[analysiert]: Priska Daphi über die Montagsmahnwachen und neue Protestformen
Den Montagsdemonstrationen für den Frieden, die im Kontext der Ukraine-Krise im Frühjahr 2014 bundesweit stattfanden, wurde Rechtslastigkeit vorgeworfen. In einer Befragung der TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen in Berlin – einer Onlinebefragung mit 303 ausgewerteten Antworten – konnten wir zeigen, dass ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild zwar kaum zu finden ist, rechtsextreme Einstellungselemente jedoch in einigen Fällen durchaus vorhanden sind.[1] Neben dieser Offenheit gegenüber rechtem Gedankengut stehen die Montagsmahnwachen allerdings auch für die Entwicklung neuer Formen des politischen Protests, wie sie in Bezug auf die Occupy-Proteste beobachtet wurden. Welche Parallelen also lassen sich zwischen Montagsdemonstrationen und Occupy-Protesten in Deutschland beobachten?
- Mobilisierung über soziale Netzwerke
Wie bei den Occupy-Protesten spielen auch bei den Montagsmahnwachen soziale Netzwerke im Internet eine zentrale Rolle. Achtzig Prozent der TeilnehmerInnen der Mahnwachen in Berlin geben an, dass diese Netzwerke eine wichtige Informationsquelle für sie waren. Bei früheren Protesten, etwa gegen Stuttgart 21 im Jahr 2010, wurde digitalen sozialen Netzwerken nur eine sehr geringe Bedeutung beigemessen – etablierte Medien und die interne Kommunikation in Organisationen galten als wesentlich relevanter.[2]
Die große Bedeutung der sozialen Netzwerke im Internet hat nicht nur mit dem relativ jungen Alter der TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen und Occupy-Proteste und ihrer daher größeren Internetaffinität zu tun.[3] Sie hängt auch mit dem geringen Engagement der AktivistInnen in etablierten politischen Organisationen zusammen – es liegt deutlich unter dem früherer Proteste, etwa jenen gegen Stuttgart 21.[4] So sind von den TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen nur zehn Prozent Mitglied einer Gewerkschaft und nur sechs Prozent einer Partei. Unter den Occupy-AktivistInnen betrugen die Anteile der Gewerkschafts- und Parteimitglieder immerhin 16 bzw. 14 Prozent.[5]
- Geringe und niedrigschwellige Protesterfahrung
Der Anteil derjenigen, die zum ersten Mal an einem Protest teilnehmen, ist sowohl bei den Montagsmahnwachen als auch bei den Occupy-Protesten hoch. So geben 42 Prozent der MahnwachenteilnehmerInnen an, in den letzten fünf Jahren an keinem Protest teilgenommen zu haben; 38 Prozent haben in diesem Zeitraum an nur ein bis fünf Protesten teilgenommen. Bei den Occupy-Protesten fiel der Anteil der ProtesteinsteigerInnen mit rund dreißig Prozent ähnlich hoch aus.[6] Im Vergleich hierzu können 79 Prozent der GegnerInnen von Stuttgart 21 als protesterfahren bezeichnet werden.[7] Zudem ist die bisherige politische Beteiligung der TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen eindeutig niedrigschwellig – es dominieren Aktionsformen wie ethischer Konsum, Petitionen und Online-Kampagnen. Nur zwölf Prozent geben an, bereits an direkten Protesten wie Blockaden, Besetzungen oder zivilem Ungehorsam teilgenommen zu haben – im Vergleich zu vierzig Prozent bei den GegnerInnen von Stuttgart 21.[8]
- Fehlende Links-Rechts-Zuordnung
Unter den AktivistInnen der Montagsmahnwachen und der Occupy-Proteste fällt die große Zahl derer auf, die sich als weder politisch rechts noch links betrachten. 44 Prozent der Occupy-AktivistInnen beurteilen das Links-Rechts-Schema generell als nicht sinnvoll. Unter den TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen fällt dieses Urteil noch pointierter aus: Fast vierzig Prozent geben an, „keine Position“ auf der Links-Rechts-Skala einzunehmen und ganze zwei Drittel stimmen der Aussage zu: „Die Einteilung in links und rechts in der Politik ist überholt“.
- Misstrauen gegenüber dem politischen System
Das Misstrauen der TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen sowie der Occupy-AktivistInnen gegenüber etablierten politischen und wirtschaftlichen Akteuren ist sehr groß. Während das Prinzip der Demokratie mit über neunzig Prozent große Zustimmung erfährt, wird die politische Realität sehr negativ bewertet. So geben in beiden Fällen rund neunzig Prozent der AktivistInnen an, mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden zu sein (in der Gesamtbevölkerung liegt diese Zahl deutlich unter fünfzig Prozent[9]). Darüber hinaus äußern über neunzig Prozent der Befragten Misstrauen gegenüber den Parteien und dem Parlament. Diesen wird in der Gesamtbevölkerung deutlich mehr Vertrauen entgegengebracht – dies gilt auch für Gerichte, Großkonzerne und Banken.[10]
Neue Protestformen der Postdemokratie
Occupy-Proteste und Montagsmahnwachen weisen somit einige Parallelen auf, die als charakteristisch für neue Formen des politischen Protestes verstanden werden können. Zum Teil sind diese Merkmale im Kontext der Montagsmahnwachen wesentlich deutlicher ausgeprägt – etwa im Falle der Ablehnung der Links-Rechts-Zuordnung und der geringen Mitgliedschaft in politischen Organisationen.
Das große Misstrauen in politische Institutionen, die starke Unzufriedenheit mit der existierenden Demokratie und die geringen Einbindung in etablierte politische Organisationen verdeutlichen die Entfremdung gegenüber dem bestehenden politischen System. Die geringe Einbindung in bestimmte politische Szenen weist zudem auf eine schwache ideologische Festlegung hin, die vor allem bei den Montagsmahnwachen zu teilweise recht widersprüchlichen Aussagen führt.[11] In diesem Sinne können die Montagsmahnwachen und Occupy-Proteste auch als Ausdruck der Postdemokratie[12] verstanden werden: ein diffuses und oftmals apolitisches Aufbegehren gegen die erlebte Entleerung der Demokratie.
Als letztes müssen jedoch zwei zentrale Unterschiede hervorgehoben werden: Zum einen ist die linke Orientierung unter den Occupy-AktivistInnen deutlich ausgeprägter als unter den TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen. Dies zeigt sich nicht nur in der Selbstzuordnung der Occupy-AktivistInnen (55 Prozent betrachten sich selbst als links), sondern auch in Angaben zu früheren Demonstrationserfahrungen (überwiegend anti-rassistische und anti-faschistische Demonstrationen).[13] Darüber hinaus sind die Montagsmahnwachen von einer sehr starken Orientierung an den OrganisatorInnen der Demonstration geprägt, während die Occupy-Proteste auf AnführerInnen verzichteten und netzförmiger organisiert sind.
Dr. Priska Daphi ist Soziologin mit dem Schwerpunkt soziale Bewegungen und politische Partizipation. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Frankfurt/Main und Mitbegründerin der Initiative für Protest-und Bewegungsforschung in Berlin.
[1] Vgl. Daphi, Priska u.a.: Occupy Frieden – Eine Befragung von Teilnehmer/innen der „Montagsmahnwachen für den Frieden“. Forschungsbericht Technische Universität Berlin in Kooperation mit dem Verein für Protest- und Bewegungsforschung e.V., 19.06.2014, online einsehbar unter: https://protestinstitut.files.wordpress.com/2014/06/occupy-frieden_befragung-montagsmahnwachen_protestinstitut-eu_rev.pdf [eingesehen am 01.08.2014].
[2] Vgl. Baumgarten, Britta/Rucht, Dieter: Die Protestierenden gegen „Stuttgart 21“einzigartig oder typisch?, in: Brettschneider, Frank/Schuster, Wolfgang (Hrsg.): Stuttgart 21. Ein Großprojekt zwischen Protest und Akzeptanz, Wiesbaden 2013, S. 97-125.
[3] Vgl. Daphi u.a. 2014.
[4] Vgl. Baumgarten/Rucht 2013.
[5] Vgl. Brinkmann, Ulrich u.a.: Wer sind die 99%? Eine empirische Untersuchung der Occupy-Proteste, hg. von der Otto-Brenner-Stiftung, OBS-Arbeitspapiere 6, Frankfurt a. M. 2013
[6] Vgl. Brinkmann u.a. 2013.
[7] Vgl. Baumgarten/Rucht 2013.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. Decker, Oliver u.a.: Die Stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Leipzig 2014.
[10] Vgl. Daphi u.a. 2014.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. Crouch, Colin (Postdemokratie, Berlin 2008.
[13] Vgl. Brinkmann u.a. 2013.