Der Berlusconi in mir

[analysiert]: Bastian Brandau über den Einfluss der Berlusconi-Jahre auf die italienische Gesellschaft.

Giorgio Gaber, bekannter italienischer Sänger und Schauspieler, drückte es einst so aus: „Ich habe keine Angst vor Berlusconi an sich, sondern vor dem Berlusconi in mir“. Diese Furcht gilt für viele Italiener auch noch nach dem Rücktritt Silvio Berlusconis Anfang November: Er ist nicht mehr Ministerpräsident und offiziell nur noch einfacher Abgeordneter, aber er steckt noch fest in ihren Köpfen. Dass viele ihn und sein Leben als Vorbild gesehen haben, erklären Italiener gerne, um dem Rest der Welt verständlich zu machen, wieso Berlusconi wieder und wieder gewählt wurde. Berlusconi, der Selfmademan, der es zu enormem Reichtum brachte, den Staat austrickste, dabei den Staatsanwälten die lange Nase zeigte – und außerdem die schönsten Frauen um sich scharte. Aber auch der Mensch, der Fehler hat und machte, und der sich trotzdem immer wieder durchsetzte. In ihm konnte man sich wiederentdecken. Und von solch einem Leben, so analysieren Journalisten und Politikwissenschaftler, habe fast jeder in Italien schon immer geträumt.

Doch nicht nur der „Berlusconi im Kopf“ wird den Italienern erhalten bleiben, Berlusconi steckt inzwischen ebenso im System. Denn er hat auch das politische System Italiens und dessen politische Kultur nachhaltig verändert – und sogar ein eigenes Wort geprägt: „Berlusconismus“.[1]

Die Effekte sind vielfältig: Politik und Unterhaltung hatte der Medienmann Berlusconi bereits bei seinem Einstieg in die italienische Politik 1994 verschmolzen. Die Gründung seiner Partei Forza Italia folgte den Regeln der Werbung, die seine Fernsehsender so erfolgreich verkauften: Politik als Produkt nach den Wünschen der Verbraucher bzw. Wähler. 17 Jahre Dauerbeschallung mit den immergleichen Themen hatten bei den Wählern erst zuletzt ein Abwenden von Berlusconi bewirkt – seine Umfragewerte in den letzten Monaten seiner Regierungszeit waren miserabel. Die Niederlagen bei den Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres hatten ebenfalls gezeigt: Auch an der Wahlurne funktionierten die alten Parolen nicht mehr.

Hinterlassen haben all die Jahre auch ein bedenkliches Frauenbild, das Emanzipationsbestrebungen Hohn spricht: Befragt nach ihren Berufswünschen, sagen junge Mädchen heute, geprägt durch jahrelangen Konsum der Berlusconi-Sender: Tänzerin oder Wetteransagerin im Fernsehen. Denn wer gut aussieht und mitzieht, kann bzw. konnte es schnell weit bringen unter Berlusconi, mitunter auch in die Politik. Allerdings vor allem als menschliche Dekoration. Denn im Abgeordnetenhaus und Senat liegt der Frauenanteil nach wie vor weit unter dem europäischen Durchschnitt.[2]

Die in all den Jahren von Berlusconi versprochene „Liberale Revolution“ ist ausgeblieben, das Vertrauen in die Politiker, egal ob links oder rechts, ist verschwindend gering. Die Vertreter der „Kaste“[3], wie Politiker in Italien genannt werden, gelten gemeinhin als gefräßige Abzocker, die trotz der höchsten Diäten Europas für ein Taschengeld im Parlamentsrestaurant essen gehen können. Auch der Friseurbesuch dort ist übrigens kostenlos.

Wie Berlusconi das politische System verändert hat

Die Verschmelzung eines politischen Lagers mit den Medien ist dabei nur die deutlichste Hinterlassenschaft Berlusconis. Dazu gehören inzwischen nicht mehr nur seine eigenen Fernsehsender und Zeitungen mit den ihm freundlich geneigten Nachrichten und Kommentaren. Auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat er in seiner Regierungszeit seine Leute in Stellung gebracht. Die Hauptnachrichtensendung TG1 im ersten Programm ist nach Installierung einer neuen Führungsriege kaum von den Berlusconi-Privatnachrichten zu unterscheiden. Nach dem TG1– Chefredakteur Augusto Minzolini nennt man inzwischen jede Art von unterwürfigem Journalismus, „Minzolinismo“.

Bei Missfallen über eine Sendung scheute sich Berlusconi nicht, sich am Telefon zuschalten zu lassen und Gäste der Sendung zu beleidigen. Kritische Politsendungen wurden abgesetzt, letztes Beispiel war im Juni das äußerst erfolgreiche Format Annozero, deren Moderator Michele Santoro es gewagt hatte, Berlusconi und seine Partei zu kritisieren. Santoro gelang  kürzlich ein bemerkenswert erfolgreicher Neustart im Internet und Digitalfernsehen, also in den Bereichen, in die es Berlusconis Medienimperium noch nicht geschafft hat.

Auch das politische Klima haben die Berlusconi-Jahre vergiftet. Die italienische Gesellschaft ist so stark polarisiert wie nie zuvor. Seit 1994 kann man nur für oder gegen den „Cavaliere“ sein, eine neutrale Meinung gibt es nicht. „Silvio gib nicht auf, lass Italien nicht untergehen![4], schrieben Unterstützer noch kurz vor Berlusconis Rücktritt. Ähnlich vehement forderten Vertreter der Opposition seit Jahren Berlusconis Rücktritt – Annäherung ausgeschlossen.  Und für Berlusconi  waren seine Gegner, ob politisch oder juristisch, sowieso stets „Kommunisten“. Dass er diese vereinfachende Darstellung wiederum in den nächsten Wahlkampf tragen will, daran bestehen kaum Zweifel. Bei einem Auftritt vor einem christlichen Parteiflügel Ende November warnte er: Die Linke versuche, vergessen zu machen, dass der Kommunismus die größte Tragödie der Menschheit gewesen sei. „Wir aber kämpfen für die Freiheit“, so Berlusconi zum eigenen Politikverständnis. Über seine gescheiterte Regierungspolitik kein Wort – Schwamm drüber, die Show muss weitergehen.

Als Kommunisten beschimpft er auch die Richter und Staatsanwälte, die gegen ihn ermitteln – womit die nächste Staatsgewalt genannt wäre, deren Ansehen Berlusconi geschmälert hat. Doch zeigte er nicht nur ihnen Verachtung; er verhöhnte auch die Rechtsprechung durch zahlreiche auf seine Person zugeschnittene Gesetze. Bis zuletzt war er bemüht, sich so vor staatsanwaltlicher Verfolgung zu schützen, wobei er als Begleiterscheinung auch die Verjährung zahlreicher Kapitalverbrechen in ganz Italien in Kauf genommen hätte. Doch scheiterte er in diesem Vorhaben, ebenso wie bei der Realisierung seines langjährigen Traums, sich auf dem repräsentativen Posten des Presidente della repubblica zur Ruhe zu setzen. Da die Mühlen der Justiz in Italien langsamer mahlen als anderswo, wird er sich aber weiterhin seiner Bestrafung entziehen können. Denn die seit Jahrzehnten dringend notwendigen Justizreformen zur Beschleunigung der Verfahren stehen noch aus.

All diese Punkte machen deutlich: Italiens Lage wäre auch ohne Finanzkrise schwierig genug. Vorsichtig gesagt: Es ist Einiges an Arbeit liegengeblieben. Doch darum müssen sich jetzt der brave Professor Monti und seine Experten kümmern. Und steht spätestens 2013 die nächste Wahl an, gibt es eine weitere Hinterlassenschaft Berlusconis: Das als „Schweinerei[5] bekannt gewordene Wahlgesetz aus dem Jahr 2005 schustert automatisch der Liste mit den meisten Stimmen eine absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer zu. Große Wahlbündnisse, wie das Berlusconis, werden so bevorteilt. Auf diese Weise erreichte Berlusconi 2008 die größte Mehrheit, die eine Koalition in Italien je hatte. Das wird er bei den nächsten Wahlen kaum schaffen. Aber gewinnen könnte seine Koalition erneut. Zwar sind die Umfragewerte derzeit schlecht, doch wenn es eine Taktik hinter seinem Rückzug vom Amt des Ministerpräsidenten gegeben hat, dann die: in Ruhe den nächsten Wahlkampf vorbereiten und die eigenen Fehler im Laufe der Zeit vergessen machen. Die Mitte-Links-Opposition ist noch in der Findungsphase. Berlusconi aber steckt tief drin: in den Italienern und in ihrem politischen System.

Bastian Brandau ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1] Der Begriff „Berlusconismus“ ist sogar in der deutschsprachigen Wikipedia aufgeführt.

[2] In der Abgeordnetenkammer sitzen derzeit 135 Frauen und 495 Männer.

[3] Der Begriff Kaste wurde 2007 von Gian Antonio Stella und Sergio Rizzo geprägt. In ihrem Buch „La casta. Cosí i politici italiani sono diventati intoccabili“ beschreiben sie die Privilegien und Verschwendungssucht italienischer Politiker.

[4] Zitat vom Facebook-Auftritt Berlusconis, als der am 7. November 2011 Gerüchte über seinen Rücktritt noch als „jeglicher Grundlage entbehrend“ bezeichnete.

[5] So bezeichnete Roberto Calderoli, Abgeordneter der Lega Nord und Minister unter Berlusconi, 2006 den Gesetzesentwurf in der Fernsehsendung Matrix.