Das rot-grüne Dilemma der SPD

[analysiert]: Jöran Klatt über Zukunft und Akzeptanz eines rot-rot-grünen Bündnisses

Die Hoffnungen, die mit NRW und dem aktuellen Umfragehoch in der SPD geweckt wurden, und vor allem die Erleichterung, die dadurch aufkam, mindern die Chancen auf ein rot-rot-grünes Bündnis und damit eine der raren Aussichten der Sozialdemokratie 2013 aufs Kanzleramt.

Für die Sozialdemokratie scheint die Zeit der Entbehrungen und Abgesänge zunächst vorbei zu sein. Erstmals seit 2002 erreichen die SPD und die Grünen wieder eine absolute Mehrheit in den Umfragen. Damit eröffnen sich die Gedankenspiele und es entstehen Hoffnungen, mit einem möglichen Einzug Sigmar Gabriels ins Kanzleramt einen Schlussstrich unter die Agenda Schröder und das verlorene Wählervertrauen ziehen zu können.

Doch bis 2013 bleibt noch ein wenig Zeit. Und aus der Halbzeitführung in der aktuellen Legislaturperiode könnte am Ende doch wieder nur ein Unentschieden oder gar eine Niederlage werden. Die SPD scheint nach der vernichtenden Wahlniederlage bei den Bundestagswahlen 2009 taktisch zu überzeugen und hat mit ihrem Präsidentschaftskandidaten und ihren Machtperspektiven auf Landesebene vermeintlich an Einfluss und medialer Aufmerksamkeit zurückgewonnen. Vor allem mit der Bildung einer Minderheitsregierung in NRW, im bevölkerungsreichsten Bundesland, hat sie in einem ihrer Stammländer gezeigt, dass sie aus alten Fehlern gelernt hat. Sich bietende Machtoptionen wurden genutzt, die eigenen Reihen immerhin geschlossen. Dies jedoch vor allem zu dem Preis, potentielle Bündnispartner von sich entfernt zu haben.

Es ist davon auszugehen, dass dieses aktuelle Umfragehoch lediglich zeitlich begrenzt ist. Regierungsparteien neigen tendenziell dazu, in Umfragen zu verlieren. Fraglich jedoch bleibt, ob solche Trends (aus Sicht der Opposition) über eine Dauer von zwei Jahren zu halten sind. Zeit, die Füße hochzulegen und abzuwarten, bis Umfragetrends Gabriel ins Kanzleramt tragen, ist sicher nicht. Schuld für die schlechten Werte der Regierungskoalition trägt nicht allein die CDU (die sich seit der Bundestagswahl kaum verschlechtert hat), sondern vorwiegend die FDP. Es wäre fatal von der SPD, darauf zu vertrauen, dass die Regierungspolitik von Schwarz-Gelb verhindern wird, dass die liberale Stammwählerschaft ihren Unmut 2013 tatsächlich in Stimmverweigerung ausdrücken wird. Wahrscheinlicher ist es, dass die Abwahl von Schwarz-Gelb die SPD vor hessische, bestenfalls nordrhein-westfälische Probleme im Bund stellen wird

Die Variante einer Minderheitsregierung, eine Machtoption, die Silvia Löhrmann und Hannelore Kraft klug zu nutzen wussten, birgt eine reelle Gefahr für die Sozialdemokraten in sich: Zwar überwanden sie scheinbar das hessische Trauma und gaben dem rot-grünen Projekt damit eine Chance auf Reanimation. Doch die Annahme, durch die umgangene „Ypsilanti-Falle“ der Auseinandersetzung mit den Linken aus dem Weg zu gehen, könnte Gabriel im September 2013 jene Steine in den Weg legen, die man vorher hätte wegräumen können. Es besteht zudem die Gefahr, dass durch den Glauben, Mehrheiten – wahlweise von der Union oder den Linken – geschenkt oder geliehen zu bekommen, notwendige Diskussionen um das problematische Verhältnis zur Linkspartei regelrecht „verschleppt“ werden. Auch wenn gerade Befürworter eines Mitte-Links-Projektes euphorisch das rot-rot-grüne Testprojekt in NRW feiern, sind durch die von Kraft und Löhrmann gewählte Variante genau die Auseinandersetzungen vermieden worden, die dringend hätten geführt werden müssen.

Zwar gehen solche Mitte-Links-Optimisten meist davon aus, dass sich die Linke, ähnlich wie die Grünen, im Deutschen Parteiensystem als „koalitionsfähig“ erweisen wird. Zumindest normalisieren werde sich das Verhältnis zwischen Rot und „Dunkelrot“, wenn die Wunden der vergangenen Jahre verheilt sind. Doch können solche „Beziehungskrisen“  nur von beiden Seiten her angegangen werden. Von selbst wird es keine Annäherungsprozesse geben, auch wenn der Lafontaine-Faktor innerhalb der Linken an Bedeutung verliert.

Ebenso darf nicht vergessen werden, dass der Dritte im vermeintlichen Bunde, also die Grünen, andere Machtoptionen dazugewonnen haben. Das aktuelle Umfragehoch der Grünen, gemessen von infratest-dimap, lässt Wünsche und Ansprüche in der Partei wachsen, die sich nicht mehr als Kleinpartner sieht und die möglicherweise bald eigene MinisterpräsidentInnen stellt. Und ganz wie der einst große Partner, die Sozialdemokratie, greifen Grüne auch selbstverständlich nach den neuen Möglichkeiten, die die gewonnene Befreiung von Lagerwahlkämpfen bietet. Für die Grünen ergibt sich im Moment also keine Notwendigkeit, über linke Bündnisse offen zu diskutieren. Schwarz-Grün bleibt eine allzu attraktive Perspektive, denn anders als das Tief der FDP ist ein anhaltendes Hoch der „gemäßigteren Liberalen“ bis 2013 durchaus wahrscheinlich. Und niemand schreibt den Grünen vor, nur auf die SPD zu setzen, besonders nicht sie  selbst.

Das erste Ziel der Diskussion, die das „linke Lager“ führen müsste, ist es folglich, die Frage zu beantworten, ob und wie sich die SPD und insbesondere die Grünen noch als dezidiert „links“ verstehen. Weiterführend müsste geklärt werden, was dies bedeuten würde und ob beide Parteien mit einem solchen Anspruch in den Wahlkampf 2013 gehen wollen. Denn wer nicht von und über Rot-Rot-Grün redet, drängt die Grünen in die konservative Ecke, da sie dort um solche Diskussionen über die Selbstverortung herumkommen. Um die Grünen ins Boot zu holen und somit ein Fundament für ein Mitte-Links-Bündnis zu schaffen, müssten die drei dafür in Frage kommenden Parteien jene Schnittmenge in den Fokus nehmen, die konsensfähig ist und die nach außen einheitlich vertreten werden kann. Bisher fehlt der Streit um die gemeinsame „Idee“ und was diese sein könnte.

Problematisch bleibt auch, dass ein rot-rot-grünes Bündnis nach wie vor das Wunschprojekt einer Minderheit ist. In der Bevölkerung ist es die unbeliebteste Konstellation. Dies liegt jedoch nicht an den geringen Überschneidungen der Parteien, sondern an den für linke „Lager“ durchaus typischen Friktionen. Die größte Gefahr für ein solches dezidiert linkes Bündnis liegt jedoch in dem bewussten Ignorieren von inneren Gegensätzen, die besser genutzt werden sollten, um die Heterogenität der Anhänger zu antizipieren und zu vereinen. Letztlich könnte somit der aktuelle Aufwind für die SPD verhindern, dass sich das linke Lager bis 2013 formieren kann. Wenn, wie oft verlautet wird, niemand die große Koalition will, dann wäre es von Seiten der Sozialdemokratie klug, aktiv an Bündnissen zu arbeiten und potentielle Partner dafür nicht auf Distanz zu halten.

Jöran Klatt ist studentische Hilfskraft am Institut für Demokratieforschung und beschäftigt sich intensiv mit den Fragen nach einem rot-rot-grünen Projekt.