Haben wir zu viele Bundesländer?

Beitrag verfasst von: Teresa Nentwig

[präsentiert]: Teresa Nentwig hat in Goslar die Veranstaltung „Brauchen wir 16 Bundesländer? – Das föderale System auf dem Prüfstand“ besucht.

Vor zwanzig Jahren missglückte die Fusion zwischen Berlin und Brandenburg. Nachdem am 5. Mai 1996 in einer Volksabstimmung zwar 53,4 Prozent der Berliner, aber lediglich 36,6 Prozent der Brandenburger für ein Zusammengehen des Stadtstaats und des Bundeslandes gestimmt hatten, war klar, dass der Versuch, Berlin und Brandenburg zum fünftgrößten Bundesland zu machen, gescheitert war.[1]

Zwanzig Jahre danach diskutierten der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow und der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber über die Frage, ob wir noch 16 Bundesländer brauchen. Ramelow ruhig, aber witzig, schlagfertig und immer wieder persönliche Anekdoten sowie praxisnahe Beispiele einstreuend; Stoiber wie eh und je temperamentvoll, wild gestikulierend und gern auch mal etwas weitschweifig. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Der Berg ruft – Die Zukunft fördern!“ waren beide am 14. Juni 2016 in das ehemalige Bergwerk Rammelsberg in Goslar gekommen, das seit 1992 zum Weltkulturerbe zählt. In der geräumigen Mannschaftskaue, dem früheren Umkleideraum der Bergmänner, ging es aber zunächst um ein anderes Thema: die deutsche Flüchtlingspolitik.

Denn nachdem der Goslarer Oberbürgermeister Oliver Junk, ein früheres CSU- und heutiges CDU-Mitglied, in seiner einführenden Rede Horst Seehofers Haltung in der Flüchtlingsfrage kritisiert hatte, bat der Moderator der Veranstaltung Stoiber um einen Kommentar. Wie zu erwarten, nahm der CSU-Ehrenvorsitzende den derzeitigen Parteichef in Schutz und verteidigte die Position seiner Partei in der Flüchtlingspolitik; und auch Ramelow gestand, er habe Seehofer intern als einen „unglaublich nachdenklichen Menschen“ erlebt, in dessen Haut er zuletzt nicht hätte stecken wollen. Zugleich zeigte Ramelow für sein Bundesland plastisch, wie dringend es Zuwanderung benötige: Ob enormer Facharbeitermangel, zahlreiche unbesetzte Ausbildungsplätze oder zehntausende leerstehende Wohnungen – Thüringen sei auf Zuwanderer angewiesen. Derzeit stehe man sogar in Kontakt mit der griechischen Regierung, um im Rahmen der dualen Ausbildung eine Kooperation zwischen Griechenland und Thüringen zu erreichen.

Bodo Ramelow und Edmund Stoiber, die sich beide für eine „europäische Lösung“ in der Flüchtlingsfrage aussprachen, zeigten auch in der anschließenden Debatte über die Zukunft der Bundesländer und den Zustand des bundesdeutschen Föderalismus viele Übereinstimmungen. Während Ramelow vor den knapp 200 Gästen die „produktive Vielfalt“ hervorhob, für die der Föderalismus stehe, und von dessen „kultureller Kraft“ sprach, zeigte sich Stoiber überzeugt, dass der Föderalismus für eine „gleichmäßigere Entwicklung“ der Bundesländer sorge. So gebe der Bundesrat den Ministerpräsidenten die Möglichkeit, „aufzuschreien“, wenn ihre Länderinteressen bedroht würden.

Doch sowohl Ramelow als auch Stoiber zeigten sich gleichfalls überzeugt, dass in Zukunft weniger Bundesländer und dafür finanziell wie strukturell stärkere Kommunen erforderlich seien, um eine bessere Leistungsfähigkeit zu erreichen. Zudem sei das Verhältnis Bürger–Kommune entscheidend für das Verhältnis Bürger–Staat. Damit lagen der Linken-Politiker und der CSU-Politiker auf einer Linie mit dem Oberbürgermeister von Goslar, der sich in seinem einleitenden Statement für eine Reduzierung auf elf Bundesländer und eine Stärkung der Kommunen ausgesprochen hatte. Ramelow zeigte sogar, wie ein Weg dorthin aussehen könnte: Er könne sich ein neues Bundesland „Mitteldeutschland“ – bestehend aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – vorstellen. Damit ein solches am Ende Realität werde, müssten die drei Länder zunächst zusammen einen gemeinsamen „Entwicklungsplan“, einen „Zielplan“, konzipieren, in dem v.a. die „Stadt–Umland-Beziehungen“ definiert würden. Dabei komme es auf „Verabredungen“ an, so der gebürtige Niedersachse Ramelow.

Wie schwierig solch ein länderübergreifendes Vorgehen allerdings ist, gestand Ramelow im selben Atemzug ein: Die „Fantasien der Lokalpolitiker“ seien bisher „nicht hoch“ gewesen, so die Kritik des thüringischen Ministerpräsidenten. „Regionale Egoismen“ verhinderten die Suche nach „mehr Schnittstellen“ für eine länderübergreifende Zusammenarbeit. Dass allein schon Territorialreformen im eigenen Bundesland auf erheblichen Widerstand stoßen, erlebt Ramelow derzeit. Die Gebiets- und Verwaltungsreform, die gegenwärtig im Thüringischen Landtag diskutiert wird, sei zwar dringend notwendig, so der Regierungschef, der dafür u.a. folgendes Beispiel brachte: In der Stadt Suhl komme erst der Stadtbus, gefahren von einem Fahrer, der von den „chronisch unterfinanzierten“ städtischen Verkehrsbetrieben keinen Tariflohn erhalte, und hinterher folge der Kreisbus auf derselben Strecke.

Doch die geplante Gebiets- und Verwaltungsreform, so Ramelow weiter, zeige die starken regionalen Identitäten und Verbundenheiten, die herrschten und zu wahren „Abwehrschlachten“ einiger Kommunen geführt hätten. Heiligenstadt etwa könne sich eine Fusion lediglich mit Göttingen vorstellen, nicht aber mit Nordhausen, so Deutschlands erster Ministerpräsident der Linken. Und Erfurt und Weimar seien sich auf kulturellem Gebiet spinnefeind. Ja: Sonneberg, ein Landkreis im Südthüringischen, habe sogar schon damit gedroht, nach Bayern überzutreten, falls der Landkreisstatus im Zuge der Gebietsreform verloren gehe. Mit anderen Worten: Identitäten würden verhindern, dass Prozesse „betriebswirtschaftlich“ liefen.

Für Ramelow ist auch vor diesem Hintergrund für die übergeordnete Frage der Länderzusammenlegung klar: Identitäten lassen sich nicht einfach „mechanisch wegtun“; „künstliche Gebilde ohne größere Identitätsräume“ seien unmöglich. Mit diesen Aussagen hatte er erwartungsgemäß Stoiber auf seiner Seite, der mit Bayern, wie er selbst sagte, einen „Sonderfall“ repräsentiere: Die tausendjährige Tradition seines Bundeslandes habe ein „enormes Staatsbewusstsein“ geprägt. Auch für andere Bundesländer, etwas das Saarland, gebe es „historisch begründete Traditionen“, die bei Länderfusionen berücksichtigt werden müssten. Überhaupt zeigten die „nationalen Stimmen“, die zuletzt in verschiedenen Ländern Europas laut geworden seien – darunter in Deutschland, Stichwort Pegida –, dass viele Menschen gegen „größere Einheiten“ seien. Notwendig, so der ehemalige bayerische Ministerpräsident, sei daher, den „richtigen Zeitpunkt“ für eine Länderzusammenlegung zu „erwischen“ und „sehr sensibel“ an dieses Thema heranzugehen.

Wie das geschehen kann, blieb während der fast zweistündigen Diskussion allerdings offen. Möglicherweise wäre ein Weg eine neue Föderalismuskommission, für die sich sowohl Ramelow als auch Stoiber aussprachen. Ramelow, der Mitglied der Föderalismuskommission II war, zeigte sich enttäuscht über deren Ergebnisse. Man habe sich auf vieles geeinigt, wie etwa auf eine einheitliche Börsenaufsicht; aber am Ende seien alle zuvor geschlossenen Kompromisse aufgrund „regionaler Egoismen“ „obsolet“ gewesen – herausgekommen sei lediglich das Neuverschuldungsverbot ab 2020. Unter Umständen könnte eine Föderalismuskommission III mehr erreichen.

Alles in allem wurde in Goslar ein Thema diskutiert, das wohl um das Jahr 2020 herum, wenn die Schuldenbremse greift, noch einmal an Aktualität gewinnen dürfte. Bis dahin wird vermutlich weiterhin das passieren, was auch in den letzten Jahrzehnten zu beobachten gewesen ist: In regelmäßigen Abständen spricht sich ein mehr oder weniger bekannter Politiker für eine Zusammenlegung von Bundesländern aus. Ob „Nordstaat“, „Mitteldeutschland“ oder „Rheinland-Saarpfalz“: Viele, mal mehr, mal weniger elaborierte Fusionsaufrufe lagen schon auf dem Tisch. Doch alle verschwanden wieder in den Schubladen.

Dr. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Vgl. Mallwitz, Gudrun: Neuer Anlauf für Länderfusion, in: Die Welt, 11.07.2005; Metzner, Thorsten: Beziehungsstatus: Es ist kompliziert, in: Der Tagesspiegel, 04.05.2016.