Interview: „Die Aktivistin“

[nachgefragt]: Saskia Richter hat bei Prof. Walter über Petra Kelly ihre Dissertation geschrieben. Diese wird am 27.9.2010 bei DVA veröffentlicht. Vorab beantwortete sie uns einige Fragen zu ihrem Untersuchungsgegenstand.

Wer war Petra Kelly? Kannst du ihr Leben und ihre Bedeutung kurz nachzeichnen?

Petra Kelly gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Deutschland. Für die mediale Darstellung der Bewegungspartei wurde Kelly mit der Europawahl 1979 bedeutsam. Ihre Machtbasis war die Friedensbewegung, die sich zwischen 1980 und 1983 gegen den NATO-Doppelbeschluss formierte. Als selbst legitimierte Sprecherin dieser Bewegung konnte Kelly zu einer charismatischen Führungsfigur avancieren.

Sie wird einerseits als Jeanne d’Arc der Friedensbewegung und Galionsfigur der Grünen bezeichnet, andererseits gilt und galt sie auch in ihrer eigenen Partei als „nervig“. Woher kommen diese Zuschreibungen?

Die Zuschreibungen der Person Petra Kelly differieren zwischen einer innerparteilichen und einer medial dargestellten Wahrnehmung . Nach außen bot Petra Kelly als Führungsfigur eine Projektionsfläche für die alternativen Bewegungen der 1970er Jahre, die 1980 zur Partei wurden. Die Innenwahrnehmung war eine andere. Hier ging Petra Kelly keine strategischen Koalitionen oder Bindungen ein. Sie blieb eine auf sich selbst fixierte Einzelkämpferin, das erschwerte die Zusammenarbeit.

Welche Bedeutung hat Petra Kelly für die Parteigründung der Grünen?

In der Phase, als die Grünen noch  eine „Antipartei“ waren, hatte Petra Kelly die Artikulationsmacht, das Bewegungskonglomerat durch ihre Person und ihre Position in den Medien und in den Bewegungen darzustellen und an Wähler zu vermitteln. Die starke Friedensbewegung in der Bundesrepublik war ein wesentlicher Grund dafür, dass die Grünen 1983 in den Bundestag einziehen konnten. Petra Kelly stand innerhalb der Grünen für die Friedensbewegung. Sie war eine politische Pionierin ihrer Zeit, die in neuen Kategorien dachte.

Petra Kelly gilt als Feministin, Pazifistin, Umweltschützerin, etc. Wie gelang es ihr den Anforderungen gerecht zu werden, die mit all diesen Rollen verbunden sind?

Petra Kelly wurde diesen Rollen nicht gerecht. Sie war aber kommunikativ sehr geschickt und besetzte wichtige Themen. Dazu gehörten Umweltschutz, Frauenfragen, Menschenrechte – Themen, die in einem linksalternativen Milieu und in den Neuen Sozialen Bewegungen behandelt wurden. Petra Kellys Kernthema war die ionisierende Strahlung im medizinischen, zivilen und militärischen Bereich. So kam sie zur Friedensbewegung.

Du sagst, dass 1985 eine Art Wendepunkt für sie war. Was geschah damals? Wieso verlor sie ab diesem Zeitpunkt an Einfluss?

1985 verweigerte sich Petra Kelly der Rotation im Bundestag. Die frühen Grünen hatten dieses Prinzip eingeführt, um die Basisdemokratie zu gewährleisten. Nach zweijähriger Tätigkeit im Bundestag machten die Abgeordneten daher ihren Nachrückern Platz. Kelly aber blieb. Als Einzige. Sie forderte eine Professionalisierung der Fraktionsstrukturen und widersetzte sich den Regeln der Partei. Damit manövrierte sie sich innerparteilich ins Abseits.

Dein Buch stellt die Frage nach möglichem weiblichem Charisma. Allerdings distanzierst du dich davon und bezeichnest Kellys Charisma als Bewegungscharisma. Wie kommst du darauf?

Charisma ist eine Kategorie,  die in Politikwissenschaft und Zeitgeschichte ausschließlich für Männer verwendet wird. Petra Kelly war in der medialen Zuschreibung eine charismatische Politikerin. Darum habe ich gefragt, ob sie erstens auch in wissenschaftlicher Perspektive eine Charismatikerin war und ob dieses Charisma zweitens weiblich sein kann. Leider war es mir nicht möglich, mit den feministischen Begriffen der 1970er Jahre einen tragfähigen Begriff des „weiblichen Charismas“ zu entwickeln. Daher habe ich den Begriff zunächst zurück gestellt und Petra Kellys charismatische Führungsfunktion in den Sozialen Bewegungen stark gemacht.

Du stellst in deinem Buch Parallelen zu Mutter Teresa und Lady Di her. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede hast du entdeckt?

Der Mutter-Teresa- und Diana-Vergleich dient der Darstellung eines möglichen inneren Zustandes, dem daraus resultierenden Handeln und der entstehenden Außenwirkung. Kelly wurde oft mit Mutter Teresa verglichen. Die Frage ist, ob beide „gut“ handelten, warum sie sich für andere aufopferten. Eine Gemeinsamkeit könnte das gemeinsame Suchen gewesen sein, eine innere Einsamkeit und die daraus resultierende Aktivität. Die mediale Zuwendung wiederum suchte Kelly ebenso wie „die Königin der Herzen“. Es war kein gesundes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Öffentliche Aufmerksamkeit kann freundschaftliche Zuneigung nicht ersetzen.

Immer wieder kommst du auf Kellys große Emotionalität zu sprechen. Welche Auswirkungen hatte diese auf ihr politisches und gesellschaftliches Handeln? War es diese Emotionalität, die sie letztlich zum Mythos machte?

Petra Kelly führte emotional. Ihre Geschäftsbriefe sind mit persönlichen Dringlichkeiten angefüllt, deren sich der Adressat nicht entziehen kann. Meine These ist, dass es diese – auch öffentlich –  artikulierten Emotionen waren, die Petra Kellys hohe Popularität und ihre Wirkung begründeten. Jedes politische Handeln ist letztlich emotional. Doch Kelly artikulierte diese Emotionalität auf eine besonders intensive, biografisch hergeleitete Weise. Sie begründete ihr politisches Engagement mit dem frühen Krebstod ihrer Halbschwester Grace. Sie betonte ihre eigene Angst vor der Nachrüstung auf öffentlichen Veranstaltungen. Da viele Gegner des NATO-Doppelbeschlusses diese Angst teilten, konnte Kelly reüssieren. Deshalb wurde Kelly „zum Spiegel der Angst im Zeitalter der Apokalypse“.

Du hast dich jahrelang mit der Person Petra Kelly beschäftigt. Welches Verhältnis hast du heute zu ihr? Gibt es bei dir eine gewisse Bewunderung oder hast du dich im Laufe deiner Arbeit von Kelly immer weiter distanziert? Was macht letztlich deine Faszination für sie aus?

Die Ideen der Neuen Sozialen Bewegungen, Gesellschaft neu zu denken, fand ich großartig. Mich hat auch die mediale Person Kelly fasziniert. Mit dem Versuch, Denkweisen und Emotionen nachzuvollziehen, setzte dann die Distanz ein. Heute denke ich, dass Petra Kelly eine der wichtigsten Politikerinnen der alten Bundesrepublik gewesen war. Sie hatte eine Vision von einem guten Leben. Das ist etwas sehr Schönes.

Das Interview führte Daniela Kallinich.


Mehr Infos zum Buch:

Saskia Richter (2010): Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly, DVA.

Saskia Richter ist Post-Doc an der Zeppelin University.