[kommentiert]: Florian Finkbeiner über die AfD-Analyse von Häusler&Roeser
Die Bundesrepublik ist in Bewegung. Die gesellschaftlichen Konflikte verschieben sich, die politische Kultur wandelt sich – oder zumindest werden diese Verschiebungen jetzt erst sichtbar. Auch das Parteienspektrum ist in Bewegung. Nach dem erfolgreichen Scheitern der Piraten etabliert sich nun wohl die Alternative für Deutschland (AfD). Diese Partei im Werden reitet seit ihrer Entstehung 2013 auf den Wellen der Unzufriedenheit mit der Politik: Zuerst die Euro-Kritik, nun Law-and-Order-Positionen und populistische Warnungen vor einer angeblichen Islamisierung der Republik. Alexander Häusler und Rainer Roeser wollen in ihrem gerade erschienenen Buch diesem Phänomen auf die Schliche kommen.
Sie zeichnen in „Die rechten ,Mut‘-Bürger“ dabei das Portrait einer Partei, die die „politisch-günstige Gelegenheitsstruktur für die Herausbildung einer neuen politischen Kraft rechts von der Union und der FDP“ (S. 7) ausnutzt. Neben einer ideologischen Verortung der Partei zwischen Nationalliberalismus, (National-)Konservatismus und Rechtspopulismus werden ausführlich die historischen Vorläufer und Kontextbedingungen betrachtet, die zum Entstehen der AfD geführt haben. Es werden die „rechten Vorläuferparteien“ betrachtet, wie der „Bund Freier Bürger“, „die Freiheit“ oder die „Schill-Partei“. Aber auch der politische Kontext wird untersucht, etwa die verschiedenen Netzwerke, so z.B. die „Zivile Koalition“, das „Bündnis Bürgerwille“, auch die vorherigen Entwicklungen vom „Hamburger Appell“ bis zur „Wahlalternative 2013“. Dieser Teil des Buches verdeutlicht anschaulich die personellen wie inhaltlichen Schnittmengen zwischen diesen Gruppierungen, die zum Entstehen der AFD beigetragen haben und sich auch heute noch in den Entwicklungen der Landesverbände zeigen.
Die zahlreichen Hintergrundinformationen zum Wirkungsfeld der wichtigsten Personen lassen erkennen, welche Motivationen und Frustrationen sich in diesem Umfeld schon seit Jahren angestaut haben. Es zeigt aber auch, dass die AfD eben nicht nur eine kurzfristige Erscheinung aufgrund der mangelnden Integrationskraft der CDU unter Merkel und ihrem „Mitte-Kurs“ ist, weshalb die Union die konservativ-bürgerlichen Schichten nicht mehr ansprechen könne, wie es öffentlich viel beachtet Hans-Peter Friedrich Ende des letzten Jahres bemerkte.[1]
Der stärkste Teil des Buches ist die Untersuchung, wie die Entwicklung und Bedeutung der Partei am rechten Rand eingeschätzt wird. Denn gerade die unterschiedlichen Reaktionen und internen Debatten in der extremen Rechten – von der NPD, den „Bürgerbewegungen pro Deutschland“ und „pro NRW“ bis hin zu den „Bürgern in Wut“ – verdeutlichen, wie umstritten die Partei im rechten Spektrum ist. Wie unterschiedlich die AfD, ihre Flügel und vor allem ihre Positionen beurteilt werden, zeigt sich auch bei der Betrachtung von rechtskonservativen wie neurechten Medien – von der Jungen Freiheit, Sezession bis nur Blauen Narzisse.
Eine kurze Analyse des Wählerpotenzials der AfD und eine Bewertung runden das Buch ab. Die Partei spricht in ihrer bewussten Janusköpfigkeit gezielt zwei Klientele an: Die meisten AfD-Wähler sind männlich und im Alter zwischen 17 bis 44 Jahren, was nicht unbedingt überrascht. Proportional erhält die AfD am häufigsten Stimmen aus dem Arbeitermilieu,[2] verfügt aber auch über ein großes Potenzial, um die „gehobene[n] Mittelschicht“ anzusprechen (S. 137).
Häusler und Roeser ordnen die AfD rechts der Union als Partei mit rechtspopulistischer Prägung ein und sehen sie als „weltanschauliche Stichwortgeberin für einen rechten Kulturkampf“ (146). Sie geben in ihrem gut lesbaren Buch einen fundierten Überblick über das Wirkungsfeld der AfD mit unzähligen Hintergrundinformationen. Doch die Analyse bleibt häufig an der Oberfläche. Die ideologische Verortung greift theoretisch-inhaltlich zu kurz. Sie setzt implizit konservativ und rechtskonservativ gleich. Dadurch wird der Konservatismus – im Sinne der von ihnen angeführten Helga Grebing – allein auf eine Gegenbewegung zur Demokratie reduziert.[3]
Damit zusammenhängend wird auf weitere wichtige Fragen nicht näher eingegangen – auch wenn dies teilweise in der Einleitung vermerkt wird –, die in ihrer Bewertung aussagekräftiger wären als eine reine Verortung im Parteienspektrum: Gerade die Bedeutung der Familien- und Geschlechterpolitik, die die AfD ihren Positionen beimisst, verdeutlicht die seit Jahren anschwellenden Gefechte in der politischen Kultur. Diese Verschiebungen zu verstehen, ist wohl der Schlüssel, um aus umgekehrter Perspektive zu erklären, warum überhaupt in der Gesellschaft das Bedürfnis nach einer Partei wie der AFD offenbar vorhanden ist. Man hätte sich überdies gewünscht, eine noch breitere Analyse der organisatorischen Entwicklung der Partei zu lesen.
Dies alles ist im Rahmen eines Buches natürlich nur schwerlich zu leisten. Insofern sollte dieses das Werk Häuslers und Roeslers als Grundlage für weitere Untersuchungen dienen. Es verdeutlicht, dass sich die AfD mit ihrer Parteiparole „Mut zur Wahrheit“ als selbsterklärte Partei der Mut-Bürger als „parteipolitischer Anker wie zugleich als politischer Marker“ eines „national orientierten und rechtsgerichteten Wutbürgertums“ (S. 9) erweist. Unabhängig davon, welcher Flügel sich in der Partei durchsetzen sollte und ob sie sich – wie für Ende des Jahres angedacht – auf ein Parteiprogramm einigen sollte, tut die AfD im Moment vor allem eins: „Die Wut genießen“.[4]
Rezension zu: Alexander Häusler/Rainer Roeser (2015): Die rechten „Mut“‘-Bürger. Entstehung, Entwicklung, Personal & Positionen der Alternative für Deutschland, Hamburg: VSA.
Florian Finkbeiner arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. o.V.: Mitte-Kurs der Kanzlerin, in: Der Spiegel, 27.12.2014 , URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-pegida-friedrich-gibt-kanzlerin-merkel-mitschuld-fuer-wachsen-a-1010439.html [eingesehen am 22.02.2015].
[2] Vgl. Bebnowski, David: Partei der kleinen Leute?, in: Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, 09.02.2015, URL: https://www.demokratie-goettingen.de/blog/partei-der-kleinen-leute-2 [eingesehen am 22.02.2015].
[3] Vgl. Grebing, Helga: Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945, Frankfurt a. M. 1971; Öhler, Andreas: Was ist heute konservativ, was rechts?, in: Die Zeit, 07.02.2015, URL: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/pegida-gesellschaft-konservative [eingesehen am 23.02.2015].
[4] Geis, Matthias: Die Wut genießen, in: Die Zeit, 29.11.2014,URL: http://www.zeit.de/2014/47/afd-erfolg-extremismus [eingesehen am 22.02.2015].