgniserregend. In den letzten Jahrzehnten lässt sich ein Trend erkennen, der aus der Digitalisierung entstand und sich in vier Stufen gliedert: Erstens eine Adaption der Unternehmen an das Internet, welche sich von bloßen Prozessoren des Ankaufs, Verkaufs und der Produktion von Gütern emanzipieren und zu eifrigen Daten-Sammlern und -Verkäufern werden. Zweitens eine Nutzung der gesammelten oder eingekauften Daten der Bevölkerung, für Werbezwecke, welche dank der Individualisierung effektiver ist, als alle bisher existierenden Werbestrategien. Drittens eine ideale Situation für große Unternehmen, welche dank des World Wide Web buchstäblich überall Daten sammeln und verkaufen können. Hinzu kommen an dieser Stelle Synergieeffekte zwischen Digitalisierung und Globalisierung, welche es den Unternehmen ermöglichen auch weltumspannend Produkte zu verkaufen. Sowie viertens eine Forcierung des Konzentrationsprozesses des Kapitals im Marxschen Sinne – in nie dagewesenem Ausmaß. Dies etablierte eine Vorherrschaft riesiger, supranational agierender Konzerne (allen voran Google, Apple, Amazon, Facebook).[5] Die Zentralisierung der Macht im Silicon Valley.
Dementsprechend kann durchaus von einer Evolution der kapitalistischen Produktion, einem Kapitalismus 2.0 gesprochen werden. Massenproduktion und Massenkonsumption, befeuert durch das Abgreifen und den Verkauf gigantischer Datenmengen. Nur am Rande erwähnt sei hier, dass neben der Krise des Datenschutzes auch enorme andere Probleme mit diesem Kapitalismus 2.0 einhergehen. Der Praxis des billigen Produzierens in Ländern des Globalen Südens und Ostens, wie es Foxconn paradigmatisch vormacht, folgt das teure Verkaufen. Bezahlt wird, wie man weiß, der Markenname, nicht das Produkt. Auch in den westlichen Demokratien sind die neuen Umstände der Produktion angekommen. Allen voran schaffte es Amazon, seine ganz eigenen Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Bis heute wehrt sich der Konzern erfolgreich gegen Tarifverträge und existenzsichernde Bezahlung für die Beschäftigten. Es bleibt festzuhalten: In der unheiligen Allianz zwischen Digitalisierung und Kapitalismus spielen die Menschen, sowohl die KäuferInnen als auch die Angestellten, kaum noch eine Rolle.
In den 1980er Jahren ging noch ein Aufschrei durch die Bevölkerung, als es darum ging, dass eine allgemeine Volkszählung durchgeführt werden sollte. Und heute? Nach Jahren mit Facebook, WhatsApp, Instagram, Google und Amazon, aber auch: NSA-Skandal, Vorratsdatenspeicherung und verschärfter Überwachung dank neuer Polizeigesetze – sind die Menschen längst völlig abgestumpft.
Ob meine Daten sicher sind? Ne. Interessiert mich das? Auch nicht. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten, so einfach ist das.
Doch noch schlimmer, wir wissen nicht nur, dass unsere Daten überwacht, analysiert und weiterverkauft werden, wir geben sie völlig freiwillig her – weil es bequem ist. Viele Menschen wissen um die Unsicherheit ihrer Daten, doch es ist schlicht einfacher, bei den etablierten sozialen Medien und Messengern zu bleiben, anstatt sich nach Alternativen umzuschauen und umzusteigen. Hinzu kommen viele kleine Gadgets, die das Leben vermeintlich erleichtern, dabei aber emsig Daten sammeln. Sprachgesteuerte technische Assistenten, Navigationsgeräte und Fahrten-Tracking, Streaming-Dienste, Payback-Karten, Smart-Homes und so weiter und so fort. Über Standortdienste im Handy kann nahezu jederzeit herausgefunden werden, wo wir uns gerade befinden. Unser Konsumverhalten, nicht nur die Online-Käufe, kann nachverfolgt werden. Über Fitnesstracker können sogar die körperliche Leistungsfähigkeit und Ernährung überwacht werden. Früher bedurfte es noch eines Gerichtsbeschlusses, um jemanden abzuhören. Heute stellen wir uns eine Alexa selbst ins Haus. Dann stimmen wir zu, dass die über die Mikrophone aufgenommenen Daten in einem externen Rechenzentrum ausgewertet werden dürfen. Wann haben Sie zuletzt die AGBs gelesen, als Sie eine App installierten, oder ein technisches Gerät erwarben? Wann haben Sie zuletzt eine Website wieder verlassen, als Sie darauf hingewiesen wurden, dass dort Cookies verwendet werden, die ihr Nutzerverhalten analysieren?[6] Die Wenigsten reflektieren über die tatsächliche Masse an Daten, die sie hinterlassen und die Folgen ihrer Preisgabe. Auch könnte man als KonsumentIn im Internet zwar überdenken, welche Produkte man kauft, welche Bilder, Videos und so weiter man anschaut, doch viele Cookies können auch für den Menschen schwer kontrollierbare Variablen, wie die Klickgeschwindigkeit oder die Dauer eines Seitenbesuches auslesen. Es bleibt festzuhalten, dass es für den oder die BesucherIn einer Seite in den seltensten Fällen möglich ist, alle hinterlassenen Daten zu reflektieren. Und von sozialen Plattformen können Sie sich zwar abmelden, doch Ihre Daten bleiben im Netz. Das Internet vergisst nicht. Indes, es gibt andere Mittel und Wege, als über die etablierten digitalen Giganten Nachrichten zu verschicken. Programme wie der Webbrowser Thor oder der Suchdienst DuckDuckGo werben mit absoluter Anonymität. Chatting-Dienste wie Telegram, Threema oder Signal versprechen mehr Datensicherheit als die Facebook-Tochter WhatsApp. WhatsApp hat zwar, nach den enormen Datenskandalen der letzten Jahre ebenfalls die sog. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingeführt, das heißt, dass der Inhalt einer Nachricht nur durch das sendende und das empfangende Gerät entschlüsselt werden kann, doch die Metadaten – wer schickt wann an wen, von wo – bleiben für das Unternehmen zugänglich. Das Problem für viele, die gerne auf die anderen Dienste umsteigen wollen, ist aber die Trägheit der Masse. Was nützt es, einen anonymen und sicheren Messenger zu benutzen, wenn ich der oder die Einzige in meinem Umfeld bin. Also dann doch wieder zurück zu WhatsApp.
Deutlich wird, dass noch einiges mehr an Aufklärung und Sensibilisierung geleistet werden muss, wenn es um Datensicherheit geht. Doch zumindest für den oder die EinzelneN gibt es wie an obigen Beispielen zu sehen, Alternativen, um dem enormen Abgreifen der Daten entgegenzutreten. Es bedarf lediglich der Schritte sich zu informieren und umzusteigen. Dagegen sprechen neben einem fehlenden Bewusstsein, nur unsere Faulheit und Bequemlichkeit. Wir werden nicht abgehört, oder überwacht, wir geben unsere Daten vollkommen freiwillig weg. Dieses Paradoxon zu brechen, wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahrzehnte sein, da wir momentan auf eine Dystopie zusteuern, in der die Menschen unter dem Diktat der im wahrsten Sinne des Wortes allwissenden Industrie leben.
Maximilian Schnuch studiert Politikwissenschaft und Soziologie an der Georg-August-Universität Göttingen und hat am Göttinger Institut für Demokratieforschung das Seminar „Politische Kultur der Digitalität“ besucht.
[1] Vgl. Spehr, Michael : Die Daten-Enteignung: Wie „Big Data“ unser Leben verändert, Frankfurt am Main 2014.
[2] Heute meist bezogen auf Facebook und Social Media, war dieser Aphorismus ursprünglich auf das Fernsehen gemünzt. Zum ersten Mal erschienen 1973 im Kurzfilm „Television Delivers People“ der Künstler Carlota Fay Schoolman und Richard Serra.
[3] Vgl. Hilker, Claudia: Digital Marketing Leitfaden: Strategien für Wachstum, Norderstedt 2019.
[4]BVDW-Studie: Business-Relevanz Künstlicher Intelligenz, in: BVWD.org 2018, URL: https://www.bvdw.org/fileadmin/user_upload/180912_Ergebnisse_KI_Studie.pdf (zuletzt aufgerufen am 16.10.2019).
[5] Der Marktwert von Apple überschritt im Jahr 2018 die unglaubliche Schwelle von einer Billion Dollar. Zum Vergleich: das entspricht ungefähr dem Wert der 15 größten Dax-Unternehmen, vgl. auch: Dolata, Ullrich: Big Four: Die digitale Allmacht?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 5/2018, S. 81-86.
[6] Ironischerweise oft mit der Bemerkung versehen, dass die Daten gesammelt werden „…um Ihr Besuchserlebnis zu optimieren“ oder „…um passendere Angebote vorschlagen zu können.“