[analysiert]: Franz Walter über Christoph Blocher und die Schweizer Volkspartei
Nein, sie stehen am 25. Mai nicht zur Wahl, wollten es ja auch ganz entschieden nicht: Die Schweizer Volkspartei (SVP) und ihr politischer Heeresführer, der Mann des Volkes mit dem Milliardenvermögen im Rücken, Christoph Blocher. Das dürfte gerade die besorgten Professionellen der europäischen Integrationsalternativlosigkeiten einigermaßen beruhigen. Denn unter allen Parteien der rechten Mitte, die sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten einem aggressiven, organisatorisch verblüffend modernen, kampagnenorientierten Politikstil der polarisierenden Zuspitzung verschrieben haben, ist die SVP unzweifelhaft am weitesten vorangekommen. Allein sie hat bisher geschafft, wonach die FPÖ in Österreich und der Front National in Frankreich seit Jahren wohl begierig, aber bislang vergebens strebten: Durch Parlamentswahlen zur stärksten politischen Formation in ihrem Land zu werden. Dabei hat vor allem die scharfe Distanz zur Europäischen Union – die zwar auch die anderen populistischen Kräfte des rechten Spektrums in ihren Programmen führen, aber doch nirgendwo mit so elementarer Wucht wie in der Schweiz – der Schweizer Volkspartei zu ihrem rasanten, ganz und gar unschweizerischen Aufstieg von einem kleinen, eher behäbigen Verein selbstgenügsamer Mittelständigkeit zur dynamischen, agitatorisch fulminant operierenden Sammelpartei, die den Rest der politischen Konkurrenz seit den 1990er Jahren auf weitem Abstand hält, verholfen.[1]
Als rechtspopulistische Neuformation erst in der Krise der überkommenen Lager- und Volksparteien also entstand die SVP nicht.[2] Die Geschichte der Schweizer Volkspartei war eine Historie der Transformation, wenn man so will: der Radikalisierung des Juste Milieus im kleinen, zunächst ländlichen Mittelstand der Schweiz.[3] Am Anfang standen Bauern und Winzer, die bis zum Ersten Weltkrieg ihre politische Repräsentanz je nach Konfession entweder bei den Liberalen oder den katholischen Konservativen fanden. Das änderte sich während der Jahre der Grenzbesetzung, an deren Ende sich in den Kantonen Zürich wie Bern Bauern- und Bürgerparteien selbstständig konstituierten, seit Mitte der 1930er Jahre auch landesweit. Viel Aufsehen erregten sie nicht; sie agierten als betuliche, verlässlich loyale Koalitionspartner in den Bürgerblöcken mit Liberalen und Konservativen. Die Stimmanteile lagen seit den 1940er Jahren konstant bei elf bis zwölf Prozent. Die Bedeutungsverluste des agrarischen Sektors und der dadurch bedingte Verschleiß an klassischen Stammwählern veranlassten die Bauern und Krämer, ihre Partei 1971 in eine „Volkspartei“ umzubenennen und dadurch auf Zuzug neuer Wähler aus Arbeiterschaft und Angestelltenkreisen zu hoffen. Doch diese Erwartung schlug fehl; 1975 fiel die elektorale Quote gar erstmals unter zehn Prozent. Die SVP blieb weiterhin die kleinste unter den Bundesratsparteien.
Doch dann betrat Christoph Blocher die politische Bühne. Und die Dinge änderten sich mit Aplomb. Blocher, 1940 in Schaffhausen geboren, wuchs mit zehn weiteren Geschwistern in einem Pfarrhaus auf. Das Geld war entsprechend knapp. Und mühselig ging zunächst der soziale Aufstieg vonstatten. Es fing an mit einer landwirtschaftlichen Lehre, setzte sich dann, in den Jahren des Frühlings einer neuen, von Blocher herzlich verachteten akademischen Linken[4], mit einem Jurastudium fort. Zäh und listig brachte er es bis an die Spitze eines Chemie-Konzerns, avancierte zum Milliardär. Aber auch dann kultivierte er weiterhin seine Aufsteigerbiografie, seine Ferne zur klassischen Oberschicht der Schweiz. Wie viele Populisten strebte auch Blocher mit aller Energie nach oben, suchte die Anerkennung, die er, poltrig und hemdsärmelig im Auftritt, von der Traditionselite nie erhielt. Solche Zurückweisung nährt Frustrationen, setzt Hassgefühle frei, stachelt dazu an, die eingesessene, dünkelhafte Bourgeoisie wieder und wieder zu düpieren, ihr durch kühne und verwegene Aktionen vor Augen zu halten, wie abgeschlafft und erbärmlich sie doch ist, während der Herausforderer von unten vor Vitalität und „Mannesmut“ strotzt. Natürlich waren Blochers Hauptgegner die Linken und multikulturellen „Gutmenschen“. Gering schätzte er die Liberalen vom Freisinn, die er als „Weichsinnige“ verspottete. Aber sein Kampf richtete sich stets auch gegen das „Establishment“.[5] Er, Blocher, gegen alle anderen. Seine Partei, die SVP, gegen den Rest der abgehobenen politischen Klasse in Bern – in dieser binären Konstruktion des politischen Schlachtfeldes fühlte sich Blocher bestens platziert.[6] Denn auf diese Art hatte er seine erfolgreichste Schlacht geführt, die seinen Ruf als mutiger Mann des Volkes, der aussprach, wozu sonst allen der Mumm fehlte, begründete. Im Jahr 1992 traten alle Bundesratsparteien, die Gewerkschaften, die Unternehmerverbände, die medialen Flaggschiffe des Landes für den Beitritt der Schweiz zum „Europäischen Wirtschaftraum“ (EWR) ein. Allein Blocher und seine Gefolgsleute aus der SVP des Kantons Zürich stellten sich dagegen, organisierten und finanzierten aufwendig ein Referendum gegen den europäischen Integrationsschritt. Und Blocher gewann die Bataille. Knapp zwar, aber gut demokratisch.
Populisten sind Artisten der unmittelbaren Demokratie. Im Plebiszit leben sie auf, hier verwenden sie die Instrumente und Muster, die in einer Politik der vermittelnden Repräsentation weniger nützlich sind, auch weniger gebraucht werden können. Der plebiszitäre Populist sucht die Konfrontation, den absoluten Sieg. Er reklamiert den gesunden Menschenverstand für sich und setzt ihn der unterstellten Verneblungsrhetorik von Politikern, Bürokraten und Intellektuellen entgegen. Daher konnte Blocher gerade in der Referendumsdemokratie reüssieren. Er neigte nicht zu komplexen Argumentationswendungen. Stattdessen liebte er griffige Metaphern, einprägsame Bilder, pointierte Appelle, zielte auf Anschaulichkeit. Blocher erzählte Geschichten, gebrauchte Analogien, stichelte und witzelte in seinen Reden, schlagfertig, oft laut.[7] Die plebiszitäre Demokratie prämiert überdies die Pose des Nicht-Politikers. Dafür schlüpfte Blocher, der zwischen 1979 und 2003 selbst dem Nationalrat angehörte, in seinen basisdemokratischen Feldzügen stets in die Rolle des Außenseiters, des Nichtzugehörigen, gar Verfemten der Parteien- und Parlamentspolitik. Dabei hatte Blocher seine SVP binnen weniger Jahre zur modernsten, am straffsten geführten Parteiorganisation der Schweiz getrimmt. Nirgendwo sonst wurden die Kader so geschult, der Nachwuchs derart gepäppelt, die Medienarbeit auf solche Weise professionalisiert, die Funktionäre vergleichbar zur Daueragitation angetrieben wie hier. Nichts erinnerte bald mehr an die biedere Honoratiorenpartei von ehedem. Die SVP war zu einer Kampfmaschine politischer Propaganda geworden, die auch zwischen den Wahlkämpfen fortwährend unter Dampf stand. Blocher selbst zog als oberster Stratege die Fäden und stand an der Front als erster Tribun seiner Partei. Ein Mandat dafür besaß er übrigens nicht.[8] Was Joschka Fischer für die Grünen in Deutschland bis 2005 bedeutete, verkörperte Blocher in der SVP: Beide führten sie, ohne je von Delegierten oder Mitgliedern zum Vorsitz legitimiert worden zu sein. Führung per plebiszitärem Charisma stört sich daran nicht. Schließlich verband Blocher und Fischer – bei allen inhaltlichen Differenzen natürlich – auch dies: Ihre Anhänger verehrten sie, weil sie Dinge wagten, die wohl auch die Epigonen gern versucht, sich aber nie ernsthaft getraut hatten.
Die volksparteiliche Dampfwalze schien jedenfalls nicht aufzuhalten. Erst gemeindete die Partei die diversen kleinen Rechtsparteien ein, dann wilderte sie auf dem Terrain der FDP, später, als Organisation ursprünglich der reformierten Landesteile, gar der katholischen CVP. Schließlich begeisterte Blocher noch einen Großteil der Arbeiter, wenn er gegen die „classe politique“, gegen „Linke und Nette“, vor allem: gegen „kriminelle Ausländer“ etc. zu Felde zog. Die SVP, Partei zahlreicher (mittelgroßer) Unternehmer und Modernisierungsantreiber, wurde innerhalb eines Jahrzehnts auch zur Partei der Schlechtgebildeten, Geringverdiener, der Arbeiter und Arbeitslosen, kurz: der Modernisierungsverlierer, die sich von den Sozialdemokraten (SP) zunehmend abkoppelten. Doch hatte die Entfremdung zwischen der SP und ihrem früheren industrieproletarischen Subjekt der gesellschaftlichen Transformationsprojekte schon früher, gewissermaßen im Nachhall zu „1968“ begonnen. Auftrieb erhielt dieser Prozess bezeichnenderweise dadurch, dass im rechten Spektrum des Parteiensystems bereits damals Matadore der „Volksstimmung“ auftraten, die das Medium der direkten Demokratie nutzten, um anhand der Migrations- und Ausländerfrage durch populistisch zugespitzte Kampagnen Stimmungen zu erzeugen. Der Pionier dieses neuen rechten Populismus und Blocher-Vorläufer war James Schwarzenbach, Chef der „Nationalen Aktion“, der 1970 eine Referendumsinitiative in Gang setzte, mit der die Schweiz Schranken gegen „Überfremdung“ errichten, Ausländer auch ausweisen sollte. Immerhin 46 Prozent der Abstimmenden folgten ihm, darunter eben auch viele bisherige sozialdemokratische Anhänger und Gewerkschafter, die Furcht vor Konkurrenten um ihre Arbeitsplätze und einem Anstieg der Mietpreise aufgrund wachsender Migration hatten. In der SP sahen sie bald keinen politischen Anwalt ihrer Interessen mehr, da deren politische Repräsentanten sich weiter für offene Zuwanderungswege und liberale Asylgesetze aussprachen. Binnen einer Dekade ging der Arbeiteranteil am SP-Elektorat um die Hälfte zurück; 1991 betrug er nur noch 18 Prozent,
Kurzum: Die SVP, nicht die Sozialdemokratie, entwickelte sich zur modernen Arbeiterpartei der Schweiz. Aus der Elf-Prozent-Partei wurde bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eine 22,5-Prozent-Partei; bei den Nationalratswahlen im Jahr 2007 erhielt die Blocher-Partei gar 28,9 Prozent der Stimmen und lag knapp zehn Prozentpunkte vor der SP. Eine solche Erschütterung hatte das über etliche Jahrzehnte bemerkenswert immobile Schweizer Parteiensystem zuvor nicht erlebt.[9] Und: Mit der SVP gewann eine Partei vehement hinzu, die sich ideologisch vom berühmten „Median-Wähler“ kräftig entfernt hatte.[10] Nach allem, was die Mainstream-Parteienforschung allzeit verkündete, hätte dergleichen niemals passieren dürfen.
Nun mag es an der Schweizer Besonderheit liegen. Hier ist in der Tat wohl nicht alles, aber doch vieles anders als sonst. Die Nation ist kulturell, regional und nicht zuletzt religiös vielfach zergliedert, im Politologenjargon ausgedrückt: fragmentiert, segmentiert und dezentriert.[11] Damit sich die verschiedenen eigenständigen Traditionen, Herkünfte und Glaubensüberzeugungen nicht in einem kämpferischen Antagonismus begegnen und so einander gefährden, hat man dortzulande die Konkordanz entdeckt und dafür eine sogenannte „Zauberformel“ erfunden. Auf diese Weise ist ein Regierungssystem entstanden, das einzigartig auf der Welt ist und jenseits der Alpen in der Regel auf Verwunderung stößt. Mit der „Zauberformel“ sind die Proporze seit 1959 im Bundesrat – der nationalen Exekutive also – unabhängig vom jeweiligen Ausgang der Wahlen fixiert: Zwei Bundesratsposten gingen an die Liberalen, zwei an die Konservativ-Katholischen, zwei an die Sozialdemokraten; ein Ministerposten fiel an die kleinste Partei, eben die der Bauern, Bürger und Gewerbetreibenden, die zur SVP mutierte, dann – in den 1990er Jahren – ihren furiosen Aufstieg erlebte und dadurch ab 2003 die „Zauberformel“ dank eines zusätzlichen, zweiten Postens zu ihren Gunsten (und zu Lasten der kontinuierlich schwächer gewordenen Christdemokraten) korrigieren konnte. Die sieben Bundesräte agieren gleichberechtigt, bilden ein Kollegialorgan. Und auch der – turnusgemäß jährlich ausgewechselte – Bundespräsident fungiert nicht als Chef der Regierung, hat keine Richtlinienbefugnis, sondern übt allein die anstehenden repräsentativen Verpflichtungen im In- und Ausland aus. Alles in allem: Die politische Potenz der Schweizer Zentralregierung ist entschieden limitiert. Dies aber ermöglicht, was in klassischen parlamentarischen Demokratien undenkbar ist, nämlich dass eine Partei wie die SVP des lustoppositionellen Herrn Blocher Teil der Gouvernementalität und zugleich Motor einer furiosen Opposition sein konnte – und sein kann.
Denn die Referendumsdemokratie nimmt den Wahlen zum Nationalrat die elementare Bedeutung, die Parlamentswahlen in zentralstaatlich ausgelegten Wettbewerbsdemokratien sonst besitzen, da das Parlament hier nur die eine Quelle der Macht begründet. Die andere Quelle bilden unmittelbare Volksrechte in Form der direkten Demokratie, mit der die Schweizer Bürger Regierungs- und Parlamentsentscheide souverän aushebeln, umwerfen, modifizieren können. Durch das Initiativrecht vermag der Demos auch unabhängig von der parlamentarischen Legislative gesetzesbildend zu wirken. Dadurch relativiert sich der überall sonst übliche Primat der repräsentativ beschickten Volksvertretung und des Regierungskabinetts. Aufrufe zur Geschlossenheit und zur strikten Handlungsdisziplin im Konnex von Partei, Fraktion und Regierungskabinett wirken in der Schweiz demzufolge überspannt und sind daher auch kaum zu hören. Regierungsparteien treten hier mithin nicht stringent als subalterne Schutztruppen ihrer Minister auf.[12] Sie können vielmehr im gleichen Maße als ätzende Frondeure gegen die Exekutive agieren. In der Schweiz vermögen die größeren Parteien ein bisschen gouvernemental sein, aber zugleich auch ein wenig oder gar sehr stark oppositionell. Konkordanz und ideologischer Disput schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich auf verblüffende Weise. Niemand hat das so sehr begriffen und freudig ausgespielt wie eben Christoph Blocher. Er brauchte nicht unbedingt zu befürchten, was anderen rechtspopulistischen Parteien als ehernes Menetekel erscheint: dass der Aufstieg durch fundamentaloppositionelle Mobilisierung in dem Moment unterbrochen und ausgebremst, gar umgekehrt wird, sobald der Populismus an der Regiermacht in Bündnisse eingezwängt ist, Kompromisse hinnehmen muss, die rhetorische Schärfe abzumildern hat und ebenso wie die zuvor noch mit genüsslicher Empörung verunglimpften „Kartellparteien“ nach Posten und Pfründen zu heischen beginnt.[13]
Blocher aber konnte sich auch als „Minister“ – er leitete zwischen 2004 und 2007 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement im Bundesrat – immer wieder auch an die Spitze oppositioneller Erregungen stellen. Doch 2007 war es die chronisch von ihm verhöhnte classe politique leid und wählte den lärmenden SVP-Mann ab, was in der Konsenskultur der Schweizer Demokratie ebenfalls ein rares Ereignis darstellte. Schon frohlockten die Kommentaroren der seriös konservativen, liberalen und linken Presse, dass die Ära des rabiaten Milliardärs in der Politik wohl abgelaufen sei. Dergleichen süffisante Nekrologe las man seither in schöner Regelmäßigkeit.[14] Dass die Grabgesänge nicht ganz grundlos ertönten, schien sich durch den Ausgang der Nationalratswahlen im Jahr 2011 zu belegen, als die SVP erstmals nach 1987 wieder einen Rückschlag hinnehmen musste, wenngleich sie bei einem Minus von 2,3 Prozent mit 26,6 Prozent weiterhin die stärkste Partei im Land blieb. Dann indes kam der 9. Februar 2014, der Sonntag der Abstimmung über die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“. Auch hier hatte Blocher wieder die Rolle des Feldherrn einer enragierten politischen Miliz gegen die „vom Volk entfernten Oberen“ aus der Champagneretage der Linken, Grünen und Freisinnigen samt ihrer Förderer an Universitäten und in der Finanzwirtschaft übernommen – und obsiegt, knapp wie schon 1992, aber ebenfalls gut demokratisch.[15] Nochmals: Populisten sind Virtuosen der plebiszitären Kampagne.
Dennoch: Erlebte man hier die letzte Schlacht des Christoph Blocher? Ist sein Zenit nicht doch unwiderruflich überschritten? Im Herbst wird der Kampagnero 74 Jahre alt. Seine politischen Losungen wirkten zuletzt nicht mehr sonderlich frisch oder gar kreativ, sondern abgestanden, zumindest routiniert, seit Jahren bereits unverändert. Andererseits dürften die Themen, die Bloch seit nun bald vierzig Jahren in die öffentliche Debatte hinein schleudert, nicht unbedingt an Resonanz und Interesse verlieren. Die Erwartung, dass Blochers Angstmacherei vor dem Fremden wohl bei Älteren hinreichend Adressaten finden mochte, im Generationswechsel aber an Gehör und Zustimmung verlieren werde, war voreilig, wahrscheinlich verfehlt. Zwar erzielte die SVP zu ihren besten Zeiten tastsächlich bei den über 65 Jahre alten Schweizern mit 37-39 Prozent ihre höchsten Werte, während sie bei den 24- bis 54-Jährigen mit (allerdings nicht gerade wenigen) 23 bis 26 Prozent der Stimmen vorliebnehmen musste; doch bei den 18- bis 23-jährigen Jungwählern konnte sich die Blocher-Partei wieder eines elektoralen Zuspruchs von 34 Prozent erfreuen.[16]
Auch nach Blocher wird die SVP nicht zwingend vor dem Rückgang oder gar dem Verfall stehen. Die populistischen Parteien, die nun seit rund drei Jahrzehnten in Europa reüssieren, können sich inzwischen auf feste Stammwählerbasen stützen. Sie sind heute mehr als nur amorphe Nutznießer von Proteststimmungen, die allein von unsteten, chronisch mäandernden Frustrationen gespeist werden und lediglich kurzfristig zu existieren vermögen. Sie haben unterdessen vielmehr ihren Cleavage gefunden und besetzt, sind so auch organisatorisch gefestigt. Ihre Charismatiker und Tribunen, ob nun etwa Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pen, waren für die Anfangsphase, die Sattelzeit des Populismus wichtig, vermutlich unverzichtbar; sie waren die Motoren der Sammlung und des Aufstiegs. Doch mittlerweile kommen die konsolidierten populistischen Parteien auch ohne sie zurecht.
Franz Walter ist Leiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung.
[1] Insgesamt hierzu Geden, Oliver: Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Freiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung, Wiesbaden 2006.
[2] Geden, Oliver: Rechtspopulismus in der Schweiz. Das dunkle Herz Europas, in: Süddeutsche Zeitung, 17.09.2007.
[3] Zur Geschichte siehe vor allem DʼAmato, Gianni/Skendervic, Damir: Mit dem Fremden politisieren. Rechtspopulistische Parteien und Migrationspolitik in der Schweiz seit den 1960er Jahren, Zürich 2008; Skenderovic, Damir: The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945-2000, Oxford 2009.
[4] Über diese Zeit siehe Skenderovic, Damir/Späti, Christina: Die 68er-Jahre in der Schweiz. Aufbruch in Politik und Kultur, Baden 2012.
[5] Siehe das Porträt von Selbt, Constantin: Christoph Blocher – das Ende einer Machtmaschine, in: Tages-Anzeiger (Zürich), 22.11.2008.
[6] Gsteiger, Freddy: Die Gemütswurst, in: Die Zeit, 23.10.2003.
[7] Vgl. Knoll, Marcus: Blocher als Rhetoriker und Volkstribun, abrufbar unter: http://www.rhetorik.ch/Blocheranalyse/Blocheranalyse.html [eingesehen am 20.04.2014].
[8] Henckel, Elisalex: Der lustvolle Spalter aus der Schweiz, in: Die Welt, 16.02.2014.
[9] Seitz, Werner: Nur wer polarisiert, hat die Nase vorn, in: Berner Zeitung, 29.04.2000.
[10] Milic, Thomas/Klöti, Ulrich: UNIVOX II A Staat 2004/2005, abrufbar unter: http://www.gfs-zh.ch/?pid=98 [eingesehen am 20.04.2014].
[11] Vgl. hierzu Brändle, Michael: Strukturen der Parteiorganisationen, in: Ladner, Andres/Brändle, Michael (Hg.): Die Schweizer Parteien im Wandel. Von Mitgliederparteien zu professionalisierten Mitgliederorganisationen, Zürich 2001, S. 45-72.
[12] Geser, Hans: Wachsende überlokale Einbindung der Ortssektionen. Soziologisches Institut der Universität Zürich, Zürich 2003, abrufbar unter: http://socio.ch/par/ges_05.html [eingesehen am 20.04.2014].
[13] Geden, Oliver: Blochers Schweiz, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 4/2005, S. 404-406, hier S. 404.
[14] Als Beispiel etwa de Weck, Roger: Tribun ohne Volk, in: Die Zeit, 05.06.2008.
[15] Vgl. die differenzierte Analyse von Hug, Michael: Umschwung in der Agglomeration, Berner Zeitung, 18.03.2014.
[16] Siehe das Parteienporträt zur Schweizer Volkspartei unter: https://www.smartvote.ch/downloads/edu/sv_edu_parteienportraet_svp_de_CH.pdf [eingesehen am 20.04.2014].