Analyse statt Alarmismus!

Beitrag verfasst von: Florian Finkbeiner; Julian Schenke

[kommentiert]: Florian Finkbeiner und Julian Schenke über die öffentliche Deutung von PEGIDA, AfD und der Neuen Rechten

Die Warnungen in der medialen Debatte überschlagen sich: PEGIDA polarisiert nun schon seit mehr als einem Jahr die Bundesrepublik. Allwöchentlich und geradezu erwartungsvoll wird über die Spaziergänge und deren schwankende Teilnehmerzahlen berichtet, mal deren endgültiger Niedergang[1], mal ihr unheilvolles Wiederaufleben[2] beschworen. Einordnungen dieser Art reichen von besorgten Hinweisen auf die „Vergiftung“ Dresdens durch die regelmäßige Zusammenrottung von „rassistischen Menschen“[3] bis hin zur raunenden Warnung Micha Brumliks vor dem kommenden „faschistischen Staat“, der sich aus der „extremen Rechten“ Europas speisen könnte.[4] Gegenwärtig sind sich viele Kommentatoren sicher: PEGIDA befindet sich auf Radikalisierungskurs.[5]

Nach der Abwahl Bernd Luckes vom Parteivorsitz und dem Austritt von rund 3.000 Mitgliedern[6] konnte die AfD mit ihren neuen Protagonisten Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke besonders in Thüringen und Sachsen auftrumpfen; manch einer musste schlucken, als der Insa-Meinungstrend die Partei als drittstärkste Kraft (mit 10,5 Prozent) präsentierte.[7] Auch wird häufiger darauf hingewiesen, dass sich bestimmte Denkinhalte von PEGIDA und AfD einer Rhetorik bedienten, die vom „Institut für Staatspolitik“, einem von Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek gegründeten neurechten Think-Tank, seit Jahren vorbereitet werde. Dieser „kleine Kreis rechtsintellektueller Demagogen“, die sich selbst als „Vordenker der Völkischen“ inszenierten, werde nunmehr durch tatkräftige Demonstranten auf die Barrikaden getragen.[8]

In der Zusammenschau wird die mediale Deutung klar: Im Osten der Republik konsolidiere sich eine brandgefährliche Neue Rechte irgendwo zwischen Dresdner „Abendspaziergängern“, der AfD, frustrierten Wutbürgern, überzeugten Neonazis und Rechtsintellektuellen.

Natürlich sprechen die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Bachmann, Kubitschek (der mehrfach bei PEGIDA auf der Bühne stand) und Höcke für sich: Sie alle richten sich polternd gegen linke Hegemonie, kulturelle Pluralität und Feminismus, fordern einen Asylstopp, den Rücktritt der „Altparteien“ und ein Erwachen des „deutschen Volkes“. Doch damit ist der politische Gehalt der Problematik noch keineswegs geklärt, zentrale Fragen bleiben unbeantwortet: Warum blieben die Rechtsintellektuellen jahrelang erfolglos? Wie hängen sie in genealogischer Hinsicht überhaupt mit PEGIDA und AfD zusammen? Warum startet PEGIDA im Herbst 2014, hält sich über ein Jahr lang auf der Straße, erfährt aber – im Gegensatz zur AfD – durch die Flüchtlingsdebatte keinen eigentlich zu erwartenden Zuwachs? Und nach wie vor: Handelt es sich bei den genannten drei Phänomenen um den faschistischen Aufmarsch, dem mit aller Härte zu begegnen wäre, oder um die überschießende Frustration politisch Depravierter ohne Diskussionsforum?

Was Besorgnis und Wachsamkeit hier zum feuilletonistischen Alarmismus macht, ist die Neigung zur apriorischen Gleichsetzung der verschiedenen, sich überlappenden, irgendwie zusammenhängenden, aber eben doch auch verschiedenartigen Phänomene. Denn bislang ist keineswegs klar, ob sie alle eine gemeinsame „Volksbewegung“[9] bilden. Das seit Jahren immer wiederkehrende Schlagwort der „Neuen Rechten“ selbst ist lediglich ein Verlegenheitsbegriff, der versucht, ebenjener „Grauzone“ nachzuspüren, die organisatorisch wie inhaltlich kaum klar zu fixieren ist.[10]

Die medial und politisch vielfach bemühte Sozialfigur des „Nazis“ (respektive des „Rassisten“) spiegelt v.a. den konsequenten Versuch, sich – zumindest verbal – öffentlich vom Rechtsextremismus abzugrenzen und zugleich Eindeutigkeit zu stiften. Die Distanzierung erübrigt jedoch zumeist weiterführende Diskussionen zu politischen Positionierungen. Wichtig ist nur: Kann man den Angeklagten überführen oder nicht?[11] Kürzlich traf es das Enfant terrible der AfD: Björn Höcke. Dem Dresdner Politologen Werner Patzelt zufolge pflege dieser „klaren Rassismus“[12]. So weit, so einfach, Fall geschlossen. Um diese Logik hat auch die PEGIDA-Anhängerschaft von Anfang an gewusst. Eine ihrer wichtigsten Parolen zur vorauseilenden Selbst- und Fremdrechtfertigung lautet: „Wir sind keine Nazis!“ Das Problem ist: Inmitten dieses verengten Debattenspielraums bewegt sich auch das Gros der feuilletonistischen Kommentare.

Alarm zu schlagen mag derzeit tatsächlich angebracht sein. Schlagen die Warnungen jedoch in monotonen, ja reflexhaften Alarmismus um, verhindert dieser jedoch – gerade angesichts der offenbar steigenden Bedeutung des Problems – die notwendige Auseinandersetzung mit den spezifischen Zusammenhängen, Ursachen und tatsächlichen Gefahren.

Mit anderen Worten: Statt „Radikalisierungsprozesse“ zu beschwören, sollte danach gefragt werden, welche Anziehungskraft diese Phänomene an sich – und zwar in ihrem je spezifisch politischen Gehalt – besitzen.

Es geht hierbei vielmehr darum, zu ergründen, welches gesamtgesellschaftliche Potenzial sich für verschiedenste ideologische Versatzstücke ergibt und auf welch fruchtbaren Nährboden diese borniert nationalistischen Phrasen in populistischer Manier fallen. Dafür erscheint es notwendig, zuvorderst die kontextuellen Bedingungen zu beleuchten, die es realiter überhaupt erst ermöglichen, dass sich diese reaktionären Formationen gesamtgesellschaftlich Bahn brechen. Statt also bspw. eine Gefahr der Neuen Rechten zu postulieren, sollte zuvor erst ergründet werden, was „Neue Rechte“ in Deutschland überhaupt ist. Schließlich ist mit der Bestimmung, diese sei eine sich als intellektuell verstehende Gruppe unterschiedlichster national- wie rechtskonservativer Strömungen, alleine noch nicht viel gesagt.

Ebenso verhallt das Menetekel einer Radikalisierung der AfD, wenn entsprechende Kommentare dem Modus der Warnung verhaftet bleiben und weder danach gefragt wird, welche gesellschaftlichen und politischen Bedürfnisse v.a. die unterschiedlichen Landesverbände mit ihren je eigenen Protagonisten und Kernstädten aufzugreifen vermögen, noch wie ein etwaiges Gefahrenpotenzial differenziert eingeordnet werden sollte. Gleiches gilt im Übrigen für PEGIDA: Dass der zurzeit beliebte Stempel des Radikalismus auf Dresden klebt, mag zwar berechtigt sein, bleibt aber noch immer eines überzeugenden Beweises schuldig. Einzelindizien wie etwa die „bedenkliche Konjunktur“ antidemokratischer Begriffe, die in ihrer „Tiefendimension“ – so der Historiker Norbert Frei – bis in die unruhige Weimarer Republik zurückreichten,[13] genügen nicht.

Keineswegs sollten rassistische, nationalistische und sexistische Ressentiments relativiert werden. Jedoch sollte es darum gehen, Beobachtungen dieser Art zu kontextualisieren, nach Ursachen, Zusammenhängen und Dynamiken dieser neuen „autoritären Rebellionen“ (Erich Fromm) zu forschen. Dabei gilt, die genauen Reaktionszusammenhänge der verschiedenen Phänomene zu beleuchten und sich mit den konkreten Personen und Gruppen auseinanderzusetzen.

Ganz besonders gilt dies in Zeiten der anhaltenden Renationalisierung Europas und eines zunehmenden gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisses nach law and order: Die Vermutung, dass das, was sich derzeit als „Neue Rechte“ formiert, in den nächsten Jahren Schnittmengen mit großen Teilen der Gesellschaft herausbilden oder gar vollständig in sie hineinsickern könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Beispiel: Die gängigen Anklagen der „Lügenpresse“, die etwa PEGIDA von Anfang an gekennzeichnet haben, sind nicht nur demagogisch. Gerade qua ihrer Überspitzung verhelfen sie auch einer Erfahrung der politischen Deprivation zum Ausdruck, nämlich dem Gefühl, beim aktuellen Geschehen in der Republik „nicht dabei zu sein“. Unterstützung gibt es daher aktuell von Hans-Peter Friedrich (CSU), dem stellvertretenden Unionsfraktionschef im Bundestag, der von „Schweigekartell und Nachrichtensperren“ angesichts von „Folgen der unkontrollierten Zuwanderung“ spricht.[14]

Es ist daher notwendig, den Unterschied zwischen offensiven politischen Standpunkten von rechts und demokratiefeindlicher Agitation festzuhalten. Antworten müssen präzise formuliert werden, ohne im Umkehrschluss und in distanzlos-paternalistischer Manier „Sorgen ernst zu nehmen“ – oder in ebenjenen Alarmismus zu verfallen, für den nachts alle Katzen grau sind.

Florian Finkbeiner und Julian Schenke arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung und forschen zur Protestbewegung PEGIDA.

 
[1] Vgl. Reinbold, Fabian: Kommentar zu Protesten in Dresden: Danke Pegida, das war’s!, in: Spiegel Online, 10.02.2015, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-das-ende-der-bewegung-kommentar-a-1017581.html [eingesehen am 06.01.2016].
[2] Vgl. o. V.: Mehr als 5000 Menschen auf Pegida-Demo, in: Die Welt, 15.09.2015, URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article146413697/Mehr-als-5000-Menschen-auf-Pegida-Demo.html [eingesehen am 06.01.2016].
[3] Walter, Annette: Dresden – die Vergiftung einer Stadt, in: Süddeutsche Zeitung, 23.11.2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/leben/pegida-dresden-die-vergiftung-einer-stadt-1.2747563-2 [eingesehen am 06.01.2016].
[4] Siehe Brumlik, Micha: Werben für den faschistischen Staat, in: die tageszeitung, 05.01.2016, URL: http://taz.de/Kolumne-Gott-und-die-Welt/!5262993/ [eingesehen am 06.01.2016]
[5] Vgl. Litschko, Konrad/Speit, Andreas: Die Anheizer, in: die tageszeitung, 30.10.2015, URL: http://www.taz.de/!5242665/ [eingesehen am 06.01.2016].
[6] Vgl. Schneider, Jens: AfD laufen Mitglieder davon, in: Süddeutsche Zeitung, 08.07.2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-lucke-abwahl-afd-laufen-mitglieder-davon-1.2556439 [eingesehen am 06.01.2016].
[7] Vgl. o. V.: AfD erstmals drittbeliebteste Partei bei Wählern, in: Die Welt, 17.11.2015, URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article148930550/AfD-erstmals-drittbeliebteste-Partei-bei-Waehlern.html [eingesehen am 06.01.2016].
[8] Vgl. Fisher, Robert: Vordenker der Völkischen, in: Zeit Online Störungsmelder, 28.12.2015, URL: http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/12/28/vordenker-der-volkischen_20866 [eingesehen am 06.01.2016]; vgl. auch Litschko, Konrad/Speit, Andreas: Die Anheizer, in: die tageszeitung, 30.10.2015, URL: http://www.taz.de/!5242665/ [eingesehen am 06.01.2016].
[9] Vgl. dazu Litschko, Konrad/Speit, Andreas: Die Anheizer, in: die tageszeitung, 30.10.2015, URL: http://www.taz.de/!5242665/ [eingesehen am 06.01.2016].
[10] Vgl. Mantino, Susanne: Die ‚Neue Rechte‘ in der ‚Grauzone‘ zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus. Eine systematische Analyse des Phänomens ‚Neue Rechte‘, Frankfurt a.M. 1992; vgl. auch Pfahl-Traughber, Armin: Konservative Revolution und Neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen demokratischen Verfassungsstaat, Opladen 1998; Feit, Margret: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation, Ideologie, Strategie, Frankfurt a.M. 1987.
[11] Vgl. Staud, Toralf: Höcke ist kein Nazi, in: Zeit Online, 19.10.2015, URL: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/afd-bjoern-hoecke-kein-nazi-jauch [eingesehen am 06.01.2016]
[12] Zitiert nach o. V.: Gutachten zur AfD: Politologe bescheinigt Höcke „klaren Rassismus“, in: Spiegel Online, 01.01.2016, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-gutachten-hoecke-praktiziert-klaren-rassismus-a-1070033.html [eingesehen am 06.01.2016].
[13] Vgl. Frei, Norbert: „Das sind Problembürger“. Interview zu „Pegida“, in: tagesschau.de, 19.10.2015, URL: https://www.tagesschau.de/inland/pegida-347.html [eingesehen am 07.01.2016].
[14] Zitiert nach Hebel, Christina: Medienschelte nach Köln: CSU entdeckt die Lügenpresse, in: Spiegel Online, 06.01.2016, online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/koeln-csu-entdeckt-das-thema-luegenpresse-fuer-sich-a-1070689.html [eingesehen am 07.01.2016].