[kommentiert]: Philipp Heimann über Kriegsmetaphorik in Zeiten einer Pandemie
Die globalisierte Gesellschaft des Internetzeitalters sieht sich dieser Tage mit ihrer ersten großen, jeden Menschen betreffenden Krise konfrontiert. Entgegen oft kolportierter Befürchtungen, die nächste Krise würde die Menschheit in Form eines neuen Krieges oder dem Zerfall der Demokratie treffen, handelt es sich um eine durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöste Pandemie. Die hiermit einhergehenden und teils lebensbedrohenden Infektions- und Atemwegserkrankungen machen die globale Gemeinschaft durch die nötigen Kontakteinschränkungen gesellschaftlich wie wirtschaftlich fast handlungsunfähig. Die Welt ist im Ausnahmezustand und das kann Angst machen. Auch hierzulande, unter anderem sichtbar an Hamsterkäufen[1]; Diebstählen medizinischer Waren,[2] durch die die Sicherheit von (systemrelevantem) Personal und Patient*innen riskiert wird; sowie Beschimpfungen gegenüber (ebenfalls systemrelevantem) Supermarktpersonal[3]. Expert*innen und Regierung versuchen diesen Vorfällen in Deutschland bestmöglich entgegenzuwirken und zu beruhigen. Sei es der mittlerweile zum Meme gewordene[4] Virologe Christian Drosten, der mit seinem Podcast[5] täglich über die aktuelle Informationslage aufklärt und Verhaltenstipps gibt, die Pressebriefings des Robert Koch-Instituts[6], über die regelmäßig aktuelle Fallzahlen und Trends kommuniziert werden, oder auch Angela Merkel, die in ihrer TV-Ansprache und in Pressekonferenzen zu Solidarität und Rücksicht mahnt. Hohe (wenngleich nicht unbedingt komplette) Transparenz und Ruhe sind in Zeiten der Verunsicherung die höchsten Güter öffentlicher Kommunikation. Das wusste schon Thomas de Maizière.[7]
Indes: Andere Führungspersonen, andere Strategien. Emmanuel Macron verliest es in seiner Fernsehansprache[8], Boris Johnson schreit es ins Kabinett[9] und Donald Trump kann bekannterweise nur in Extremen[10]: Alle drei sehen ihre Nationen im Krieg. Dieser Kontrast zur vorher erwähnten Strategie der Transparenz mag mit Blick auf länderspezifische Rhetorik nicht überraschen[11], allerdings lohnt es sich vor diesem Hintergrund, Kriegsmetaphorik an sich sowie ihre inadäquate Verwendung und weiterführenden Implikationen in diesem speziellen Fall genauer zu untersuchen.
Metaphern in der Hitze des Gefechts – und im Alltag
Wer während seiner Schullaufbahn irgendwann einmal Gedichtanalyse betreiben musste, erinnert sich bestimmt daran, dass eine Metapher (griech.: Übertragung) das Ersetzen eines Wortes durch ein anderes – im übertragenen Sinn: gebrauchtes – Wort ist.[12] Diese Definition sieht die Metapher als Teil des poetischen, also „besonderen“ Sprachgebrauchs.[13] Allerdings ist dieses (aristotelische) Verständnis inzwischen überholt und Metaphern werden sehr wohl dem alltäglichen Sprachgebrauch zugeordnet. Laut dem kognitiven Linguisten George Lakoff strukturieren sie sogar unsere Wahrnehmung, da sie uns helfen, Abstraktes verständlich zu machen.[14] Ein einfaches Beispiel hierfür ist der Finanzsektor. Preise „fallen“, Kurse „steigen“ und am Ende steht der große „Crash“ oder „Boom“. Ein Gros des Börsenvokabulars besteht aus Metaphern, die uns helfen, Vorgänge, welche „objektiv“ gesehen lediglich Phänomene der Quantität sind, greif- und bewertbar zu machen.[15] Ähnlich verhält es sich mit Kriegsmetaphorik. Zum einen werden durch Kriegsmetaphern globale Gemengelagen und Realitäten verkürzt. Dies geschieht vor allem durch die „Nationen sind Personen“-Metapher.[16] Sie lässt uns Kriege als physische Auseinandersetzungen zwischen zwei Personen vorstellen – zum Beispiel George W. Bush gegen Saddam Hussein im Irakkrieg – und diesen „Personen“ schreiben wir unterschiedliche Eigenschaften zu – militärische „Stärke“ oder „Schurkenstaat“ sind exemplarische Schlagwörter. Zum anderen versucht der Sender solcher Metaphern immer auch ein Narrativ zu stricken, bei dem die Fronten von Anfang an geklärt sind und kein Platz für diplomatische Kompromisse bleibt. Im Gegenteil: Man wird angegriffen und der sofortige Gegenangriff ist die einzige Lösung.[17] Die defensive Kriegsmetaphorik lässt „die eigene Seite als Opfer und die Handlungen der Gesinnungsgenossen als situationsadäquate Reaktionen erscheinen“[18].
Politische und deterministische Einwände
So erscheint es aus mehrerlei Hinsicht zunächst unsinnig, einem Virus den Krieg zu erklären. Zum einen hinkt die Metapher gewaltig, da eine Auseinandersetzung immer auch verschiedene Interessen voraussetzt. Ein Virus hat – im Gegensatz zu Menschen – erwiesenermaßen keine Interessen, da es kein denkendes Wesen ist. Es folgt lediglich seiner zellularen Programmierung (Determinist*innen bitte weghören), während wir Menschen angesichts der Pandemie konstant verschiedene Interessen abwägen – vom humanitär motivierten Schutz von Risikogruppen bis zum endkapitalistischen Aufrechterhalten der Wirtschaft. Zum anderen impliziert ein Krieg auch immer proaktive Handlungsmöglichkeiten, um einen Gegner niederzuringen. Man greift zu den Waffen und kämpft für seine Freiheit, oder zumindest seine Interessen. Hier entsteht ein gefährliches, falsches Bild im Kopf der Rezipient*innen. Die bisher stärkste „Waffe“, mit der COVID-19 von jedermann und -frau „bekämpft“ werden kann, ist Isolation – also ein Verhalten, bei dem man jegliche aktive gesellschaftliche Teilnahme verweigert. Das ist kontraintuitiv zu allen Vorstellungen, welche das Wortfeld „Krieg“ evoziert.
Natürlich gibt es naheliegende politische Gründe, warum Donald Trump (und auch Boris Johnson) zumindest sprachlich in den „Krieg“ ziehen. Die Opfermetaphorik erlaubt es, vom eigenen Versagen abzulenken. Nachdem Trump die vom Coronavirus ausgehenden Gefahren wochenlang kleingeredet und unter den Teppich gekehrt hat, lässt das Umlegen des Schalters auf „Wir sind im Krieg“ nun kaum noch Raum für kritische Auseinandersetzung. So versucht Trump sich selbst aus dem „Schussfeld“ zu ziehen, da nun Ressourcenmobilisierung und Patient*innenversorgung die obersten Handlungsdirektiven unter dem „Kriegspräsidenten“[19] sind, der nur sich und sein Land gegen einen übermächtigen Feind verteidigen will.
Virale Befriedung
Diese Art der Kriegsmetaphorik ist nicht nur unsinnig und hanebüchen, sie ist sogar gefährlich. Das Wort „Krieg“ hat wohl noch nie jemand benutzt, um eine Situation zu beruhigen. Man weckt damit (zum Glück nicht bei allen) Erinnerungen[20] und Assoziationen, die näher mit Not und Leid als mit Solidarität und Ruhe verbunden sind. Folgt man Lakoffs Theorie, nämlich dass Metaphern unsere Wahrnehmung strukturieren und somit eine realitätsschaffende Dimension haben, kann man seine fatalistische Schlussfolgerung nachvollziehen: „Metaphors can kill.“[21] Das Zitat stammt aus einer Analyse der US-Kriegsmetaphorik vor dem Irakkrieg und geht im Rahmen der besprochenen Beispiele sicher einen Schritt zu weit. Allerdings legt die vorliegende Auseinandersetzung hoffentlich nahe, dass diese Metaphorik in angespannten Zeiten keine beruhigende Wirkung auf die (inter)nationale Adressatenschaft ausüben dürfte.[22]
Ein Gutes hat es aber doch, SARS-CoV-2 und COVID-19 den Krieg zu erklären: Man kann versuchen, mit ihm über Frieden zu verhandeln[23].
Philipp Heimann arbeitet u.a. als Lektor am Göttinger Institut für Demokratieforschung und ist Teil der Blog-Redaktion.
[1] Iskandar, Katharina: Frankfurt verbietet Hamsterkäufe, in: FAZ.net, 23.03.2020, URL: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/stadt-frankfurt-reagiert-mit-verbot-von-hamsterkaeufen-16692613.html [eingesehen am 30.03.2020].
[2] O. A.: Hannover: Diebe entwenden Schutzmittel aus Klinik, in: NDR.de, 23.03.2020, URL: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Hannover-Diebe-entwenden-Schutzmittel-aus-Klinik,mhh444.html [eingesehen am 30.03.2020].
[3] Schleidt, Daniel: Beschimpft und angefeindet, in: FAZ.net, 25.03.2020, URL: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/corona-krise-verlangt-mitarbeitern-in-supermaerkten-vieles-ab-16693501.html [eingesehen am 30.03.2020].
[4] Koetter, Jan: Ein Ruhepol im Chaos: Virologe Christian Drosten ist aktuell der Internet-Liebling, in: The Best Social Media DE, 16.03.2020, URL: https://www.thebestsocial.media/de/ein-ruhepol-im-chaos-virologe-christian-drosten-ist-aktuell-der-internet-liebling/ [eingesehen am 30.03.2020].
[5] O. A.: Corona-Podcast: Alle Folgen in der Übersicht, in: NDR.de, URL: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Corona-Podcast-Alle-Folgen-in-der-Uebersicht,podcastcoronavirus134.html [eingesehen am 30.03.2020].
[6] Die Briefings sind nicht auf einer Webseite einsehbar, sondern werden immer live über den Twitterkanal des Robert Koch-Instituts gestreamt: Robert Koch Institut, in: Twitter.de, URL: https://twitter.com/rki_de [eingesehen am 30.03.2020].
[7] Munzinger, Paul: Warum sagt er das?, in: SZ.de, 18.11.2015, URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/thomas-de-maiziere-warum-sagt-er-das-1.2742900 [eingesehen am 30.03.2020].
[8] Dpa: Frankreich im „Gesundheitskrieg“ gegen Corona, in: SZ.de, 17.03.2020, URL: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-frankreich-im-gesundheitskrieg-gegen-corona-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200316-99-353511 [eingesehen am 30.03.2020].
[9] O. A.: Großbritannien droht der Corona-Kollaps, in: ntv.de, 19.03.2020, URL: https://www.n-tv.de/politik/Grossbritannien-droht-der-Corona-Kollaps-article21654307.html [eingesehen am 30.03.2020].
[10] Bennett, Brian/Berenson, Tessa: ‚Our Big War.‘ As Coronavirus Spreads, Trump Refashions Himself as a Wartime President, in: Time, 19.03.2020, URL: https://time.com/5806657/donald-trump-coronavirus-war-china/ [eingesehen am 30.03.2020].
[11] Caspari, Lisa/Reinemann, Carsten: „Absolute Transparenz ist nicht immer richtig“, in: ZEIT ONLINE, 19.03.2020, URL: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-03/krisenkommunikation-angela-merkel-emmanuel-macron-corona-krise [eingesehen am 30.03.2020].
[12] Korte, Herrmann: Bildlichkeit, in: Arnold, Heinz Ludwig/Detering, Heinrich: Grundzüge der Literaturwissenschaft, 7. Aufl., München 2005, S. 261.
[13] Vgl. Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse. Stuttgart/Weimar 1997, S. 151.
[14] Vgl. Lakoff, George/Wehling, Elisabeth: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht, 4. Aufl., Heidelberg 2016, S. 14.
[15] Vgl. Lakoff/Wehling, S. 16f. Weitere Beispiele liefert das oft technisch und mathematisch angesehene Vokabular der Informatik („Maus“, „root“, „shell“, „window“, „Datenbank“ usw.) sowie die stets ausgeschmückte Sprache des Sportkommentars („Ein Strich in den Knick“, „Bayern verprügelt HSV“, „Bananenflanke“ usw.).
[16] Lakoff/Wehling, S. 20.
[17] Vgl. Pörksen, Bernhard: Die Konstruktion von Feindbildern. Zum Sprachgebrauch in neonazistischen Medien, Wiesbaden 2005, S. 247f.
[18] Pörksen, S. 249. Für weitere mögliche Rollen des Senders vgl. Lakoff, George: Metaphor and War, again, ursprünglich erschienen in: AlterNet, 18.03.2003; hier: L.I.E.S., URL: http://www.ugr.es/~jsantana/lies/metaphor_and_war_again.htm [eingesehen am 29.03.2020].
[19] Theveßen, Elmar: Der unentschlossene Kriegspräsident, in: ZDFheute, 30.03.2020, URL: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-usa-trump-100.html [eingesehen am 30.03.2020].
[20] Kulms, Johannes: Erinnerungen an den Krieg, in: Deutschlandfunk, 20.03.2020, URL: https://www.deutschlandfunk.de/senioren-und-das-coronavirus-erinnerungen-an-den-krieg.1773.de.html?dram:article_id=472906 [eingesehen am 30.03.2020].
[21] Lakoff: Metaphor and war.
[22] Anm. d. Autors: Ein paar weiterführende Gedanken hierzu: Die Schwarz-Weiß-Zeichnung von Kriegsmetaphern bildet unsere weitaus komplexere Realität im seltensten Fall zuverlässig ab und man sollte sie deshalb zugunsten klarer, weniger effekthascherischer Kommunikation ad acta legen. Der umgangssprachliche Gebrauch von Kriegsmetaphern (auch in politischer Sprache) verharmlost die Leiden, welche Menschen in „echten“ – im Sinne von: menschengeführten – Kriegen widerfahren.
[23] O. A.: Trump will sich mit Coronavirus zu Friedensverhandlungen treffen, in: Der Postillon, 25.03.2020, URL: https://www.der-postillon.com/2020/03/trump-coronavirus.html [eingesehen am 30.03.2020].