[analysiert]: Johannes Sosada über die besondere Rolle von Frauen im israelischen Militär.
Israel ist das Land der „starken Frauen“. Soldatinnen gehören dort zum allgemeinen Straßenbild. Besonders am Vorabend des Sabbats sind Bahnhöfe und Bushaltestellen überfüllt mit jungen Soldatinnen und Soldaten, die für das Wochenende in ihre Heimatstädte fahren. Die generelle Militärpräsenz, v.a. aber Soldatinnen, die bspw. über den Basar der Altstadt von Jerusalem schlendern, finden bei Besuchern besondere Beachtung – gilt doch kaum ein Berufsfeld als eine solch große „Männerdomäne“ wie das Militär.
Die Ursachen für dieses in Israel alltägliche Straßenbild reichen bis vor die Staatsgründung 1948 zurück. Männer wie Frauen kämpften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemeinsam in den paramilitärischen Verbänden wie etwa der Hagana oder dem Palmach. In den Kibbuzim, den ländlichen Kollektivsiedlungen, wurde zusammen gearbeitet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dienten während der verschiedenen israelisch-arabischen Kriege nicht nur Männer, sondern auch Frauen in der Armee.
Mit der Staatsgründung 1948 wurde in Israel offiziell die allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen eingeführt. Neben Eritrea und Nordkorea ist Israel damit eines der wenigen Länder, in denen Frauen zum Wehrdienst verpflichtet sind. Männer müssen dort heute 36 Monate, Frauen 21 Monate Wehrdienst leisten. Den Dienst an der Waffe zu umgehen oder überhaupt nicht anzutreten, ist nahezu unmöglich und gilt als verpönt. Wehrdienstverweigerung ist verhältnismäßig selten, auch wenn die Zahlen in jüngster Zeit ansteigen.[1] Befreit von der Wehrpflicht sind lediglich arabische Israelis, Christen sowie nichtjüdische, schwangere oder verheiratete Frauen. Für Schlagzeilen sorgte jüngst die Debatte, inwiefern auch Ultraorthodoxe ihren Wehrdienst anzutreten haben.[2]
Das Militär hat sich in der israelischen Gesellschaft zu einer Institution mit einem besonderen Stellenwert entwickelt: Egal, ob Befürworter oder Gegner: Die allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen ist in Israel identitätsstiftend. Über die Grenzen von Geschlecht, sozialer Herkunft und auch Generation hinaus ist das Militär ein verbindendes Element.[3] Die Tzahal (hebräische Bezeichnung für die israelischen Streitkräfte) ist einer der größten Arbeitgeber und genießt als „Verteidigungsarmee des Landes“ hohes Ansehen. Soldatinnen und Soldaten werden gesellschaftlich besonders unterstützt: Man bietet ihnen in den Bussen Sitzplätze an, lässt sie an Warteschlangen vor und steckt ihnen, häufig ungefragt, Zigaretten oder Süßigkeiten zu. Auch nach der Wehrdienstzeit verbleibt ein Großteil der Eingezogenen in der jeweiligen Reserveeinheit. In Bewerbungsgesprächen wird oft gefragt, in welcher Region oder bei welcher Einheit der Wehrdienst abgeleistet worden ist. Auch bei der Rekrutierung der politischen Eliten hat das Militär eine besondere Stellung. Viele israelische Spitzenpolitiker kennen sich aus ihrer Zeit bei der Armee – einer politischen Spitzenposition geht oft eine militärische Karriere voraus; nicht zuletzt, weil die in der Militärdienstzeit erworbenen Attribute wie Führungsfähigkeit und Stärke auch in der Öffentlichkeit gut ankommen.
Bedenkt man, dass sich die meisten europäischen Länder inzwischen von einem allgemein verpflichtenden Wehrdienst verabschiedet haben, dieser in Israel jedoch kaum bis gar nicht zur Disposition steht, so sticht das Land in dieser Besonderheit zwar hervor – nimmt aber auch einen Trend vorweg: die Frau an der Waffe. Mittlerweile dienen auch in fast allen anderen europäischen Streitkräften Frauen. Indes: Neben Österreich und Dänemark halten bisher nur noch Estland, Finnland, Griechenland und Zypern an der Wehrpflicht fest. In all diesen sechs Ländern gilt die Wehrpflicht jedoch nur für Männer, Frauen sind nach wie vor ausgenommen.
Das Militär ist nun nicht der klassische und erste Ort, um den sich die Kämpfe um Gleichberechtigung im 20. Jahrhundert drehten. Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen: Die Zwangslage einer permanenten militärischen Bedrohung bildete in Israel die argumentative Grundlage, mit dieser Konvention patriarchaler Ordnung früher zu brechen als anderswo. Gerade weil es sich hier um das Militär handelt, mag es manchem schwer fallen, in dem Wort „Gleichberechtigung“ mehr als einen Euphemismus zu sehen. In Israel jedoch steht die Wehrpflicht für Frauen nicht nur nicht zur Disposition, sondern wird gleichzeitig als „nur gerecht“ wahrgenommen.
Momentan machen Frauen in den IDF (Israeli Defense Forces) einen Anteil von 42 Prozent aus.[4] Doch bedeutet dies auch, dass Frauen an Entscheidungsprozessen gleichberechtigt beteiligt sind? Inwieweit deutet diese paritätischere Verteilung der Geschlechter in einer macht- und herrschaftsstiftenden Institution auf eine andere Machtverteilung in der israelischen Gesellschaft hin?
Zunächst ist die reelle Organisationsstruktur der Armee zu berücksichtigen: Hier stellt sich die Frage, inwiefern Frauen im Militär wirklich sämtliche Positionen offenstehen. So wurde erst 2011 die erste Frau in den Rang einer Generalin erhoben.[5] Frauen in tatsächlichen Kampfhandlungen nehmen zwar zu, sind aber noch die Ausnahme: Ein Großteil der Soldatinnen, besonders die Wehrdienstleistenden, wird nach wie vor im Stabsdienst, also im Wesentlichen zur Büroarbeit eingesetzt.
Der amerikanische Politologe Gregory Mahler beschreibt die Armee als „regulären Rekrutierungskanal für die israelischen politischen Eliten“[6]. Grund hierfür sei die sicherheitspolitische Lage, die eine vorrangige Prämisse in der israelischen Politik darstelle. Auch Uta Klein spricht vom Militär als „starke[r] Ressource“[7], um später ein politisches Spitzenamt erlangen zu können. Militärische Karriere und politischer Erfolg seien in gewisser Weise aneinander gekoppelt. Indem Frauen einen großen Teil der Armee ausmachen, so könnte man vermuten, dass ihnen so auch bessere Chancen für eine politische Karriere offenstehen.
Trifft dies für Frauen in Israel tatsächlich zu? Nach der Parlamentswahl im März dieses Jahres ist der Frauenanteil bei den Abgeordneten im israelischen Parlament, der Knesset, so hoch wie noch nie zuvor. Das bedeutet konkret, dass von den 120 Abgeordneten derzeit lediglich 29 weiblich sind – ein Anteil von 24 Prozent.[8] Dieser Wert liegt sogar um einiges hinter dem prozentualen Anteil von Frauen in anderen europäischen Parlamenten. Im Bundestag bspw. liegt der Frauenanteil bei 36 Prozent.[9] Was die Volksvertretung anbelangt, hat die binäre Wehrpflicht in Israel also offenbar keinen paritätssteigernden Effekt.
Damit eng verbunden ist die Frage nach dem Frauenbild in der israelischen Gesellschaft insgesamt. Der Facettenreichtum dieses Themas hängt eng zusammen mit der Heterogenität der israelischen Gesellschaft, deren unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und verwurzelten Traditionen der verschiedenen nicht nur jüdischen Gruppen, die das gesellschaftliche Leben in Israel prägen. Hierbei stehen progressive Kräfte, die Gleichberechtigung und Emanzipation einfordern, konservativen, oft religiös motivierten Gruppen gegenüber. So gibt es von Seiten letztgenannter etwa Bestrebungen, die Gleichbehandlung von Frauen sogar weiter einzuschränken. Beispielsweise fordern Teile der orthodoxen jüdischen Kreise die Einführung von Buslinien, in denen Frauen aus religiösen Gründen hinten sitzen sollen.
Das Militär als Kaderschmiede israelischer Eliten ist also seit nunmehr fast siebzig Jahren in der Hand beider Geschlechter. Doch außer dieser Besonderheit scheint damit, hier etwa am Beispiel der politischen Vertretung gezeigt, im Vergleich mit anderen westlichen Ländern kein Machtvorteil israelischer Frauen verbunden zu sein. Über die konkreten Ursachen dessen kann indes nur spekuliert werden. Eine Möglichkeit könnten dabei die genannten Organisationsstrukturen des Militärs oder aber habituelle und gesellschaftliche Normen sein. Das Beispiel Israel zeigt jedoch: Auch wenn die Pflicht zur Waffe für beide Geschlechter gilt, geht damit offenbar nicht automatisch auch das Recht zur Macht einher.
Foto aus Jerusalem: Johannes Sosada
[1] Siehe hierzu ausführlich: Senfft, Alexandra: Das Schweigen brechen. Der israelische Staat und seine Wehrdienstverweigerer, in: KAS Auslandsinformationen, H. 3/05, S. 19 ff.
[2] O.V.: Israel beschließt Wehrpflicht für Orthodoxe, 12.03.2014, in: Süddeutsche.de, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/jerusalem-israel-beschliesst-wehrpflicht-fuer-orthodoxe-1.1910237 [eingesehen am 12.07.2015].
[3] Zur Rolle und Zusammensetzung der israelischen Armee siehe ausführlich: Klein, Uta: Militär und Geschlecht in Israel, Frankfurt am Main 2001, S. 122 ff.
[4] Zum Vergleich: In Deutschland dienen unter den knapp 180.000 Soldaten der Bundeswehr 19.000 Frauen, was nur einem Anteil von circa 9,5 Prozent entspricht. Blog der israelischen Armee, URL: https://www.idfblog.com/blog/2014/03/07/international-womens-day-facts-need-know-women-idf/ [eingesehen am 12.07.2015].
[5] Landsmann, Charles: „Frauen müssen auf allen Bühnen singen dürfen“, Portrait Orna Barbivai, URL: http://www.tagesspiegel.de/meinung/portraet-orna-barbivai-israelischegeneralin-frauen-muessen-auf-allen-buehnen-singen-duerfen/5960558.html [eingesehen am 12.07.2015].
[6] Mahler, Gregory: Politics and Government in Israel. The Maturation of a Modern State, Plymouth 2011, S. 201 ff.
[7] Ebd., S. 145 ff.
[8] Die verschiedenen Parlamentsabgeordneten lassen sich auf der Seite der Knesset einsehen, URL: http://www.knesset.gov.il/mk/eng/mkindex_current_eng.asp?view=3 [eingesehen am 12.07.2015].
[9] Aktuelle Angaben des Bundestages (Stand Dezember 2014), URL: https://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/mdb_zahlen/frauen_maenner/260128 [eingesehen am 12.07.2015].