Der tragische Fall des Helmuth von Grolman

[analysiert]: Teresa Nentwig über den ersten Wehrbeauftragten des Bundestages

Als das niedersächsische Kabinett am 23. Januar 1951 zu seiner Sitzung zusammenkam, standen zahlreiche Themen auf der Tagesordnung, darunter die Beratung der noch offenen Fragen zum Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1951.Quelle: Bundesarchiv / Wikipedia Zu Einzelplan V, dem ordentlichen Haushalt des Niedersächsischen Ministeriums für Vertriebene, Sozial- und Gesundheitsangelegenheiten, erhielt ein gewisser Ministerialrat von Grolmann das Wort: „Ministerialrat von Grolmann referiert. Es handele sich lediglich noch um die Frage, ob dem Annastift in Hannover-Kleefeld weitere Mittel zum Erweiterungsbau zur Verfügung gestellt werden sollen.“[1]

Im Rahmen eines kürzlich abgeschlossenen Editionsprojektes fiel mir die Aufgabe zu, möglichst ein paar nähere Angaben zu Grolmann ausfindig zu machen. Meine Recherchen ergaben, dass sich hinter dem Namen der frühere Generalleutnant Helmuth von Grolman verbirgt, der erste Wehrbeauftragte des Bundestages – und letztlich eine tragische Figur, wie ein Blick auf seine Biografie zeigt. Der 1898 geborene Grolman stammte aus einer alten schlesischen Offiziers- und Juristenfamilie und wurde 1916 Soldat. Nach einer Banklehre und einem Studium der Nationalökonomie in den Jahren 1920 bis 1924 kehrte er zur Armee zurück und machte dort Karriere: Grolman wurde erst Rittmeister, dann Oberstleutnant, später Generalmajor und schließlich 1944 Generalleutnant bei der Heeresgruppe Süd an der Ostfront.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft musste sich Grolman beruflich neu orientieren: Er arbeitete zunächst als Kreisgeschäftsführer beim Evangelischen Hilfswerk im württembergischen Backnang. 1949 wechselte Grolman dann in den niedersächsischen Staatsdienst. Es war der damalige sozialdemokratische Minister für Vertriebene, Sozial- und Gesundheitsangelegenheiten Heinrich Albertz, der den ehemaligen Offizier der königlich-preußischen Armee nach Hannover holte. Albertz revanchierte sich hiermit für das, was Grolman während des Zweiten Weltkrieges für ihn getan hatte: Der Generalleutnant hatte ihn, den von der Gestapo verfolgten Geistlichen, in sein Stabsquartier geholt, mit dem dort anfallenden Schriftverkehr betraut und auf diese Weise vor weiteren Übergriffen der Nationalsozialisten bewahrt.

Im Ministerium seines ehemaligen Protegés legte Grolman einen „kometenhaften“[2] Aufstieg hin: Binnen weniger Jahre stieg er vom Referenten zum Staatssekretär auf. Am 19. Februar 1959 – Grolman amtierte immer noch als Staatssekretär in Niedersachsen – folgte schließlich der nächste Karriereschritt: Der Bundestag wählte den Generalleutnant a. D., der mittlerweile der CDU angehörte, mit 363 von 412 abgegebenen Stimmen zum ersten Wehrbeauftragten des Bundestages. Vorausgegangen war der Wahl ein beinahe zweijähriges Tauziehen zwischen den Fraktionen. Im Frühjahr 1957 hatten sich Christ-, Sozial- und Freidemokraten zwar schnell darauf geeinigt, einen Wehrbeauftragten zur parlamentarischen Überwachung der Streitkräfte und als Vertrauensmann aller Soldaten einzusetzen. Doch die Frage, wer mit diesem Amt betraut werden sollte, hatte sich anschließend umso länger hingezogen. Die Wahl war schließlich auf den „bescheidenen, stets auf Ausgleich bedachten Mann“[3] aus Hannover gefallen, der bereits von 1955 bis 1957 im Personalgutachterausschuss für die Bundeswehr mitgearbeitet hatte.

Die großen deutschen Zeitungen begrüßten die Wahl Grolmans. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung etwa konstatierte, dass über ihn „im ganzen Land kein nachteiliges Wort umgeht“. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt urteilte die ZEIT, es habe „sich gezeigt, daß die Wahl gerade dieses Mannes für gerade dieses Amt besonders glücklich war“. Für Groll sorgte Grolman wenig später in Teilen der CDU/CSU, denn in seinem ersten Jahresbericht kritisierte er das Bundesverteidigungsministerium an mehreren Stellen unverhüllt. So schrieb der Wehrbeauftragte beispielsweise:

„Der zu schnelle Aufbau der Bundeswehr und der zeitweise parallel laufende Umbau des Heeres haben zu einer Personalbewegung geführt, die zum Teil notwendig oder unvermeidlich gewesen sein mag, die aber zwangsläufig die Truppe nicht zur Ruhe kommen ließ. Ständige Versetzungen, insbesondere bewährter Kompaniechefs und Kommandeure, in der mit allen Schwierigkeiten belasteten Aufbauzeit haben sich auf Erziehung und Menschenführung wie auf die Organisation und Leitung der Ausbildung fühlbar nachteilig ausgewirkt.“

Vorgeworfen wurde Grolman von einzelnen Unionspolitikern, seine Kontrollbefugnisse zu weit ausgelegt zu haben. Insbesondere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) war geradezu erbost über den Jahresbericht. Er fand unter anderem den Hinweis auf den zu raschen Aufbau der Bundeswehr unstatthaft und sah in Grolman mehr und mehr einen Kontrahenten. Davon abgesehen gab es nur Lob für den ersten Tätigkeitsbericht des Wehrbeauftragten. Die ZEIT etwa beschrieb seine Beobachtungen als „sachlich und maßvoll“. Grolman habe „sich all der Fälle, die an ihn herangetragen wurden, mit Takt und großer Zurückhaltung angenommen“.

Doch der verheiratete Vater von fünf Kindern sollte sein Amt nicht mehr lange ausüben können. Im Februar 1960, bei einem Besuch des ZEIT-Redakteurs Hans Gresmann in seinem Büro, hatte Grolman noch gesagt: „Auf diesen Sessel gehört wohl niemand, der noch Ehrgeiz hat, der ein Sprungbrett sucht, der Karriere machen will. Es ist gerade der richtige Posten für einen alten Mann, der seinem Berufsweg einen erfüllten Abschluß geben möchte.“ Bei ihm selbst trat dieser „erfüllte Abschluß“ jedoch nicht ein – eine persönliche Affäre wurde Grolman im Sommer 1961 zum Verhängnis. Er stolperte über § 175a Ziffer 3 des Strafgesetzbuches: „Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bestraft: […] ein Mann über einundzwanzig Jahre, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen […].“

Als Grolman erfuhr, dass in diesem Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren gegen ihn lief, unternahm er einen Selbstmordversuch. Er überlebte und trat einen Tag später, am 14. Juli 1961, von seinem Amt zurück. Der ehemalige niedersächsische Staatssekretär, der „kaum etwas so sehr scheut[e] wie das grelle Licht der Publizität“[4], stand aufgrund seiner Liaison von einem auf den anderen Tag genau dort – die Zeitungen brachten in großen Schlagzeilen, welche „persönlichen Gründe“ für den Rücktritt verantwortlich wären.

Es gab damals Versuche, die private Angelegenheit politisch zu interpretieren und Grolman als Opfer einer systematisch gegen ihn geführten Intrige darzustellen – Grolman sei aufgrund einer von Seiten des Bundesverteidigungsministers sowie der Bundeswehrführung als störend empfundenen Tätigkeit durch eine inszenierte Affäre aus dem Weg geschafft worden. Doch diese Argumentation scheint nicht haltbar zu sein. Es war augenscheinlich eine Verkettung von im persönlichen Raum angesiedelten Umständen, die dazu geführt hat, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnahm: Den 17-jährigen Kellnerlehrling, der in die Angelegenheit verwickelt war, hatte Grolman bei seinen abendlichen Restaurantbesuchen in Bonn kennengelernt. Bald nahm er ihn mit in seine Wohnung oder überließ ihm, wenn er unterwegs war, die Schlüssel. Der junge Mann, der bei „sturmfreier Bude“ gern zu Partys einlud, schrieb in sein Notizbuch, „was Grolman getan hatte und wie es dazu gekommen war“[5]. Eine Freundin des Kellnerlehrlings blätterte in dem Büchlein, las von den Geschehnissen und erzählte sie weiter. Die Mutter eines Jugendlichen kündigte daraufhin an, sich an die Polizei zu wenden und dafür sorgen zu wollen, dass der junge Mann in die Fürsorgeerziehung komme. Dieser unternahm in der Folge einen Suizidversuch. Kripobeamte fanden anschließend das Notizbuch, stießen darin auf den Namen Grolman und meldeten die Vorgänge der Staatsanwaltschaft, die nun ein Ermittlungsverfahren einleitete.

Zwei Monate nach Aufdeckung der strafbaren Vorwürfe fand der Prozess gegen Grolman vor der Jugendschutzkammer des Landgerichts Bonn statt: Unter Anerkennung erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit infolge des Missbrauchs von Schlafmitteln wurde er zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Seitdem wird Grolman, der – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – im Januar 1977 in Hannover starb, hauptsächlich mit der homosexuellen Beziehung und der öffentlichen Diskussion darüber in Verbindung gebracht. Dass er es war, der das Amt des Wehrbeauftragten trotz ungünstiger Voraussetzungen aufgebaut, ihm eine bestimmte Richtung verliehen und vor allem in der Bundeswehr, aber auch im politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik Respekt verschafft hatte, ist heute weitgehend vergessen.

Dr. des. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung und Bearbeiterin der Edition „Die Kabinettsprotokolle der Hannoverschen und der Niedersächsischen Landesregierung 1946 bis 1951“, die in diesen Tagen erscheint.

Bildinformationen: Helmuth von Grolman und Franz Josef Strauß am 9. April 1959, das heißt kurz nach Grolmans Amtsantritt als erster Wehrbeauftragter des Bundestages. Zwischen beiden entwickelte sich rasch ein spannungsgeladenes Verhältnis – Strauß sah in Grolman sogar einen Gegenminister. (Quelle: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild 183-64381-0016 / CC-BY-SA)


[1] TOP II/b der Niederschrift über die 161. Sitzung des Niedersächsischen Staatsministeriums am 23.01.1951 im Sitzungssaal Lüerstraße 5, in: Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover – Nds. 20 Nr. 42.

[2] O. A.: Helmuth von Grolman, in: DER SPIEGEL, 06.07.1960.

[3] Gresmann, Hans: Klagemauer der Armee. Auf dem Sessel des Wehrbeauftragten: ein diplomatischer General, in: DIE ZEIT, 05.02.1960.

[4] Ebd.

[5] O.A.: Die Bekenntnisse des Krull, in: DER SPIEGEL, 26.07.1961.