[analysiert]: Franz Walter analysiert die Rolle des Wissenschaftlers in der Politikberatung.
Es soll derzeit rund 600 wissenschaftliche Beratungsunternehmen für die Politik in Berlin geben. Unzweifelhaft eine stattliche Zahl. Jedenfalls: Der Beratungsmarkt ist heiß umkämpft. Die exekutiven Aufträge bringen viel Geld. Indes, leicht ist die Verständigung nicht, zwischen Politik hier und Wissenschaft dort.
Es würden „zwei Welten“ aufeinander prallen, lautet die Metapher, die in diesem Zusammenhang nahezu unweigerlich fällt. Die einen seien die „Macher“, die anderen die „Theoretiker“; in der gegensätzliche Wahrnehmung der jeweiligen Seite: Die einen sind die puren Machtopportunisten, die anderen die weltfremden Bewohner des Elfenbeinturms. Man spricht eine andere Sprache, denkt in anderen Kategorien, handelt in anderen Zeitstrukturen. Wie aber lässt sich dann beraten? Was muss ein (Politik-)Wissenschaftler können und leisten, um seinen politischen Adressaten zu erreichen – ohne dabei nicht mit seinem eigenen Ethos, des unabhängigen Forschers und gründlichen Denkers, in Konflikt zu geraten?
Schließlich taugt zur Beratung nur, wer die Eigeninteressen des zu Beratenden am Erwerb oder der Bewahrung von Macht anerkennt, ja dem beratenden Tun voraussetzt. Denn es findet nur Gehör, wer Sachfragen und Machtfragen zu verknüpfen weiß, zumindest ihre Bedeutung für das Politische im Blick behält. Er muss wissen, wie es im politischen Geschäft zugeht, muss die Winkelzüge und Nicht-Geradlinigkeiten des politischen Prozesses reflektieren, wenn er Empfehlungen anbietet.
Man ist dann nicht mehr einfach lediglich Wissenschaftler. Man steht mit einem Fuß schon in der Politik, denkt mit anderen Personen, oft ohne wissenschaftlichen Hintergrund, darüber nach, wie man Mehrheiten sammelt, wie man taktisch vorgeht, um das – vielleicht durchaus seriös wissenschaftlich begründete – Vorhaben gegen die Projekte der „anderen“ zu „kommunizieren“ und „durchzusetzen“. Schließlich erwartet Politik den Rat darüber, was wie zu tun ist. Auch das ist in diesem Umgang fast unvermeidlich: ein Stück Identifikation. Ist dem Berater der Wertehimmel, die Mentalität des zu Beratenden (und seiner politischen Formation) gänzlich fremd, dann wird sich daraus keine gedeihliche Beziehung entwickeln. Immer noch hat Politik mit Emotionen, auch Weltanschauungen, Überzeugungen zu tun. Sie bilden eine Prämisse, auch für den Einfluss des wissenschaftlichen Politikberaters.
Doch das ist es auch hier nicht allein. Stimmt die persönliche Chemie zwischen dem Berater und dem Beratenden nicht, dann entstehen weder Vertrauen noch ein fruchtbares Arbeitsverhältnis. Politologen beschäftigen sich wenig mit solchen Aspekten des Persönlichen. Dabei sind sie elementar. Spitzenpolitiker sind misstrauische Menschen, müssen es sein. Sie stehen unter unfreundlicher, sezierender öffentlicher Beobachtung wie wohl keine andere Berufsgruppe. Ein kleiner Fehler, eine ungeschickte Redewendung kann sie jäh die Karriere kosten. Daher suchen gerade sie die intime Runde von Vertrauten, oft langjährig bewährter Art. Auf Verschwiegenheit sind sie angewiesen. Eitle Selbstdarsteller – und das können renommierte Universitätsprofessoren durchaus sein – sind ihnen unerträglich, bedeuten auch eine Gefahr für die eigene Position. Ein Berater, der sich nach außen gefallsüchtig als eben solcher geriert, eignet sich im Grunde nicht. Je bekannter die Berater in der Öffentlichkeit sind, desto geringer dürfte ihre wirkliche Bedeutung sein.
Natürlich neigen auch Politiker nicht dazu, unangenehme Informationen und Belehrungen zu mögen. Dergleichen sei, urteilte die amerikanische Historikerin Barbara Tuchmann, „nur allzu menschlich und unter Staatschefs weit verbreitet. Wurde nicht der Überbringer schlechter Nachrichten von antiken Königen oft hingerichtet?“ Schließlich: Spitzenpolitiker sind gehetzte Menschen, stets unter Zeit- und Termindruck. Eine schriftliche Expertise, die sie erreichen soll, darf nicht mehr als drei Seiten umfassen. Und sie muss jeweils hoch aktuell ausfallen. Wissenschaftler arbeiten bekanntlich anders; ihre Studien dauern, differenzieren aus, geraten am Ende lang und länger. Auch deshalb sind beide Berufsgruppen, die Politiker und Universitätsprofessoren, überwiegend nicht gut aufeinander zu sprechen.
Natürlich: Es gibt schon Grund, dass Wissenschaftler im Umgang mit der Politik auf der Hut sein sollten. Macht hat unzweifelhaft etwas Verführerisches, wenn man nicht aufpasst: Korrumpierendes. Wer glaubt, das Ohr der Kanzlerin oder eines mächtigen Ministerpräsidenten zu besitzen, der wird mehr zum Père Joseph, jener Grauen Eminenz im Schatten des Kardinals Richelieu, als zum unbestechlichen Wahrheitssucher. Dennoch: Übertreiben darf man es auch nicht. Servile Schmeichler aus dem Universitätsbereich werden in der Politik eher verachtet als gefördert. Wer als devoter Parteisoldat bekannt ist, wird gerade auch von den Spitzenleuten der Partei nicht sehr ernst genommen. Natürlich bedient sich die Politik der Wissenschaft, verfährt dabei instrumentell und selektiv, bricht aus den Argumentationssträngen der Wissenschaft das heraus, was ihr nutzt und die eigenen Handlungen zu legitimieren vermag. Aber eine spezifische politische Codierung – um die Luhmannschen Metaphern zu gebrauchen – ist das nicht. Auch Wissenschaftler untereinander können sich gutachterliche Gefälligkeiten erweisen; und machen das auch.
Übrigens ist es noch gar nicht so lange her, da forderte die Wissenschaft den Primat vor der Politik; sie wollte nicht Gehilfin, sondern Herrin der gesellschaftlichen Entwicklung sein. Auch die – oft als „technokratisch“ bezeichnete – Politikberatung ging von einer solchen Rangfolge aus. Das war die Zeit, als naturwissenschaftliches Denken in die Sozialwissenschaften einzog, als Empirie und Objektivität gleichgesetzt und in Kontrast zur stimmungsabhängigen, daher im Kern irrationalen, jedenfalls zum Optimum ungeeigneten Politik gesetzt wurde. So entstand der Anspruch, dass Wissenschaft die Politik aufzuklären habe, dass die Wissenschaft zwischen den von ihr identifizierten Ursachen und deduzierten Zielen den im Prinzip einzig richtigen Weg zu konzipieren und die allein adäquaten Instrumente vorzuschlagen habe. Diese gebieterische Pose, welche Alternativen, den Dissens und den Eigensinn, ja letztlich sogar die Bedeutung kontroverser (politisch-parlamentarischer) Debatten ausschließt, hat sich besonders der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder gern zu Nutze gemacht, um mit Hilfe solcher apodiktischen Postulate der Wissenschaft seine Politik als einzig mögliche zu legitimieren und sie gegen die sich zunächst sträubenden eigenen Parteifreunde durchzusetzen. Ein solches Politik- und Wissenschaftsverständnis – heute unter dem Rubrum der „Dafürgesellschaft“ neu modelliert – macht gleichsam die ganze Gesellschaft zur gefügigen Magd bzw. Marionette eines kleinen Netzwerkes von Eliten und Exzellenzen. Indes: Da ist in den letzten Monaten viel entzaubert worden.
Leicht und eine lineare Strecke ist wissenschaftliche Politikberatung nicht. Denn inzwischen handelt es sich gar nicht mehr um ein Zwiegespräch der beiden „Systeme“ „Politik“ und „Wissenschaft“. Als dritte Figur spielen noch die „Medien“ mit, die ebenfalls eine innere Logik herausgebildet haben, die nicht den Kernanliegen und Rahmenbedingungen von Wissenschaft und Politik in allem entspricht. Auch und gerade Medien verfahren selektiv mit Expertenwissen, verwenden vor allem die rasch zu dramatisierenden Seiten der Forschung, wechseln dann noch schneller das Thema als die Politik.
So fürchten Wissenschaftler, auch und keineswegs zuletzt Politikwissenschaftler, die Medienintervention und die Politikberatung. Im Grunde teilen wohl die meisten die Ansicht, dass es besser wäre, die Hände von der Politik und den Medien zu lassen. Aber sollte ein Politikwissenschaftler das wirklich? Kann ein Politikwissenschaftler das Feld meiden, in dem Meinungen sich bilden, Auseinandersetzungen erfolgen, Entscheidungen vorbereitet werden, also Politik gemacht wird? Wie will er seine Studierenden, die sich ja in ihren Praktika bereits als Vorbereitung für den Beruf in Fraktionen, Ministerbüros, Zeitungsredaktionen, Fernsehstudios, Verbändesekretariaten begeben, adäquat ausbilden, wenn er von all diesen Tätigkeitsräumen buchstäblich nicht die geringste Ahnung hat?
In der Tat: Der Glaube an Wahrheiten und finale Erkenntnisse dürfte in diesem Vorgang gründlich erschüttert werden. Indes: Als rundum schlecht oder unvernünftig muss man das nicht bewerten. Denn: Es gibt die eine Wahrheit nicht. Die Wahrheit der einen ist nicht die Wahrheit der anderen. Was den einen klugen Köpfen einsichtig erscheint, werden die anderen trotz gleichermaßen hoher Intelligenz unbegreiflich finden. Denn natürlich leben wir nicht in einer sozial und normativ unstrittigen „Rationalität“. Mehr noch: Auch Rationalität wird subjektiv ausgelegt, durch verschiedenartige Perspektiven, soziale Orte und kulturelle Werte der Betrachter und Interpreten. Wirklichkeiten werden konstruiert – und das keineswegs emotionsfrei, nicht allein durch den puren, verlässlichen, objektiven Verstand.
Franz Walter ist Leiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung.