Adenauers Vermächtnis

[analysiert]: Jens Gmeiner über den Wahlkampf der 1950er Jahre.

Personalisierung, Emotionalisierung und Medialisierung. Diese Begriffe fallen häufig, wenn über heutige Wahlkämpfe gesprochen wird. Der politische Inhalt, so die weitläufige Meinung, sei in den letzten Jahrzehnten durch das Aufkommen der Massenmedien immer stärker in den Hintergrund getreten. Während früher noch die durchorganisierten Parteitanker mit eigener Parteipresse und Funktionärsapparat die Wahlkämpfe aufgezogen hätten, sei diese Aufgabe mittlerweile von  Marketing- und Werbestrategen übernommen worden. Auf Emotionen, Bilder und Personen, so der Tenor, komme es heute mehr an denn je. Das alles ist gewiss nicht falsch, doch wird dabei übersehen, dass der Beginn der modernen Wahlkämpfe bereits in den 1950er Jahren in der Ära Adenauer liegt.

Der erste CDU-Wahlkampf der Nachkriegszeit im Jahr 1949 stand allerdings noch unter höchst traditionellen Vorzeichen. Von Modernität war hier wenig zu spüren, der Wahlkampf wurde ganz im Weimarer Stil der Vorkriegsjahre organisiert. Man verteilte Flugblätter sowie Broschüren und zum Großteil übernahmen katholische  Milieuorganisationen die Wählermobilisierung. Folgerichtig erreichte die CDU dann auch mit 31 Prozent vor allem die katholischen Schäfchen, aber nur wenige protestantisch-konservative Wählerschichten.[1] Von einer bürgerlich-christlichen Sammlungspartei war die CDU jedenfalls noch weit entfernt.

Die CDU-Wahlkämpfe 1953 und 1957 waren da von einem ganz anderen Kaliber. Sie können wohl, mit den Worten des Historikers Frank Bösch, als „Vorreiter der modernen Kampagne“ bezeichnet werden.[2] Denn: Medieninszenierung, Personalisierung und Polarisierung spielten hier für den Aufstieg der Union als bürgerliche Sammlungspartei der Nachkriegszeit eine tragende Rolle. Dabei agierte die Person Adenauer als Schlüsselfigur, um neue Wählergruppen außerhalb der katholischen Subkultur zu erreichen. Nicht umsonst nannte man die Wahlkämpfe in den 1950er Jahren auch „Adenauer-Wahlkämpfe“, denn ohne Zweifel wählten viele Bürger nicht einfach die Union, sondern vor allem den Rhöndorfer Katholiken, der trotz seines Alters mehr Modernität ausstrahlte als die Funktionäre der Traditionskompanie SPD.

Adenauer wusste, dass die Menschen nichts mit langen programmatischen Textformeln anfangen konnten. Knapp, klar und pointiert sollte die Botschaft der CDU sein – und natürlich auf ihn zugeschnitten. Das deckte sich auch mit den Ansichten von Experten aus dem Marketingbereich, welche die CDU für den Wahlkampf 1953 eingespannt hatte.[3] Auch hier war die CDU Vorreiter, da sie als erste bundesdeutsche Partei ihre Wahlkämpfe mittels Umfrageinstituten und Werbefirmen professionalisierte. Allerdings war die CDU, die als  schwache und dezentrale Parteiorganisation keinen großen Mitarbeiterstab besaß, auch auf dieses externe Know-How angewiesen. Das Allensbacher „Institut für Demoskopie“ fragte seit Anfang der 1950er Jahre nicht nur nach den bundesdeutschen Präferenzen für Gartenzwerge und Waschmittel, sondern versorgte auch die Regierung Adenauer mit hilfreichem Material über die öffentliche Meinung in Deutschland. Dadurch wussten Partei und Bundeskanzler, welche Themen man tunlichst ausklammern und welchen Wünschen man besonders  in Wahlkampfzeiten nachkommen sollte., wollte man den eigenen Stimmanteil am Wahltag erhöhen. Auf Basis dieser Umfragen senkte Adenauer vor der Wahl 1953 bspw. die Steuern für alltägliche Lebensmittel wie Tabak und Kaffee. Umfragen dienten somit als Frühwarnsystem und Ratgeber für großzügige Wahlgeschenke.

Adenauers mediale Inszenierung bei den Wahlauftritten der 1950er Jahre zielte zudem auf bisher schwer erreichbare Milieus, die der instinktsichere Kanzler mit Hilfe seiner Marketingexperten symbolisch umarmte. Die CDU verkörperte für viele norddeutsche protestantische Wähler und nationalliberal gesinnte Gruppierungen in der Nachkriegszeit noch immer eine primär katholische Partei, gewissermaßen einen verlängerten Arm Roms. Um diese kulturellen und konfessionellen Barrieren zu überwinden und die CDU als interkonfessionelle Sammlungspartei des bürgerlichen Lagers zu etablieren, musste Adenauer auch diese Milieus langsam integrieren.[4] So umwarb der katholische Rheinländer Adenauer nicht nur die Protestanten auf dem Evangelischen Kirchentag, als er der „Bruderhilfe“ einen Scheck über 200 000 Mark überreichte, sondern ließ sich wählerwirksam ablichten, als er am Grab von Bismarck in Friedrichsruh einen Kranz niederlegte.[5] Und durch das Lastenausgleichsgesetz im Jahr 1952, das die Versorgung der Vertriebenen und Flüchtlinge garantierte, zeigte Adenauer erneut sein wahltaktisches Gespür. Die politische und symbolische Landschaftspflege des protestantisch-bürgerlichen Milieus begann unter Adenauer und sollte später zum Erfolgsrezept der CDU werden, die alle kleinen bürgerlichen und rechten Parteien – mit Ausnahme der FDP – aufsog und integrierte.

Konrad Adenauer war auch der erste Politiker, der im Wahlkampf erfolgreich Homestories einsetzte und sich bewusst als treusorgender Familienvater, Rosenzüchter oder Bocciaspieler ablichten ließ.[6] Die Stories und medial abgestimmten Bilder wanderten aber nicht in die Parteipresse, sondern fanden Platz in der allmählich aufkommenden Illustriertenlandschaft. Auch vor der Wahl 1957 legte Adenauer bewusst einen Staatsbesuch in Persien ein, wo er die deutschstämmige Kaiserin Soraya besuchte und sich mit ihr fotografieren ließ. Der instinktsichere 81-jährige Adenauer instrumentalisierte damit gezielt den Glamourfaktor der beliebten Schah-Gattin für seinen Wahlkampf. Aber auch die Scharnierrolle der Journalisten in die Öffentlichkeit erkannte Adenauer frühzeitig und wusste, wie er für positive Schlagzeilen sorgen konnte. Auf einer Amerikareise im Jahr 1953 spendierte das Bundespresseamt neben Tickets und Unterkunft jedem Journalisten zusätzlich 3 000 Mark. Und bei seinen legendären Wahlkampffahrten im ehemaligen Sonderzug von Hermann Göring im Jahr 1957 wurde der Journalistentross mit guten Weinen und persönlichen Gesprächen versorgt.

Ein wichtiger Grundpfeiler der Wahlkämpfe in den 1950er Jahren waren zudem die kontinuierlichen Großspenden, die über zwei Kanäle an die CDU flossen.[7] Zum einen diente die CDU-Parteizeitung Wirtschaftsbild dazu, Spenden an die CDU weiterzuleiten. Die Zeitung, die nur wenige Wirtschaftsdaten enthielt, wurde in großer Anzahl und zu horrenden Preisen von Unternehmen abonniert, die diese Ausgabe steuerlich absetzbar war. Als zweiter Pfeiler wurden in allen Bundesländern so genannte Fördergesellschaften gegründet. Dort zahlten Wirtschaftsverbände und Unternehmen Aufnahme- und Mitgliedsbeiträge und suchten den personellen Schulterschluss mit bürgerlichen Vertretern. „Ziel dieser Vereine“, so der CDU-Experte Frank Bösch, „war es von Beginn an, Großspenden steuerbegünstigt, anonym, geschlossen und regelmäßig an die bürgerlichen Parteien weiterzuleiten.“[8] Neben diesem neuen Spendensystem konnte die CDU zudem auf Regierungsmittel zurückgreifen, um ihre Wahlkämpfe zu professionalisieren und auszuweiten.

Ein gutes Beispiel für die professionelle und kostenintensive Wahlkampfführung der CDU war die Verbreitung eines Image-Films über Konrad Adenauer vor den Wahlen 1953.[9] Die CDU platzierte diesen Vorfilm – mit finanzieller Hilfe der Wirtschaftsverbände –  in deutschen Kinos. Zudem wurde er mit Hilfe von mobilen Bussen auch in Dörfern gezeigt, in denen kein Kino vorhanden war. Diese Werbeshow in den meist ländlichen Gebieten Deutschlands wurde durch die regierungsfinanzierte „Mobil-Werbung GMBH“ ermöglicht. Der Film „Ein Mann wirbt für sein Volk“ zeigte den alten Rhöndorfer dabei von seiner besten Seite als überparteilichen Staatsmann und als treusorgenden Vater seiner Tochter, die ihn bei Auslandsreisen häufig begleitete. Adenauer wurde gezielt als harmonischer und überparteilicher Kandidat gezeichnet, der über den Kämpfen der Vergangenheit zu stehen schien. Damit dockte Adenauers mediale Inszenierung an ein konservatives Mentalitäts- und Sicherheitsempfinden in der deutschen Bevölkerung an, das auch von den Umfrageinstituten diagnostiziert wurde. „Keine Experimente“ war dann auch der knappe Slogan im Wahlkampf 1957, der diese Mentalität der Bevölkerung widerspiegelte und mit dem Patriarchen Adenauer eine authentische Symbiose einging.[10]

Doch der Machtmensch Adenauer wusste auch, wann es im Wahlkampf härterer Bandagen bedurfte. Dann warf er das Image des harmonischen Staatsmanns über Bord und stellte die Sozialdemokraten und den Kommunismus in dieselbe Ecke. „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau“, lautete dabei eine Parole im Jahr 1953. Bei einer Veranstaltung im Jahr 1957 in Nürnberg ging Adenauer noch weiter: Er prophezeite den Untergang Deutschlands, falls die SPD Regierungsverantwortung übernehmen sollte.[11] Auch vor Diffamierungen der SPD-Funktionäre als Agenten der DDR schreckte Adenauer nicht zurück. Der Ex-Kommunist Herbert Wehner bot hierfür eine treffliche Zielfläche.[12] Ob die Anwürfe wahr oder falsch waren, spielte hier eine untergeordnete Rolle, solange die Gerüchteküche brodelte und der Antikommunismus weiter das bürgerliche Lager mobilisierte. Nichts verwob das heterogene Sammelbündnis Union zu Beginn stärker als die klare Abgrenzung zum Sozialismus.[13] Und Adenauer spielte geschickt auf der Klaviatur des Antikommunismus, um seine bürgerliche Sammlungspolitik zu forcieren. Das Jahr 1957 sollte dann die letzte große Wahlkampfschlacht des „Alten“ werden, in der er trotz seiner 81 Jahre noch einmal zu Hochtouren auflief. Damals erreichten die Unionsparteien mit über 50 Prozent zum ersten und bisher letzten Mal die absolute Mehrheit.

Jens Gmeiner ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Dieser Text ist Teil unserer Blogreihe „Wahlen 2013“.


[1] Vgl. Frank Bösch, Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, Stuttgart 2002, S. 195.

[2] Frank Bösch, Vorreiter der modernen Kampagne. Die Adenauer-Wahlkämpfe 1953 und 1957, in: Die      Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, 49, H. 7, S. 439-443.

[3] Vgl. ausführlich Frank Bösch, Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei          1945-1969, Stuttgart 2001, S. 148 ff.

[4]  Zum konservativen Milieu vgl. Frank Bösch, Das konservative Milieu, Vereinskultur und lokale Samm-   lungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900-1960), Göttingen 2002.

[5] Vgl. hierzu und folgend Frank Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 150 f.

[6] Vgl. hierzu und folgend Frank Bösch, Vorreiter der modernen Kampagne, S. 440 f.

[7] Vgl. ausführlich zur Spendenpraxis Frank Bösch, Macht und Machtverlust, S. 158 ff und Uwe W. Kit-      zinger, Wahlkampf in Westdeutschland. Eine Analyse der Bundestagswahl 1957, Göttingen 1960, S.                 163 ff.

[8] Frank Bösch, Macht und Machtverlust, S. 159.

[9]  Vgl. folgend Frank Bösch, Vorreiter der modernen Kampagne, S. 440.

[10] Vgl. Stefan Hönemann/ Markus Moors, Wer die Wahl hat…Bundestagswahlkämpfe seit 1957. Muster    der politischen Auseinandersetzung, Marburg 1994, S. 83 f.

[11]  Vgl. O.V., Wie man Wähler gewinnt, in: Der Spiegel, 11.09.1957.

[12] Vgl. Uwe W. Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, S. 53.

[13] Vgl. Franz Walter/ Christian Werwath/ Oliver D`Antonio, Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit, Baden-Baden 2011, S. 25 f.