Berlin: Ein Regierungssitz in einer Ruheoase

Thema: 20 Jahre Berliner Republik (4)

[kommentiert]: Cécile Calla über die französische Sicht auf die deutsche Hauptstadt.

Auch zwanzig Jahre nach der Entscheidung zum Umzug der Regierung nach Berlin und dessen Umsetzung vor zehn Jahren bleibt Berlin eine merkwürdige Hauptstadt. Dieses Gefühl wird besonders klar, wenn man vor dem Bundeskanzleramt und dem Bundestag steht. Inmitten eines urbanen Lochs, auf der früheren Grenzlinie der Mauer und eingerahmt von einer schönen Wiese wirken diese Gebäude fast wie eine surreale Erscheinung. Hier soll das politische Herz der deutschen Hauptstadt klopfen?

Besucher aus Frankreich können sich nur die Augen reiben. Ein Regierungssitz in einer Ruheoase, wo man problemlos in der Mittagzeit im Sommer ein Nickerchen machen kann? Als ob der Elysee-Palast (Sitz des französischen Präsidenten) und die Assemblée nationale (französische Nationalversammlung) sich im Pariser Stadtpark, dem Bois de Boulogne, befinden würden, weit weg vom städtischen Trubel. So wird jeder fremde Besucher in Berlin unmittelbar an die Wendejahre erinnert.

Man muss die Farben, die Form, die Materialien und die imposante Größe der neuen politischen Berliner Architektur nicht mögen, aber Bonn erscheint im Vergleich auf jeden Fall provinziell und klein. Für mich ist kaum begreifbar, dass so viele Abgeordnete damals gegen einen Umzug stimmten und die Rückkehr der Regierung nach Berlin gar keine Selbstverständlichkeit war. Bonn war durch die Teilung Deutschlands nach dem Krieg zur Hauptstadt geworden. Nach der Wende und der Wiedervereinigung wäre es merkwürdig gewesen, weiter aus Bonn zu regieren, als ob nichts geschehen wäre. Die „Berliner Republik“ ist für mich in diesem Sinn ein positiver Begriff, denn er unterstreicht, dass die Teilung Deutschlands vorbei ist. Erstaunlich ist auch, dass immer noch sechs Ministerien formal ihren Hauptsitz am Rhein haben. Denn das alltägliche politische Leben, so nimmt man es als Journalist wahr, spielt sich längst nur noch in Berlin ab.

Eine meiner ersten Klassenfahrten ging nach Köln und Bonn, wo ich den Bundestag besichtigte. Das deutsche Parlament gehörte zu meiner Sightseeing-Tour ebenso wie der Kölner Dom. Das einzige, woran ich mich erinnere, ist die blaue Farbe der Parlamentssessel, denn die Räumlichkeiten haben mich nur wenig beeindruckt. Die Zehnjährigen, die den heutigen Bundestag im Reichstagsgebäude besichtigen, kommen sicherlich mit ganz anderen Bildern im Kopf nach Hause.

In Frankreich wurde die Umzugsentscheidung damals eher wohlwollend kommentiert. Es wurde in den Zeitungen darauf hingewiesen, dass Deutschland seine Position als Scharnierland zu Osteuropa, mit Berlin als Regierungssitz, noch deutlicher unterstreichen könnte.

Der Umzug hat auch die Nähe der Medien zur Macht verändert. Die ausländischen Beobachter oder Auslandskorrespondenten, die vor 1999 in Bonn gearbeitet haben, beschweren sich heute darüber, dass die Distanz zwischen den Regierenden und der Presse seit dem Umzug nach Berlin stark gewachsen ist. Bonn war offenbar so klein, dass man die Minister zufällig auf der Straße oder in der Kantine treffen konnte. Jetzt, in Berlin, müssen ausländische Berichterstatter manchmal mit den Pressesprechern der Minister kämpfen, damit diese zurückrufen!

Doch ist das Politische nicht das Erste und das Beeindruckendste für jemanden, der diese Stadt entdeckt. Sobald man Unter den Linden und die Friedrichstraße, also das Regierungsviertel verlässt, kehrt schnell die Ruhe zurück. Das Auge und die Aufmerksamkeit des Besuchers werden rasch mit einer unvergleichbaren Atmosphäre, die aus einer Mischung aus Liberalität, Gemütlichkeit und kreativer Energie besteht, gefangen. Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Metropolen versprüht Berlin dieses „Undefinierte“, „Unbeendete“, was man auch an den vielen Baustellen sehen kann. Es gibt vieles zu entdecken, viele ungewöhnliche Projekte und unzählige Kunstangebote.

Gleichzeitig lebt es sich in den Berliner Kiezen wie in einem Dorf. Das macht Berlin so attraktiv für viele Menschen in Deutschland und aus dem Ausland. Es gibt Tage in Mitte und im Prenzlauer Berg, an denen man nicht mehr weiß, ob man sich noch auf deutschem Boden befindet, da auf der Straße überall französisch, englisch oder italienisch gesprochen wird. Dies zeigt auch der Erfolg der englischsprachigen Berliner Zeitung EX Berliner, die jeden Monat mehr als 20 000 Exemplare verkauft. Gleiches gilt für die unzähligen bilingualen Kindergärten und Schulen.

Aber der Umzug hat auch eine Normalisierung gebracht, die nicht ohne Nachteile ist. Berlin, diese einst so wilde Stadt, muss sich immer mehr den Normen fügen, mit denen andere Metropolen seit langem zu kämpfen haben. Es wird schwieriger, Parkplätze zu finden, Mieten schießen in die Höhe, und es gibt immer mehr Regeln und Menschen, die an diese Regeln erinnern. Dieser Entwicklung folgt zwar auch eine wirtschaftliche Verbesserung, die dringend notwendig war nach all den Jahren der Rezession und Stagnation. Als Zugezogene kann man trotzdem nur hoffen, dass Berlin sein besonderes Flair behält.

Cécile Calla, französische Journalistin, lebt seit vielen Jahren in Berlin und beobachtet die deutsche Politik. Zuletzt erschien von ihr „Tour de Franz. Mein Rendezvous mit den Deutschen“ im Ullstein Verlag.