[kommentiert]: Michael Lühmann über die Angst der Grünen vor dem Image als Verbotspartei
Verbotspartei. Gäbe es eine Jury, die über ein grünes Unwort des Jahres entscheiden müsste, sie würde sich wohl 2013 und 2014 für das Wort Verbotspartei aussprechen. Tempolimits auf Autobahnen, Tempo-30-Zonen in den Städten, der Veggie-Day und nicht zuletzt die Strompreise, alles klingt nach grünem Moralismus, nach Reglementierung, nach Verboten. Ob die Debatte um das Verbotspartei-Image der Partei an den Wahlurnen geschadet hat, und wenn ja, wie stark, ist schwer zu messen. Dabei scheint – im Angesicht der guten Ergebnisse bei den bayrischen Kommunalwahlen, mit Einschränkungen auch der passabel verlaufenen Europawahlen – der elektorale Schaden reparabel. Weitaus gravierender sind hingegen die politischen und programmatischen Folgen für die Partei, die sich infolge der Diskussion in einer umfassenden Lähmung befindet.
Denn die Rede von der Verbotspartei hat sich tief in die Parteiseele hineingefressen. Auf den Fluren der Parteizentrale, in der Fraktion, in den Länder, selbst in der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung ist sie allerorten zu hören: Die Angst, dieser oder jene Vorschlag, diese oder jene Initiative könne sich zu sehr nach Verbot anhören, könnte Wasser auf die Mühlen des politischen Gegners sein; das Stigma der moralinsauren Reglementierungs- und Weltverbesserungswut könne der Partei dauerhaft anhaften.[1]
Nun vollführen die Grünen allerlei Verrenkungen, um das Image der Verbotspartei abzuschütteln. Ein entscheidender, aber letztlich vollkommen untauglicher Versuch ist die Neubestimmung eines grünen Freiheitsbegriffs. Denn grüne Freiheit statt grüne Verbote, das ist nicht nur plump, das ist schon unverschämt simpel; ein allzu billiger Etikettenschwindel, der auf „FDP-Erbschleichertum und Veggie-Day-Traumatherapie“[2] hinweist, nicht aber auf einen brauchbaren programmatischen Wurf der Post-Trittin-Generation. Und dass Freiheit und Ökologie in einem dilemmatischen Spannungsverhältnis stehen, lässt sich letztlich nicht damit kaschieren, dass man den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen als Freiheitsversprechen der kommenden Generationen ausgibt, ohne Auskunft darüber zu geben, wie das ohne Regeln, Beschränkungen und letztlich womöglich gar Verbote gehen soll.[3]
Dabei haben Grüne Ideenklau nun wirklich nicht notwendig. Dass der Ökologismus als alternatives Denkmodell in der Politik inzwischen auch vom politischen Gegner aufgegriffen wird, ist doch wahrlich ein Verdienst allein dieser Partei. Gleiches gilt zumindest anteilhaft für die vielen anderen Liberalisierungen der Gesellschaft: die Wandlungen von Rollenmodellen, die Enthierarchisierung der Ehe, die generelle Veränderung der Geschlechterverhältnisse und vieles mehr. Wie der Konstanzer Zeithistoriker Sven Reichardt in seiner umfänglichen jüngst erschienenen Kulturgeschichte des alternativen Milieus nachzeichnet, geht hier vieles vor allem auf das urgrüne Umfeld der siebziger und achtziger Jahre zurück.[4]
Jenes urgrüne Umfeld, welches dem politischen Gegner Politikentwürfe, Begriffe und Themenfelder aufgezwungen hat. Welches Politik verändert hat durch eine Phalanx an eingeforderten Verboten und eingeforderten Liberalisierungen zugleich. Dabei hat es die junge Partei wenig gestört, was der politische Gegner über sie dachte, schrieb oder verkündete. Anders die nachwachsende grüne Führungsgeneration, die der eigenen Erzählung weniger vertraut als der Vielzahl moderner Wahlkampfinstrumente und sich so vom politischen Gegner und von politischen Stimmungen verunsichern lässt. Und zugleich nicht den Mut aufbringt, die in den eigenen Reihen politisch Schuldigen am Wahlversagen zu benennen und daraus programmatische Konsequenzen zu ziehen.
Aber solange die Parteiseele Angst davor hat, Politikentwürfe und Ideen für morgen zu formulieren, weil sie wahlweise den Verbotsvorwurf, den politischen Gegner oder die Altvorderen fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, wird sie sich in naher Zukunft die Frage gefallen lassen müssen, wozu die Grünen als Partei dann noch gebraucht werden. Denn von einer grünen Partei ist trotz Veggie-Day-Desaster zu erwarten, dass sie weiterhin Zumutungen formuliert – vor allem auf dem Gebiet der Ökologie. Das erwarten nicht nur ihre engsten Anhänger, wie interne Umfragen zeigen. Das erwarten auch jene potenziellen größeren Wählerkreise, die 2011/12 in großen Scharen der Öko-Partei folgten – trotz des Dagegen-Partei-Vorwurfs seitens der Union.
Dabei braucht es mitnichten fertig durchfinanzierte Generalentwürfe für die kommenden Jahre. Sondern zunächst, anknüpfend sowohl an die grüne Erzählung von Ökotopia als auch an an gesellschaftliche Trends wie Urban Gardening, Upcycling, Do-it-Yourself, Commons[5] usw. eine diskursive Öffnung anderer Themenfelder. Niemand erwartet von den Grünen gleich fertige Lösungen, sondern zuerst nur die Infragestellung eines Status Quo, die das vielfältige und vielgestaltige Andere in die Debatte einbringt. Dass eine bessere Welt möglich ist,[6] sollte Kern grüner Programmatik sein – und nicht die Frage, mit welchen taktischen Finten, mit welchem Wording und Framing man noch den letzten nicht zur AfD abgewanderten Ex-FDP-Wähler an sich binden kann.
Denn die Rettung des sinnentleerten parteipolitischen Liberalismus ist nun wahrlich nicht die Aufgabe der Grünen. Sondern in erster Linie das Bekenntnis zum eigenen ökologischen Imperativ,[7] welcher die Chancen eines ökologischen Morgen zu skizzieren vermag, aber eben auch die anstrengenden Fragen auf dem Weg nach Ökotopia stellt: Wie geht es weiter mit dem Wachstum, wie begegnen wir dem Klimawandel, was ist auf dem Weg in eine ökologische Zukunft notwendig, was hinderlich, was gar verzichtbar?[8]
Dass wir die Welt von unseren Kindern und Enkeln nur geborgt haben, diese simple wie richtige – ökologische, sozialpolitische, friedenspolitische – Weisheit gründungsgrüner Tage sollte deshalb wieder mehr denn je im Zentrum grüner Politik stehen. Und nicht die Angst vor einem weiteren Verbotsvorwurf, und eben auch nicht die Anschlussverwertung des nicht grundlos untergegangenen FDP-Liberalismus.
Michael Lühmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. hiervor warnend auch Unmüßig, Barbara: Das Stigma der Verbotspartei abschütteln, in: Böll.Thema „Grüne Zeitenwende“, Bd. 3/2013, S. 14-15.
[2] Brandtner, Franziska/Habeck, Robert: Salz, Sonne und Meer, in: Cicero, Bd. 5/2014, S. 54-56.
[3] Vgl. hierzu das grüne Positionspapier von Gehring, Kai u.a.: „Die Farbe der Freiheit ist Grün“, online einsehbar unter http://www.gruen-und-frei.de/die-farbe-der-freiheit-ist-gruen/ [eingesehen am 30.06.2014].
[4] Reichardt, Sven: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin 2014.
[5] Vgl hier neben vielen: Baier, Andrea u.a.: Stadt der Commonisten. Neue urbane Räume des Do it yourself, Bielefeld 2013; Müller, Christa (Hg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt, München 2011; Werner, Karin: Eigensinnige Beheimatungen. Gemeinschaftsgärten als Orte des Widerstands gegen die neoliberale Ordnung, in Müller (Hg.): Urban Gardening, S. 54-75.
[6] Solche Vorbilder und Wege beschreiben etwa Welzer, Harald/Rammler, Stephan (Hg.): Der FUTURZWEI-Zukunftsalmanach 2013. Geschichten vom guten Umgang mit der Welt, Frankfurt a.M. 2012.
[7] Dies schließt ein Nachdenken über soziale Gerechtigkeit, Steuergerechtigkeit etc. selbstredend nicht aus
[8] Beispielhaft hierfür der Streit um die Frage grünes Wachstum vs. Postwachstum, welches allerdings in der parteioffiziellen Diskussion kaum stattfindet. Vgl. zur Debatte etwa Paech, Nico: Das Elend der Konsumwirtschaft. Von Rio+20 zur Postwachstumsgesellschaft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 57 (2012) H. 6, S. 55-63; dem entgegen: Fücks, Ralf: Öko-Biedermeier vs. ökologische Moderne. Die grüne Revolution, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 58 (2013) H. 8, S. 57-65.